Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Konkreter Fahrplan zur atomaren Abrüstung - oder Spiel auf Zeit für Pjöngjang und Ruhe an der koreanischen Front für Washington?

Auf der Suche nach Motiven und Erklärungen für die Übereinkunft zum nordkoreanischen Atomprogramm

Am 13. Februar 2007 hat Nordkorea ersten Schritten für einen Ausstieg aus seinem Atomprogramm zugestimmt. Nach tagelangen Verhandlungen wurde in Peking ein Abkommen unterzeichnet, das die Lieferung von einer Million Tonnen Heizöl an Pjöngjang vorsieht, wenn die nordkoreanische Regierung unter anderem ihren Hauptatomreaktor in Yongbyon stilllegt. Im Gegenzug stimmte die US-Regierung zu, binnen zwei Monaten mit der schrittweisen Streichung des Landes von ihrer Liste der Terror-Unterstützerstaaten zu beginnen und die gegen Pjöngjang verhängten Handelssanktionen aufzuheben.
Die grundsätzliche Zustimmung Nordkoreas zum schrittweisen Ausstieg aus seinem Atomprogramm hat weltweit vorsichtigen Optimismus geweckt. US-Präsident George W. Bush sagte, er sei über die in Peking erzielte Einigung "erfreut" und betrachte sie als einen "ersten Schritt". Die staatliche Nachrichtenagentur KCNA meldete, die Vereinbarung sehe vor, dass Nordkorea für Hilfen im Wert von einer Million Tonnen Heizöl "zeitweise den Betrieb seiner Nuklearanlagen einstellen" müsse, während nach den Verhandlungen in Peking nicht von einer zeitlichen Begrenzung die Rede war.
Die in Peking erzielte Vereinbarung sieht nur eine "zeitweise Einstellung" der nuklearen Aktivitäten Nordkoreas vor, meldeten nordkoreanische Massenmedien am 13. Februar.
Im Folgenden dokumentieren wir eine Reihe von Ansichten zum "Durchbruch" in Peking.



Ein Schachzug in Ostasien

Von Jürgen Reents *

Die Übereinkunft zum nordkoreanischen Atomprogramm lässt sich vielfältig interpretieren. Vielleicht haben die Hauptkonkurrenten USA und Nordkorea »eingelenkt«. Vielleicht ist es ein Erfolg der chinesischen Diplomatie, die beharrlich eine Entkrampfung gesucht, Nordkorea unter Druck gesetzt und den USA in Ostasien ihre Grenzen aufgezeigt hat. Vielleicht will Bush – wie auch in ND gestern kommentiert wurde [siehe "Durchbruch" unten im Kasten) – seine Amtszeit im nächsten Jahr nicht vollends im Desaster beenden. Vielleicht ist die Übereinkunft ein Durchbruch, vielleicht markiert sie aber nur den Wechselrahmen, in dem der Showdown bald neu beginnt, weil jede Seite ihre Finger an den Stellschrauben behält. Vielleicht lügen sich alle in die Tasche und uns die Hucke voll. Vieles ist denkbar.

Und weil vieles denkbar ist, so auch dieses: US-Präsident Bush sucht etwas Ruhe an der »koreanischen Front«, um sich auf die Golfregion zu konzentrieren. Immerhin hat die US-amerikanische Rhetorik gegen den Iran in den letzten Wochen wieder an Schärfe zugenommen. Der Iran würde Waffen in den Irak liefern, »mit denen Amerikaner getötet werden«, behauptete Bushs Vize Cheney erstmals vor rund einem Monat. Seitdem ist das zu einer fast täglichen Meldung geworden. Zum »Beweis« haben US-Truppen wiederholt Iraner im Irak festgenommen. Diese Meldungen haben derzeit sogar dem ebenso unbelegten Vorwurf, der Iran bastele emsig an Atomwaffen, den Rang abgelaufen; auch dieser lauert aber weiter im Weißen Haus. Wir erleben ähnliche Propagandamanöver, wie sie vor Beginn der Kriege gegen Jugoslawien, Afghanistan und Irak drapiert wurden. Das ist zwar Schnee von gestern – in der US-Adminstration deswegen aber nicht verlernt.

Bush selbst wird nicht müde, seine Kritiker im eigenen Land (und seine zuweilen die Stirn kräuselnden Partner in Europa) zu warnen, dass eine Niederlage der USA in Irak den Iran stärken und den Weltfrieden gefährden würde. Wer von den Kommentatoren außerhalb der inneren Machtgefüge weiß denn, was die USA sich hinter den Kulissen der Nordkorea-Übereinkunft erhandelt haben? Und was andere Beteiligte, etwa China und Russland, vielleicht mehr missmutig als willentlich »hingenommen« haben, um immerhin an einem Punkt eine Beruhigung zu erreichen? War Putins Kritik an den USA auf der Münchner Konferenz vielleicht auch der Alarmruf angesichts einer Gefahr, die genauer zu bezeichnen er sich derzeit nicht erlauben mag? Dass es keine Junktims gibt, behaupten immer jene, die sie an Verhandlungstischen intim herbeiführen.

Kim Jong Il und Ahmadinedschad sind beileibe unsympathische Figuren. Doch ist einzuräumen: Im Gegensatz zu diesen beiden Herren hat der US-Präsident die reale Macht, seine Finsternis als globalen Schatten auszuwerfen. Wer von den drei Genannten die meisten Getöteten zu verantworten hat, ist nirgendwo verzeichnet. Die hartnäckige, wirklich hartnäckige Frage danach könnte in einer Christiansen-Runde wohl mit einem künftigen Studioverbot enden. Und zwar nur, weil alle die richtige Antwort wissen, zumindest ahnen, die meisten aber keine Schlussfolgerung daraus zulassen wollen.

Wie auch bei dieser Frage: In wie vielen Kriegen waren die USA auf jener Seite, die man bei aller Kriegsabscheu als moralisch im Recht bezeichnen kann? Mir fällt nur einer ein: Teilnahme an der Anti-Hitler-Koalition. Alle anderen zwei Dutzend US-Kriegsführungen der letzten 200 Jahre (Putschhilfen nicht mitgerechnet) waren Überfälle und Eroberungen. Das ist recht viel, um Bushs Ankündigung vom 20. September 2001, er werde »jede notwendige Waffe des Krieges« einsetzen, um den Terrorismus und die »Achse des Bösen« zu erledigen, nicht weiter ernst zu nehmen. Und aus dem Nordkorea-Abkommen mehr herauszulesen, als einen ganz und gar vorteilhaften Schachzug in dieser Strategie. Man vergesse nicht: Das »Project for the New American Century« ist keine Erfindung von Gegnern der US-Politik. Es ist real, wird Bushs Amtszeit überdauern und zielt auf das Energieherz der Welt. Die USA nennen es »unser Öl«.

Aus: Neues Deutschland, 15. Februar 2007

Weitere Stimmen zum Nuklearabkommen mit Nordkorea

Durchbruch!?

Von Peter Kirschey

Ist es der seit Jahren erhoffte Durchbruch im Konflikt um das nordkoreanische Atomprogramm? Schon mehrfach wurde bei den Sechs-Staaten-Gesprächen der Erfolg bejubelt, der sich schnell wieder zum Misserfolg wandelte. Doch nun scheint er wirklich gekommen zu sein, der Durchbruch. Die KDVR wird ihr atomares Entwicklungsprogramm zurückfahren, im Gegenzug bekommt das Land dringend notwendige Wirtschaftshilfe. Das war schon der Stand von 2003, doch nach der jetzigen Verhandlungsrunde sind die Abmachungen konkret und überprüfbar geworden. Insofern ist man tatsächlich ein Stück weiter.
Alle Seiten werden die Übereinkunft als Sieg ihres unbändigen Friedenswillens und ihres Verhandlungsgeschicks verkaufen. Für Nordkorea ist es ein Geburtstagsgeschenk des »großen Generals« Kim Jong Il an seine, von Energie- und Lebensmittelmangel gezeichneten Landsleute und ein leuchtender Sieg über die Aggressionspläne der USA. Diese wiederum benötigen nach ihren missratenen Kriegsabenteuern dringend einen politischen Erfolg. Der scheidende US-Präsident, der so tief in der Bürgergunst gefallen ist, will am Ende seiner Legislatur wenigstens einen Erfolg auf die Waage legen. Für China und Russland ist es wichtig zu demonstrieren, dass ohne sie keine Übereinkunft möglich ist. Die Vereinbarungen von Peking sind ein guter Schritt zur Sicherheit in Asien, was sie tatsächlich wert sind, wird erst die Zukunft zeigen.

Kommentar aus "Neues Deutschland", 14. Februar 2007


Kim hat die Wahl

(...) Das Abkommen gibt einen konkreten Fahrplan vor zum Einfrieren der Atomanlagen und im Gegenzug für Energie- und Wirtschaftshilfen an das hungernde Land. Ob daraus ein Erfolg wird, hängt von der politischen Bereitschaft in Pjöngjang, aber auch in Washington ab.
Nur wenn die USA zu einer wirklichen politischen Annäherung an das Regime bereit sind - konkret: Aufhebung der Wirtschaftssanktionen, Aufnahme diplomatischer Beziehungen, Streichung von der Liste der Terrorismusstaaten - wird Pjöngjang den Atomausstieg erwägen. Bislang hatte US-Präsident Bush, der Nordkorea einst als Teil der "Achse des Bösen" bezeichnet hatte, direkte Verhandlungen mit dem Regime stets abgelehnt.
Die wichtigste Entscheidung muss jedoch Kim Jong Il in Pjöngjang treffen. Der Diktator, den die Propagandamedien des Landes als "Lieben Führer" betiteln, spielte in dem Atomstreit bisher auf Zeit. Immer wieder ließ er seine Unterhändler Zugeständnisse machen, um diese wenige Tage später zu widerrufen. Nun steht Kim vor der Wahl: Entweder er setzt weiter auf Atombomben und militärische Abschreckung. Oder er nutzt den Atomkompromiss, um sein darbendes Land aus der Isolation zu führen. Harald Maas

Auszug aus einem Kommentar von Harald Maas in der Frankfurter Rundschau, 14.02.2007


Russischer Experte: Nordkorea strebt Normalisierung der Beziehungen zu USA und Japan an

Das Hauptziel Nordkoreas bei den sechsseitigen Verhandlungen in Peking besteht nicht sosehr darin, Erdöl und Energiehilfe zu bekommen, sondern vielmehr Sicherheit durch die Normalisierung der Beziehungen mit den USA und Japan. Diese Auffassung vertrat Professor Georgi Bulytschow, Direktor des Zentrums für moderne Korea-Studien des Institutes für Weltwirtschaft und internationale Beziehungen (IMEMO), auf Anfrage von RIA Novosti. „Es wäre ein großer Irrtum zu glauben, dass Pjöngjang als Gegenleistung für den Verzicht auf sein Nuklearprogramm Erdöl und Wirtschaftshilfe brauche.“ Keinerlei Erdölvorräte könnten Pjöngjang seine Sicherheit ersetzen, so der Experte.

Die letzte Etappe der fünften Runde der sechsseitigen Verhandlungen hatte vom 8. bis 13. Februar in Peking unter Beteiligung ranghoher Diplomaten von Russland, den USA, Nordkorea, der Republik Korea, von China und Japan stattgefunden. Es gelang ihnen, als „gemeinsame Erklärung“ einen Plan für Anfangsmaßnahmen zur nuklearen Abrüstung von Pjöngjang im Austausch gegen Energiehilfe und gegen das Versprechen der USA und Japans anzunehmen, Verhandlungen über die Normalisierung ihrer Beziehungen zu Nordkorea aufzunehmen.

Nach Schätzungen einer Reihe von Medien und von Politologen hat Nordkorea unter Nutzung seines Nuklearprogramms einfach Brennstoff erhalten wollen. Bulytschow stimmte dieser Meinung nicht zu. Er verwies auf die Gefahr, dass alles wieder an den Ausgangspunkt zurückkehren könne, sollten die Verhandlungen über die Normalisierung der Beziehungen Nordkoreas mit den USA und Japan in eine Sackgasse geraten. „Pjöngjang ist offensichtlich ebenfalls darauf gefasst“, so der Experte. „Für Pjöngjang ist es sehr wichtig zu verstehen, welche Garantien es dafür gibt, dass dieser Friedensprozess nach dem Ablauf der Vollmachten der gegenwärtigen US-Administration fortgesetzt wird“, bemerkte Bulytschow. Nach seiner Ansicht wird dieser Prozess bis zum Ablauf der Amtszeit von George Bush als US-Präsident „langsam und rückläufig“ sein. Zugleich habe die gegenwärtige Verhandlungsrunde eine unerwartete Wende der amerikanischen Politik in den Beziehungen mit Nordkorea buchstäblich um 180 Grad demonstriert, fuhr der Experte fort. „Die USA haben faktisch all den Punkten zugestimmt, die bereits seit Jahren von der Weltgemeinschaft und von Pjöngjang selbst vorgeschlagen worden waren. Dabei hat es keine äußeren Anregungen dafür gegeben“, so der Experte. Er schloss nicht aus, dass das Bestreben der USA, den Ruf der Bush-Administration nach dem Sieg der Demokraten bei den Parlamentswahlen Ende vergangenen Jahres und vor dem Hintergrund der Probleme im Irak zu verbessern, eine Rolle gespielt hat. „Vor allem aber hat der Atomtest von Nordkorea eine Rolle gespielt, und zwar nicht aus militärischer Sicht, denn ein Sprengsatz stellt noch keine wirkliche Gefahr seiner Anwendung dar.“

Nordkorea hatte am 9. Oktober 2006 eine unterirdische Nuklearexplosion unternommen, nachdem die sechsseitigen Verhandlungen wegen der gegen Pjöngjang verhängten Finanzsanktionen eingefroren worden waren.

Die gegenwärtige Haltung Washingtons betrachtet Bulytschow als politisches Echo der Atomexplosion in Nordkorea. Es handelt sich hierbei auch um Folgen des Zerfalls des Nichtweiterverbreitungsregimes, um das iranische Problem und um einen möglichen „Domino“-Effekt in Asien, wenn Taiwan, Südkorea und Japan in den Besitz von Atomwaffen gelangen wollen. „Dieser Faktor hat die US-Administration dazu bewogen, auf die Priorität des Regimewechsels in Pjöngjang zu verzichten und die Aufgabe zur Zügelung des Nuklearprogramms von Pjöngjang zu stellen“, sagte der Experte.

Quelle: RIA Novosti, 15. Februar 2007




Zurück zur Korea-Seite

Zurück zur Homepage