Erinnerung mit Lücken
Vor 60 Jahren endete der Koreakrieg. Gedenken in Pjöngjang, Seoul, China und USA
Von Rainer Werning *
Die Zahl »60« ist in Ostasien in höchstem Maße symbolträchtig. Der bedeutsamste Geburtstag im Leben eines Menschen ist der sechzigste. Ein solcher Geburtstag wurde am Wochenende in Süd- und Nordkorea sowie in der VR China und in Washington begangen. Doch die Feierlichkeiten zum 60. Jahrestag des Kriegsendes in Korea, des ersten »heißen Konflikts« in der eskalierenden West-Ost-Blockkonfrontation, geriet mitunter zur bizarren Geschichtsklitterung.
In Südkorea heißt der Koreakrieg kurz »6/25« – benannt nach dem 25. Juni (1950), dem Beginn der offenen Kampfhandlungen. In Nordkorea war das der Beginn des »vaterländischen Befreiungskrieges«. In der VR China, die seinerzeit »Freiwilligenverbände« an die Front entsandt hatte, war ihr Engagement Ausdruck »brüderlicher Hilfe« für Nordkorea. Und für die USA, die auf der koreanischen Halbinsel eine UN-Streitmacht aus 15 befreundeten Staaten befehligten, war es schlicht eine »Polizeiaktion«. Das entsprach dem angloamerikanischen Hang zum Euphemismus. Zur gleichen Zeit (1948–1960) führten die Briten einen schmutzigen Kolonialkrieg in Malay (si)a, den sie »emergency« (»Notstand«) nannten. Später, mit Blick auf Nordirland, sollte dann lediglich von »troubles« (»Unruhen«) die Rede sein.
US-Präsident Barack Obama und Verteidigungsminister Charles Hagel begingen den 27. Juli im Gedenken der Koreakriegsveteranen. Das bot erneut reichlich Gelegenheit, ein Loblied auf »freedom & democracy« anzustimmen und die massenhaften Opfer unter der koreanischen Zivilbevölkerung vergessen zu machen. »Gooks« (etwa »kommunistisches Schlitzauge«) war damals die gängige Bezeichnung unter GIs, die in Korea einen antikommunistisch unterfütterten Rassismus austobten.
In Südkoreas Hauptstadt Seoul gelang Präsidentin Park Geun-Hye eine Totalamnesie. Die Tochter des langjährigen Militärdiktators Park Chung-Hee verkündete am Samstag vor einer erlauchten Runde internationaler Gäste, man erinnere heute insbesondere an die Beteiligung der UN-Streitkräfte. Wörtlich sagte sie: »In den vergangenen sechs Jahrzehnten herrschte auf der koreanischen Halbinsel ein unsicherer Frieden. Jetzt ist es an der Zeit, die Konfrontation und den Antagonismus zu beenden und eine neue Ära zu eröffnen.« Der einzige der damaligen Antagonisten, der sich geweigert hatte, am 27. Juli 1953 seine Unterschrift unter das Waffenstillstandsabkommen von Panmunjom zu setzen, war Südkoreas Präsident Rhee Syngman. Er wollte den Krieg unbedingt fortsetzen.
Eine triumphalistische Atmosphäre herrschte in Nordkoreas Hauptstadt Pjöngjang. Dort feierte man den Samstag als »Tag des Sieges im vaterländischen Befreiungskrieg«, den Kim Jong-Un weidlich nutzte, um an die Errungenschaften seines Großvaters und Staatsgründers Kim Il-Sung zu erinnern. Militärparaden, Massenaufmärsche und Waffenschauen prägten das Stadtbild. Eigens aus Peking angereist war mit Chinas Vizepräsident Li Yuanchao ein hochrangiger Politiker, der seinen Aufenthalt nutzte, die nordkoreanische Führung zu neuerlichen Verhandlungen zur Beilegung des schwelenden Atomkonflikts zu bewegen.
Hwang Sok-Yong, Südkoreas bedeutendster zeitgenössischer Schriftsteller, erinnerte sich im Gespräch mit jW: »Unmittelbar nach der Befreiung (1945) begann der Kalte Krieg, der eigentlich bis zu Beginn der 1990er Jahre andauerte. Und mit dem Krieg kam die Teilung unseres Landes. Das Tragischste war, daß das alltägliche Leben stets durch Unterdrückung und Bevormundung geprägt war und unsere Familien zerrissen blieben. Nord- und Südkoreaner mußten jahrelang auf rauchenden Kanonenrohren ihren Reis kochen.
* Aus: junge Welt, Montag, 29. Juli 2013
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