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Tage des Zorns in Pjöngjang

Auf der koreanischen Halbinsel ist eine neue Eiszeit angebrochen

Von Peter Kirschey *

Droht auf der koreanischen Halbinsel ein neuer militärischer Konflikt? Nähme man offiziöse Äußerungen aus der nördlichen Koreanischen Demokratischen Volksrepublik (KDVR) für bare Münze, so schiene ein Krieg unausweichlich.

»Die Konfrontation zwischen dem Norden und dem Süden auf politischem und militärischem Gebiet hat einen extremen Tiefpunkt erreicht. Die innerkoreanischen Beziehungen stehen vor dem Abgrund eines Krieges«, hieß es in einer Verlautbarung des »Komitees für die Friedliche Wiedervereinigung«, die am 30. Januar veröffentlicht wurde.

Weiter hieß es in der Erklärung: Die »Bande um Ri Myong Bak (so die nordkoreanische Schreibweise des seit einem knappen Jahr in Südkorea amtierenden konservativen Staatspräsidenten Lee Myung Bak - d. Red.)) beruft fast jeden Tag außerordentliche Versammlungen ein, redet von noch strengerem Zustand der Bewachung und lässt die ganze Marionettenarmee in die Kriegsbereitschaft einrücken und ihre Land-, See- und Luftstreitkräfte in großem Umfang auf die Gegenden um die militärische Demarkationslinie wie aufs Westmeer konzentrieren.«

Auffällig ist, dass sich in dieser für die koreanischen Halbinsel so wichtigen Frage nicht »der große Führer«, die Regierung, das Politbüro der Partei der Arbeit Koreas oder die Militärführung äußert, sondern jenes Komitee, das als Massenorganisation vereinigungs-williger Bürger im politischen System der KDVR eigentlich von untergeordneter Bedeutung ist. Immerhin legte die Parteizeitung »Rodong Sinmun« zwei Tage später nach. »Konfrontation bedeutet eskalierende Spannungen, und das könnte zu einem unkontrollierbaren und unvermeidbaren militärischen Konflikt und einem Krieg führen«, hieß es in einem Kommentar. Inwieweit die Ankündigung, alle Nord-Süd-Vereinbarungen zu annullieren, tatsächlich dazu führen wird, dass sämtliche zweiseitigen Verträge auf Eis gelegt werden, bleibt abzuwarten.

Seit dem Machtantritt des südkoreanischen Präsidenten Lee, der den um Ausgleich bemühten Roh Moo Hyun ablöste, deutete sich die Eiszeit zwischen den beiden koreanischen Staaten an. Lee zeigte sicht nicht mehr bereit, die »Sonnenscheinpolitik« seiner Vorgänger Kim Dae Jung und Roh Moo Hyun gegenüber dem Norden fortzusetzen. Mit seinen Forderungen nach Gegenleistungen für weitere Wirtschaftshilfen stieß Lee jedoch bei der nordkoreanischen Seite auf strikte Ablehnung.

Ein nicht unwesentlicher Anlass für die Zuspitzung dürften die in Südkorea und Japan wuchernden Spekulationen um den Gesundheitszustand des nordkoreanischen Führers Kim Jong Il gewesen sein. Wöchentlich verbreiteten westliche Medien die wildesten Spekulationen darüber, in welcher Verfassung sich Kim befinde, wer als Nachfolger in Frage komme und welche Rolle das Militär im Norden künftig spielen werde.

Diese Spekulationswelle betrachtet die Führung der KDVR als schwer wiegenden Eingriff in ihre inneren Angelegenheiten. Der Kult um die Person Kim Jong Ils hat seit seiner Machtübernahme nach dem Tode seines Vaters Kim Il Sung im Jahre 1994 ungekannte Ausmaße erreicht. Kim Jong Il wird in den offiziellen Medien des Landes - und andere gibt es nicht - als gottähnliches Wesen, als Weltbefreier und Führer des revolutionären Weltprozesses dargestellt. Alles, was diesem Bild entgegensteht, etwa Geschichten um seine mutmaßlichen Gebrechen, empfinden die Nordkoreaner als unzulässige Einmischung.

In gleicher Weise ist es für die nordkoreanische Führung inakzeptabel, dass Gruppen aus dem Süden versuchen, Ballons mit Flugblättern über die Demarkationslinie schweben zu lassen, um die Bevölkerung zu beeinflussen. Das läuft dem Streben nach totalen Kontrolle des Volkes zuwider und wird mit entsprechender Schärfe bekämpft.

Die KDVR-Führung arbeitet derweil daran, die Bevölkerung bis zum Jahr 2012 zu neuen Höchstleistungen zu mobilisieren. Dann jährt sich der Geburtstag des Staatsgründers Kim Il Sung zum 100. Male. Das Land soll endlich den Teufelskreis von wirtschaftlichen Misserfolgen und Hungersnöten verlassen, um sich weltweit als Paradies des Volkes und Kraftquell der Weltrevolutionen zu präsentieren. Allem, was dem entgegensteht, wird wütende Propaganda entgegengeschleudert.

* Aus: Neues Deutschland, 12. Februar 2009


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