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Pjöngjang empört über Seouler Papier

Trotz Drohungen wird wieder verhandelt

Von Peter Kirschey *

Die Meldungen von der koreanischen Halbinsel sind wechselhaft wie das Wetter: Gerade hatte die nordkoreanische Demokratische Volksrepublik der Republik (Süd-)Korea Verhandlungen über die Wiederaufnahme gemeinsamer Tourismusprojekte vorgeschlagen und ein Angebot des Südens über Nahrungsmittelhilfe akzeptiert. Da folgte am vergangenen Freitag (15. Jan.) aus Pjöngjang die Drohung, keine Gespräche mit Südkorea mehr zu führen und einen »heiligen Krieg« zu beginnen.

Der Aufruf zum »heiligen Vergeltungskrieg« gegen den Süden war die Reaktion auf Berichte über einen »Notfallplan« der südkoreanischen Regierung für den Fall des Zusammenbruchs im Norden. Auf solche Pläne müsse die Republik Korea verzichten und sich dafür entschuldigen, forderte das Nationale Verteidigungskomitee, dessen Vorsitzender Kim Jong Il ist.

Sollte Nordkorea in Verkennung der Realitäten tatsächlich ein militärisches Abenteuer lostreten wollen? Nach wie vor ist die KDVR im Verständnis ihrer Führung das wahre Vaterland aller Koreaner und sieht sich zur »Befreiung« des Südens legitimiert. Folgt man ihren Worten, fühlt sie sich als Atommacht auch stark genug dafür.

Im Süden ist man seit Jahrzehnten auf dieses Szenario vorbereitet und hat Pläne in den Schubladen, wie auf einen Angriff aus dem Norden zu reagieren wäre. Oder auf andere extreme Ereignisse: Katastrophen, innere Unruhen, Massenfluchten über die Demarkationslinie oder eine Übernahme der Macht in Pjöngjang durch Militärs. Die jüngste Währungsreform in Nordkorea oder die im Dezember begonnene Kampagne gegen »unordentliche Frisuren« und westliche Mode hätten möglicherweise zu Unruhen führen können, doch die Bevölkerung hat die bitteren Pillen offenbar geschluckt.

Seit Nordkorea seine atomaren Muskeln spielen lässt, werden die Notfallpläne im Süden überarbeitet. Details des Papiers mit dem nebulösen Titel »Einsatzplan 5029« sind geheim, doch sicher dürften Atomanlagen und Raketenabschussrampen im Norden darin berücksichtigt worden sein. Es heißt, den Reaktionsplänen zufolge sollen USA-Streitkräfte die nordkoreanischen Nuklearanlagen ausschalten. Ob das angesichts der geballten Militärkonzentration auf beiden Seiten der Grenze möglich ist, ohne ein unkontrollierbares Inferno auszulösen, daran äußerte die südkoreanische Nachrichtenagentur Yonhap erhebliche Zweifel.

Für den Fall, dass es an der Demarkationslinie zu Massenübertritten kommt, soll Südkoreas Armee einen Wall bilden, um ein Chaos im eigenen Gebiet abzuwenden. Seoul liegt immerhin nur eine Autostunde von der Grenze entfernt, Zehntausende Flüchtlinge könnten in kürzester Zeit die Infrastruktur der Hauptstadtregion lahm legen. Sei es wie es sei: Der Süden müsse auf den Plan 5029 verzichten, fordert Nordkorea und sieht in den Schubladenpapieren eine inakzeptable Einmischung in seine inneren Angelegenheiten.

Trotz des verbalen Säbelrasselns gibt es indes keine Anzeichen für eine besonders angespannte Lage, denn der Norden braucht vor allem wirtschaftliche Fortschritte. Pjöngjang hofft in diesem Jahr auf einen sichtbaren Aufschwung und die Überwindung der schweren Krise der vergangenen 20 Jahre. Bis zum 100. Geburtsjahr des »ewigen Präsidenten« Kim Il Sung im Jahre 2012 soll das Tor aufgestoßen werden »beim Aufbau einer großen aufblühenden Macht«. 2010 soll das »Wendejahr« sein. Kim Jong Il habe dafür eine »grandiose Konzeption« entwickelt, hieß es im gemeinsamen Leitartikel der KDVR-Zeitungen zum Jahresbeginn. Aber auch: »Der Weg zur Verbesserung der Nord-Süd-Beziehungen sollte geöffnet werden.«

Am Montag (18. Jan.) wurde denn auch gemeldet, Pjöngjang billige die Einreise südkoreanischer Regierungsbeamter nach Kaesong, wo am Dienstag Gespräche über die weitere Entwicklung des gemeinsamen Industrieparks nahe der Demarkationslinie beginnen sollen.

* Aus: Neues Deutschland, 19. Januar 2010


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