Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Bulldozer in Seoul

Südkoreas rechte Regierung intensiviert ihre Angriffe auf die Arbeiterbewegung. Gewerkschaften und Linke in der Defensive

Von Raoul Rigault *

Bulldozer wird neuer Präsident Südkoreas«, titelte das Springerblatt Die Welt, nachdem Lee Myung-bak Mitte Dezember 2007 mit 50,3 Prozent der Stimmen zum Staatschef gewählt wurde. In den letzten Wochen hat der einstige Chefmanager des Hyundai-Konzerns seine »zupackende Art« wieder einmal unter Beweis gestellt. Hauptfeind sind dabei nach wie vor die Gewerkschaften, die seiner Vorstellung von Wettbewerbsfähigkeit und Gefolgschaftstreue widersprechen. Doch auch die linke Democratic Labour Party (DLP) als stärkste politische Kraft der südkoreanischen Arbeiterbewegung hat inzwischen mit schweren Repressalien zu kämpfen.

Kernstück der von Lee ins Visier genommen »klaren Verhältnisse« ist das neue Arbeitsgesetz, das am 1. Juli in Kraft treten soll. Es soll einerseits die Gewerkschaftsapparate schwächen und andererseits den Einfluß der – insbesondere in der Industrie gut verankerten – kämpferischen Betriebsgewerkschaften des linken Dachverbandes KCTU zurückdrängen. Bislang sind die meisten führenden Funktionäre keine Angestellten der Gewerkschaften, sondern werden von ihren Unternehmen freigestellt und erhalten weiterhin den vollen Lohn. Dies wird nun untersagt. Sinnigerweise verbietet der Gesetzentwurf in einem weiteren Artikel Streiks gegen diese Regelung. Zudem soll die Abkehr vom Prinzip »Ein Betrieb – eine Gewerkschaft« festgeschrieben werden. Die im Widerstand gegen die Militärs im Untergrund entstandene KCTU, die 40 Prozent der Organisierten vertritt, sieht darin einen Versuch, ihren Einfluß zurückzudrängen und die Dominanz der sozialpartnerschaftlichen FKTU wiederherzustellen. Deshalb kündigte sie bereits einen bedingungslosen Kampf zur Beseitigung der Gegenreform an.

Eine von der Föderation der Koreanischen Industrie durchgeführte Umfrage zeigt, daß 72,6 Prozent der 201 Großkonzerne des Landes aufgrund der Gesetzesinitiative mit einem »stürmischen Jahr« und »schwierigen Beziehungen zwischen Arbeit und Management« rechnen. Um ein Bröckeln der Front zu verhindern, forderte Arbeitsminister Yim Tae-hee am 7.Januar die Unternehmen öffentlich zu einer »strikten Umsetzung« der neuen Vorschriften auf.

Die Regierung macht derweil vor, wie es geht. Besonders am Herzen liegt ihr dabei die Gleichschaltung des Staatsapparates. Zielscheibe ist hier die aus der Fusion dreier Branchenverbände entstandene Korean Government Employees’ Union (KGEU). Dieser wird die Anerkennung versagt wird, weil sie der KCTU angehört und sich weigert, aus dem Staatsdienst entlassene Mitglieder auszuschließen. Am 1. Dezember 2009 wurden bei ihr und der Eisenbahnerunion KRWU, deren Streik kurzerhand für illegal erklärt worden war, Polizeirazzien durchgeführt, Computer, Schriftstücke und anderes Material beschlagnahmt. Bereits zuvor waren den öffentlich Bediensteten politische Äußerungen in jeder Form untersagt worden.

Nicht weniger rauh ist das Klima an den Schulen. Vierzehn Lehrer wurden bislang als Rädelsführer angeblicher »Anti-Regierungskampagnen« gefeuert, 41 weitere suspendiert. Insgesamt wurden, laut Bildungsministerium, insgesamt 89 Aktivisten der 70000 Mitglieder der Korean Teachers and Educational Workers’ Union (KTU) belangt. Anlaß waren zwei Petitionen gegen zunehmende Einschränkungen der demokratischen Rechte, die von jeweils rund 20000 Lehrern unterzeichnet wurden. Es handelt sich um die größte einzelne Disziplinierungsak­tion seit Gründung der Gewerkschaft 1998.

Ende Januar / Anfang Februar gingen Bulldozer Lee Myung-bak und sein Kabinett dann noch einen Schritt weiter und ließen zweimal das Hauptquartier der größten Linkspartei DLP durchsuchen. Grund für die Einsätze von bis zu sieben Hundertschaften der Bereitschaftspolizei war die Vermutung, daß insgesamt 303 KGEU- und KTU-Mitglieder auch der Democratic Labour Party angehören könnten, obwohl Beamten und Staatsangestellten Parteimitgliedschaften untersagt sind. Zugleich ergingen 31 Vorladungen an Gewerkschafter.

Gleichwohl hat die seit Jahren andauernde Krise der KCTU tiefere Ursachen. Nach Ansicht der linken Tageszeitung Hankyoreh ist ihr »Niedergang« insbesondere verursacht durch den »Eindruck, daß sie eine Organisation nur für regulär Beschäftige ist« und das Heer der Prekären, allen Lippenbekenntnissen zum Trotz, weitgehend ignoriert. Ob der neue, Ende Januar mit nur 52 Prozent der Stimmen gewählte Generalsekretär Kim Young-hoon den Mitgliederschwund auf mittlerweile nur noch 650000 stoppen kann, ist fraglich. Der 42jährige ehemalige Vorsitzende der Transportarbeitergewerkschaft ist nicht nur der bislang jüngste Generalsekretär des Verbandes, sondern nach allgemeiner Einschätzung auch der moderateste.

Die ökonomischen Rahmenbedingungen sind alles andere als vorteilhaft. Die offizielle Arbeitslosenzahl ist binnen Jahresfrist von 848000 auf 1,21 Millionen gestiegen und damit so hoch wie seit zehn Jahren nicht mehr. Real müssen, der Korea Times zufolge, vier Millionen Menschen als erwerbslos betrachtet werden, und der Aufschwung lässt auf sich warten. Da verwundert es nicht, daß die Zahl der Streiktage 2009 deutlich um 22,6 Prozent zurückging. 93 Prozent der Arbeitskämpfe wurden von der KCTU geführt. Erfolge konnte sie jedoch nur wenige erringen. Dennoch setzt die neue Führung auf betriebliche Auseinandersetzungen, mit denen die Kraft für einen Generalstreik »als letztes Mittel« gesammelt werden soll. Ansonsten will man »die progressiven Parteien an einen Tisch bringen« und hofft auf deren Wahlerfolge. Der »Bulldozer« im Blauen Haus in Seoul wird dem kaum tatenlos zusehen.

* Aus: junge Welt, 16. Februar 2010


Zurück zur Korea-Seite

Zurück zur Homepage