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Aus einer Übung wird rasch der Ernstfall

Nach dem schwersten militärischen Zusammenstoß zwischen Nord- und Südkorea seit 50 Jahren / Feuergefecht lässt die Lage auf der Halbinsel eskalieren

Von Peter Kirschey *

Südkoreas Präsident Lee Myung Bak hat angekündigt, die Präsenz seiner Truppen im Gelben Meer zu verstärken. Das Echo aus dem Norden ließ nicht auf sich warten: »Ohne zu zögern« werde man eine zweite oder sogar dritte Runde von Schlägen ausführen, »sollten die Kriegstreiber in Südkorea erneut rücksichtslos provozieren«, zitierte die Nachrichtenagentur KCNA Militärkreise in Pjöngjang.

Macht Nordkorea wahr, was immer wieder in wütenden Mitteilungen angekündigt wurde: erbarmungslose Vergeltung? Am Wochenende wollen Südkorea und die USA demonstrativ ein viertägiges Seekriegsmanöver beginnen, der atomgetriebene US-amerikanische Flugzeugträger »George Washington« bewegt sich in Richtung der Küste Koreas. Vier Tage, nachdem nordkoreanische Artilleriegranaten auf der Insel Yonpyong nach südkoreanischen Angaben vier Personen getötet haben, scheint sich die Lage weiter zuzuspitzen.

Aus nordkoreanischer Sicht gingen dem Granatenhagel Schüsse von südkoreanischen Artilleriestellungen auf der Insel in nordkoreanisches Seegebiet des Gelben Meeres (in Korea »Westmeer« genannt) voraus. Ein hoher KDVR-Militär habe erst über den heißen Draht mit der »feindlichen Seite« telefoniert, dann sei unter Berufung auf das Selbstverteidigungsrecht zurückgeschossen worden. »Sollte die südkoreanische Marionettengruppe es wagen, auch nur 0,0001 Millimeter in Nordkoreas Hoheitsgewässer vorzudringen, wird die revolutionäre Streitmacht nicht zögern, weiter gnadenlose militärische Gegenmaßnahmen zu ergreifen«, hieß es in einem Kommuniqué des Oberkommandos der Koreanischen Volksarmee.

Bis 2007 schien sich die koreanische Halbinsel, auf der seit dem Ende des Koreakrieges 1953 nur ein Waffenstillstandsabkommen gilt, in Richtung eines dauerhaften Friedens zu bewegen. Die KDVR schien als Gegenleistung für wirtschaftliche Hilfe ihre atomare Aufrüstung beenden zu wollen, die Staatschefs von Nord und Süd trafen sich 2000 und 2007 zu demonstrativem Schulterschluss. Es war die Zeit der »Sonnenscheinpolitik«, für die Südkoreas damaliger Präsident Kim Dae Jung mit dem Friedensnobelpreis geehrt wurde. Seit der Abkehr des derzeitigen Präsidenten Lee Myung Bak von dieser Linie verschärften sich die Spannungen jedoch wieder. Und spätestens seit dem Untergang der südkoreanischen Fregatte »Cheonan« im Frühjahr, dem 46 Besatzungsmitglieder zum Opfer fielen, stehen die Zeichen auf Konfrontation. Beide Seiten beschuldigten einander, hinter der Explosion auf dem Schiff zu stecken.

Die Demokratische Volksrepublik steht seit nunmehr zwei Jahrzehnten mit dem Rücken zur Wand, ohne wirkliche Freunde und Verbündete, am Rande des wirtschaftlichen Bankrotts, unter dem Druck der vom Westen inspirierten UNO-Sanktionen, als »Schurkenstaat« diskreditiert, der von einem »irren Diktator« beherrscht wird. Die Führung in Pjöngjang fühlt sich in die Enge getrieben, reagiert harsch und trotzig: Wenn die Welt uns nicht mag, dann mögen wir die Welt nicht.

Was will die Führung in Pjöngjang? Sie will, dass ihr Staat von der Welt akzeptiert wird, dass die USA einen Friedensvertrag mit der KDVR schließt, der die Anerkennung ihrer Machtstrukturen garantiert und ihr die Angst vor einem vom Süden geförderten Umsturz nimmt. Sie will ein Ende der UNO-Sanktionen und schließlich materielle Unterstützung bei der Überwindung der dramatischen wirtschaftlichen Lage. Nach eigener Überzeugung kann sie diese Ziele nur als starke Militär- und Atommacht erreichen. Denn nur eine solche Macht werde von den USA als Partner respektiert.

Ernsthaft sind die USA und ihre Verbündeten Japan und Südkorea niemals zu Werke gegangen, um den Brandherd auf Dauer zu löschen. Es funktioniert nicht, mit den Nordkoreanern verhandeln zu wollen, ohne sie zu akzeptieren. Alle Sanktionen haben sich als wirkungslos erwiesen, durch Druck ist dem hochgerüsteten Staat nicht beizukommen.

Selbst die Volksrepublik China ist der KDVR kein wirklicher Freund mehr, wenngleich die Freundschaft bei den jüngsten Besuchen des Führers Kim Jong Il in Peking immer wieder beschworen wurde. China betreibt eine pragmatische Korea-Politik. Allerdings kann Peking kein Interesse daran haben, dass der Staat im Norden der Halbinsel zusammenbricht: In einem solchen Fall stünden USA-Truppen faktisch an der Grenze Chinas – und Russlands. Also wird Peking bemüht sein, Nordkorea als Puffer zur US-amerikanischen Militärmacht zu erhalten. Das weiß man auch in Pjöngjang, woraus folgt, dass man dem großen Bruder längst nicht mehr aufs Wort gehorcht.

Entschärfen lässt sich der Konflikt nur, wenn ernsthaft und auf gleicher Augenhöhe mit Nordkorea verhandelt wird. Das kostet nicht viel, bringt aber ungleich mehr Sicherheit als das ständige Balancieren am Rande des Abgrunds.

Hintergrund - Umstrittene Seegrenze

Nach dem Korea-Krieg wurde 1953 die Waffenstillstandslinie quer durch das Land zur massiv gesicherten Grenze zwischen Nord und Süd. An der Westküste beider Staaten im Gelben Meer schließt sich am 38. Breitengrad eine rund 200 Kilometer lange Seegrenze an. US-General Mark W. Clark, seinerzeit Kommandeur der unter UN-Flagge operierenden Streitkräfte, legte diese »Northern Limit Line« (NLL) 1953, nach Abschluss des Waffenstillstandsabkommens, einseitig fest. Nordkorea hat die vier Kilometer breite Grenzzone nie anerkannt.

Pjöngjang kritisiert, dass durch die NLL einige Inseln vor seiner Küste an Südkorea fallen, und legte 1999 eine weiter südlich verlaufende Seegrenze fest. Die umstrittenen Inseln sind bis zu 150 Kilometer vom südkoreanischen Festland, in einem Fall aber nur zwölf Kilometer von Nordkorea entfernt. Yonpyong ist mit sieben Quadratkilometern die drittgrößte dieser Inseln.

Beide Seiten nutzten das Seegebiet wiederholt für Machtdemonstrationen. Mehrfach gab es dort militärische Angriffe und Seegefechte. 1999 kamen bei einem Gefecht zwischen nord- und südkoreanischen Kriegsschiffen nahe Yonpyong wahrscheinlich rund 20 Nordkoreaner ums Leben. 2002 überfuhren KDVR-Kriegsschiffe bei Yonpyong die NLL und wurden von südkoreanischen Booten zurückgedrängt. Dabei wurden fünf Südkoreaner und vermutlich 30 Soldaten aus dem Norden getötet. Vor der Insel Dächong starben im November 2009 bis zu zehn Nordkoreaner, als ihr Kanonenboot von südkoreanischen Kriegsschiffen beschossen wurde.

Im März 2010 sank die südkoreanische Fregatte »Cheonan« nach einer Explosion. 46 Seeleute starben. Südkorea beschuldigt den Norden, das Schiff versenkt zu haben, was Pjöngjang bestreitet. Dem Artilleriebeschuss der Insel Yongpyong gingen mehrere Zwischenfälle voraus. Schon im Januar schlugen in der Nähe Artilleriegeschosse ein, im August folgten weitere Granaten aus dem Norden.
dpa/ND



* Aus: Neues Deutschland, 26. November 2010


Drehbuch Bush

Korea-Krise verschärft. US-Flugzeugträger ins Gelbe Meer unterwegs: "Botschaft an China"

Von Knut Mellenthin **


Mit der Entsendung des Flugzeugträgers »George Washington« ins Gelbe Meer treibt die US-Regierung den Nervenkrieg um Korea gezielt voran. Der Träger, auf dem sich 75 Kampfflugzeuge befinden, wird wie üblich von einer Gruppe anderer Kriegsschiffe begleitet, zu der auch ein U-Boot gehört. Offizieller Vorwand ist die Teilnahme an einem viertägigen gemeinsamen Manöver mit den südkoreanischen Streitkräften, das am Sonntag beginnen soll. Die Militärübung war schon seit Juli geplant, jedoch nicht mit einer derart starken US-amerikanischen Beteiligung. Im August hatte die US-Regierung auf ein angekündigtes Manöver mit der »Washington« im Gelben Meer verzichtet, nachdem China vor negativen Auswirkungen auf die Beziehungen zwischen beiden Staaten gewarnt hatte.

Die Washington Post beschrieb die Entsendung des Flugzeugträgers am Donnerstag (24. Nov.) als »Botschaft an China«. Präsident Barack Obama übernehme damit »eine Seite aus dem Drehbuch seines Vorgängers George W. Bush«, der versucht habe, China von der Notwendigkeit zu überzeugen, gemeinsam Front gegen Nordkorea zu machen. Bush behauptet in seinen Anfang des Monats erschienenen Memoiren »Decision Points«, daß er dem chinesischen Präsidenten Jiang Zemin im Februar 2003 mit Militäraktionen gegen Nordkorea gedroht habe. Erst das habe China dazu gebracht, mit den USA gegen das nordkoreanische Atomprogramm zusammenzuarbeiten. Diese Erfahrung, so die Washington Post, sei auch schon während der Regierungszeit von William Clinton gemacht worden. Das Blatt zitiert in diesem Zusammenhang die damalige stellvertretende Staatssekretärin im Außenministerium, Susan Shirk, mit den Worten: »Die Geschichte des chinesischen Eingreifens zeigt, daß sie immer nur dann aktiv wurden, um Nordkorea in seine Schranken zu weisen, wenn sie eine Militärintervention von unserer Seite befürchteten.«

Nach dem Artillerieschußwechsel vom Dienstag hat Südkorea seine Streitkräfte auf den Inseln vor der nordkoreanischen Küste demonstrativ verstärkt. Auch der Rücktritt von Verteidigungsminister Kim Tae-jung am Donnerstag deutet auf einen aggressiveren Konfrontationskurs Seouls hin. Kim war in den vergangenen Tagen das Ziel heftiger Angriffe aus dem Militär und von rechten Medien, die die bisherigen Aktionen gegen Nordkorea als zu langsam und zu schwach kritisierten. Präsident Lee Mjung-bak nahm den Rücktritt seines Ministers mit der Erklärung an, dieser diene »der Verbesserung des Klimas im Militär«.

Der Zwischenfall von Montag, bei dem vier Südkoreaner – zwei Soldaten und zwei Zivilisten – ums Leben kamen, wird weithin als bedeutendste militärische Konfrontation seit dem Ende des Korea-Krieges 1953 bezeichnet. Das ist jedoch stark übertrieben. In dem umstrittenen Seegebiet gab es im Laufe der Jahrzehnte immer wieder Zusammenstöße. Die wohl schwersten waren zwei Seegefechte, an denen mehrere Kriegsschiffe beider Seiten beteiligt waren, am 15. Juni 1999 und am 29. Juni 2002.

Die von Pjöngjang nicht anerkannte Seegrenze verläuft in diesem Gebiet so, daß sie mehrere dicht vor der nordkoreanischen Küste liegende Inseln einschließt. Südkorea provoziert in der umstrittenen Zone ständig mit dem Einsatz von Kriegsschiffen und Gewaltaktionen gegen nordkoreanische Fischer. In den Mainstream-Medien wird vielfach behauptet, dieser Grenzverlauf sei von den Vereinten Nationen festgelegt worden. Das ist jedoch zumindest irreführend. Tatsächlich gezogen wurde die Linie am 30. August 1953 eigenmächtig von US-General Mark Wayne Clarke, der das Oberkommando über die nominell unter dem Mandat des UN-Sicherheitsrats stehenden Truppen hatte. Diese kamen zwar aus mindestens 17 Ländern, bestanden aber zu über 90 Prozent aus Angehörigen der US-Streitkräfte. Das am 27. Mai 1953 geschlossene Waffenstillstandsabkommen hatte nur den Verlauf der Landgrenze zwischen beiden Teilen Koreas festgelegt.

** Aus: junge Welt, 26. November 2010


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