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Umkämpfter Breitengrad

Geschichte. Am 27. Juli 1953 wurde im Koreakrieg ein Waffenstillstandsabkommen geschlossen. Von da an bauten die USA ein dichtes Netz von Militärbasen auf, um weltweit gegen den sowjetischen Einfluß vorgehen zu können

Von Rainer Werning *

Sehnlichst hatten die Koreaner gehofft, das Ende des Zweiten Weltkrieges werde ihnen nach 36jähriger unmittelbarer japanischer Kolonialherrschaft (1910–1945) endlich Freiheit bescheren. Doch bereits vor Unterzeichnung der Kapitulationsurkunde durch Japan am 2. September 1945 hatten sich die Siegermächte USA und Sowjetunion darauf verständigt, Korea entlang des 38. Breitengrads in zwei Besatzungszonen aufzuteilen. Das Land sollte von ihnen zumindest fünf Jahre lang treuhänderisch verwaltet werden. Nördlich dieser Grenzlinie hatte die Rote Armee das Sagen und protegierte den anti­japanischen Partisanenverband des späteren Präsidenten Kim Il Sung. Südlich davon kontrollierten die USA das politische Geschehen. Washington verhalf dort dem eigens aus US-amerikanischem Exil nach Seoul eingeflogenen Rhee Syngman zur Macht – entgegen dem Willen der damals überall in Korea erstmals entstandenen Volkskomitees. Diese waren Ausdruck einer breiten Massenbewegung, deren Ziel darin bestand, die eigenen Belange selbstbestimmt und demokratisch zu regeln. Führend dabei waren Nationalisten, Konservative, Sozialisten und Kommunisten unterschiedlicher Couleur, die auf jeweils unterschiedliche Weise gegen die japanische Kolonialmacht opponiert oder im Partisanenkampf militärisch Widerstand geleistet hatten. Sie einte nunmehr ein zentrales Anliegen: das koloniale Erbe zu beseitigen und die Weichen für ein unabhängiges, demokratisches Korea zu stellen.

Es waren diese Volkskomitees, die mit Kriegsende die Verwaltung des Landes übernahmen und auf ihrer am 6. September 1945 tagenden Repräsentativversammlung in Seoul die gesamtnationale Volksrepublik Korea proklamierten und deren Regierung wählten. Sie fühlte sich folgenden Zielen verpflichtet: Durchführung einer umfassenden Land- und Agrarreform, Nationalisierung großindustrieller Komplexe sowie Durchsetzung des Achtstundentags, eines Minimumlohns und von Preiskontrollen bei wichtigen Nahrungsmitteln und Mieten. Diese Forderungen waren populär und wurden landesweit unterstützt. Doch die Republik hatte zwei Geburtsfehler – ihr blieb die internationale Anerkennung versagt, und sie war kurzlebig.

»Befriedung« statt Unabhängigkeit

Während Einheiten der Roten Armee bereits Mitte August 1945 in Korea einmarschiert waren und wie zuvor mit den USA vereinbart am 38. Breitengrad halt machten, landete die 7. US-Infanteriedivision erst am 8. September 1945 in Incheon an der Westküste Koreas an. Von der gerade gebildeten koreanischen Regierung nahmen die Besatzungstruppen unter Führung von General John R. Hodge keine Notiz. Statt dessen entstand südlich des 38. Breitengrads die US-amerikanische Militärregierung in Korea (United States Army Military Government in Korea, kurz USAMGIK). In ihrem ersten Generalbefehl wurde die Bevölkerung aufgerufen, deren Anweisungen strikt zu befolgen. Die Menschen in der Hauptstadt Seoul staunten nicht schlecht, als dann auch noch anstelle der koreanischen Flagge das Sternenbanner gehißt wurde.

Den neuen Besatzern waren die Volkskomitees von Anfang an ein Dorn im Auge. Sie galten – so wörtlich – als »akute Bedrohung und kommunistisch unterwandert«. Darum rekrutierten sich die Sicherheitskräfte der USAMGIK und Rhee Syng­mans mehrheitlich aus projapanischen Kollaborateuren. Als ein Mitte November 1945 tagender Kongreß der Volksrepublik es ablehnte, sich selbst aufzulösen, erklärte General Hodge ihn kurzerhand für ungesetzlich. Auf Initiative der Militärregierung konstituierte sich Mitte Februar 1946 ein sogenannter Parlamentarischer Demokratischer Rat. Dessen Vorsitz wurde Rhee übertragen, der während des Pazifikkrieges in Washington die Korea-Kommission geleitet hatte. Obgleich er die koreanische Nachkriegsrealität nicht kannte, avancierte Rhee mit amerikanischer Rückendeckung zur Galionsfigur konservativer Kräfte – Großgrundbesitzer, Adelige, Staatsbürokraten und Militärs –, die mit der früheren Kolonialmacht Japan zusammengearbeitet hatten.

Im September 1946 erließen die US-Behörden Haftbefehl gegen namhafte kommunistische Führer. Diese setzten sich daraufhin in den nördlichen Landesteil ab. Überhaupt zogen es in den folgenden Monaten alle, die damals im Süden in der Kunst- und Kulturszene und im akademischen Betrieb als kritische Intellektuelle Rang und Namen hatte, vor, sich auf Grund wachsender Repression, nördlich des 38. Breitengrads niederzulassen. Im Süden eskalierte der Widerstand, und es kam zu gewaltsamen Protesten. Sie richteten sich in erster Linie dagegen, daß projapanische Kollaborateure in Amt und Würden belassen sowie die Bauern gezwungen wurden, zusätzliche Abgaben an die Behörden zu leisten. Zur Überwachung und Einschüchterung der Bevölkerung entstanden »strategische Weiler«. Dabei handelte es sich um zentrale Sammelstellen, in die sich die Menschen zu Zehntausenden begeben und sich einer »vorsorglichen Untersuchung und Inhaftierung« (Yebi geumsok) unterziehen mußten, um nicht als »Umstürzler« zu gelten.

Erst Teilung ...

Im November 1947 beschloß die Vollversammlung der Vereinten Nationen, die sich damals mehrheitlich aus Vertretern proamerikanischer Staaten zusammensetzte, die Gründung einer provisorischen Kommission für Korea. Als Reaktion auf diese Internationalisierung verweigerte die Sowjetunion Vertretern der Kommission die Einreise in den von ihr kontrollierten Norden des Landes. Im Gegenzug propagierten Washington und die Korea-Kommission die Durchführung separater Wahlen zur Nationalversammlung im südlichen Landesteil. Die fanden schließlich am 10. Mai 1948 unter UN-Aufsicht statt, wurden allerdings von den meisten Parteien als »Schandwahlen« boykottiert. Im Vorfeld hatten sich überdies Terrorbanden blutige Gefechte geliefert, die über 500 Menschenleben kosteten. Die wenigen Wahlbeobachter der UN, etwa drei Dutzend, waren außerstande, ihrer Aufgabe auch nur annähernd gerecht zu werden. Trotzdem bestätigte die UN-Vollversammlung Rhee als Wahlsieger und drückte ihm und der von seiner Regierung schon am 15. August 1948 ausgerufenen Republik Korea den Stempel der Legitimität auf. Als Reaktion auf die Ereignisse im Süden fanden im August 1948 im Norden Wahlen zur Obersten Volksversammlung statt. Sie verliefen weitaus weniger turbulent, doch frei und fair waren auch sie nicht. Wer sich bei der Abstimmung nicht botmäßig verhielt, dem verweigerten die Behörden kurzerhand den Bezugsschein für Lebensmittelrationen. Am 9. September tat es die Regierung in der Hauptstadt Pjöngjang dem Süden gleich, und Kim Il Sung rief seinerseits einen Staat aus, die Demokratische Volksrepublik Korea (DVRK).

Die sowjetische Besatzungsmacht ließ in ihrem Gebiet die Volkskomitees im wesentlichen gewähren. Zudem warf sie ihr politisches Gewicht für die vormals im Grenzgebiet zur Mand­schurei und der Sowjetunion operierende antijapanische Partisanentruppe um Kim Il Sung in die Waagschale. Bereits im Frühjahr 1946 setzte der Norden ein sozialpolitisches Signal, als eine weitreichende Bodenreform über 700000 besitzlosen Bauernfamilien zu Land verhalf – zum Verdruß der früheren Eigner. Die sahen in Nordkorea keine Zukunft für sich. Scharenweise wanderten sie in den Süden ab, wo sich zahlreiche Söhne dieser Enttäuschten bei den Sicherheitskräften bewarben oder mit gleichgesinnten Jugendlichen paramilitärische Schlägertrupps formierten. Für Kim und seine Gefolgsleute bedeutete die überaus populäre Bodenreform zusätzlich einen enormen Legitimationsgewinn – was seinerzeit selbst USAMGIK-Vertreter offen eingestanden –, zumal eine ähnliche Maßnahmen im Süden der Halbinsel ausblieb. Gesellschaft, Politik und Wirtschaft der Volksrepublik wurden von Personen dominiert, die gegen das japanische Kolonialjoch gekämpft hatten. Ein scharfer Kontrast zu den alt-neuen Eliten im Süden, die es, gestützt auf die Bajonette der USAMGIK, erneut und rasch geschafft hatten, Macht und Pfründe zu sichern.

Beide Staaten beanspruchten jeweils für sich, legitimer Sachwalter des einen Korea zu sein. Sah sich die Regierung in Seoul als »Vorposten der freien Welt und im Feldzug gegen den Kommunismus«, wähnte sich die in Pjöngjang als »Basis der koreanischen Revolution und als Bollwerk nationaler Befreiung«. Notfalls, so die Propaganda in beiden Hauptstädten, werde man mit Gewalt die Einheit wiederherstellen. Bewaffnete Provokationen und Konfrontationen entlang der Demarkationslinie am 38. Breitengrad waren an der Tagesordnung und häuften sich seit der Jahreswende 1949/50. Noch herrschte ein labiles Gleichgewicht, wenngleich selbst US-Außenminister Dean Acheson mehrfach gerügt hatte, wie launisch und unkalkulierbar Südkoreas Präsident handelte. Dieser hatte sich öffentlich damit gebrüstet, für einen Waffengang gerüstet zu sein und »im Marsch gen Norden Pjöngjang innerhalb von drei Tagen zu erobern«. Für Rhee wie auch für Tschiang Kai Schek, den Präsidenten der von der Volksrepublik China abtrünnigen Provinz Taiwan, hätten, laut dem US-amerikanischen Publizisten Isidor F. Stone, Frieden das politische Ende beider bedeutet. Rhee wußte nur zu gut, daß im Falle einer militärischen Eskalation US-Truppen in das Geschehen eingreifen und ihm Rückhalt verschaffen würden. Gleichermaßen hätte Frieden, so jedenfalls die damalige Mehrheitsmeinung in Washington, den Plan erschwert, die alten Achsenmächte Japan und Deutschland, genauer die Bundesrepublik, in einen antisowjetischen Kreuzzug einzubinden.

Mehrfach hatte der Süden militärische Angriffe nördlich des 38. Breitengrads verübt, derer sich südkoreanische Offiziere öffentlich brüsteten. Ein Ziel dieser Attacken war die Halbinsel Ongjin, die, wäre sie eingenommen worden, den Truppen Rhee einen direkten Zugang zu Pjöngjang ermöglicht hätte. Vieles spricht dafür, daß im Nordwesten der Demarkationslinie – nahe der Stadt Haeju – südkoreanische Vorstöße auf erbitterten nordkoreanischen Widerstand stießen und diese Verbände ihrerseits Vorstöße unternahmen und mehr und mehr militärische Kontingente in dieser Region zusammenzogen. Vor allem die dort operierende 1. Division und das 17. Infanterieregiment, eine Spezialeinheit antikommunistischer Hardliner unter dem Befehl des späteren ersten Viersternegenerals Südkoreas, Paik Sun Yup, und des Brigadegenerals Kim Sok Won galten als »dragonerhafte« Kampfeinheiten. Paik hatte sich seine militärischen Sporen in der Armee des von 1932 bis 1945 bestehenden japanischen Vasallenstaats »Mandschukuo« verdient, während Kim zuvor der Kaiserlich-Japanischen Armee als Generalmajor gedient hatte. Besonders letzterer galt als unberechenbar. Mehrfach hatte Kim als sein oberstes Ziel verkündet, »in Haeju zu frühstücken, in Pjöngjang zu Mittag zu essen und das Abendessen in Wonsan (nordkoreanische Hafenstadt an der Ostküste, R.W.) einzunehmen«.

... dann Krieg

Im Morgengrauen des 25. Juni 1950 überquerten dann nordkoreanische Panzereinheiten die Demarkationslinie entlang des 38. Breitengrads. Ohne nennenswerte Gegenwehr rückten sie in Seoul ein und stießen binnen weniger Tage sogar bis kurz vor die Hafenstadt Busan im Süden vor. Rhees Truppen mangelte es an Motivation und Kampfkraft; scharenweise desertierten seine Soldaten und liefen zur anderen Seite über. Noch am selben Tag brachten die USA den Vorschlag für eine Resolution in den UN-Sicherheitsrat ein. Die Vereinten Nationen unternahmen keinen Versuch, wenigstens die nordkoreanische Seite anzuhören. Der Forderung Washingtons, mit einem eigenen Truppenkontingent Rhee zu unterstützen und »die Aggression Nordkoreas« zu stoppen, wurde umgehend zugestimmt. Ein Akt, der durch den Boykott der Sowjetunion erleichtert wurde. Diese nahm die mit ihrem Sitz im Sicherheitsrat verbundenen Rechte seit Januar 1950 nicht mehr wahr. Dies geschah aus Protest gegen die Weigerung Tschiang Kai Scheks, seinen Sitz im Sicherheitsrat an die Volksrepublik China abzutreten. Ein Veto blieb demzufolge aus, und Washington bekam am 27. Juni 1950 ein UN-Mandat, in Korea einzugreifen. So standen dem Süden Koreas die USA bei, die ihrerseits das Kommando über eine aus 15 Staaten bestehende UN-Streitmacht innehatten.

Wie eine Feuerwalze rollten die Kriegsmaschinerien beider Seiten mehrfach über die koreanische Halbinsel hinweg. Als die Truppen unter dem Befehl von General Douglas MacArthur (Oberkommandierender der US-Streitkräfte im Fernen Osten), den Yalu, den Grenzfluß zwischen Nordkorea und der Volksrepublik China, erreichten, schrillten in Peking die Alarmglocken. Die chinesische Führung schickte am 19. Oktober 1950 Freiwilligenverbände nach Nordkorea, um dort, so die offizielle Version, »Krieg zum Widerstand gegen die USA und zur Hilfe für Korea« zu führen. Auf diese Weise galt es, die erst am 1. Oktober 1949 errungene Souveränität der Volksrepublik China zu wahren und im Sinne des Gebots der gegenseitigen Hilfe den nordkoreanischen Genossen nunmehr ihrerseits politisch und militärisch beizustehen. Diese hatten noch kurz zuvor zu Zehntausenden auf seiten der chinesischen Volksbefreiungsarmee in der an Nordkorea grenzenden Mandschurei gekämpft.

USA drohen mit Atombombe

In pausenlosen Einsätzen bombardierte die U.S. Air Force großflächig mit B-29-Bombern das Land. Namentlich war es der bis April 1951 amtierende Oberbefehlshaber der US- und UN-Streitkräfte, General MacArthur, der mit dem Einsatz atomarer und chemischer Waffen gedroht hatte. »In postum veröffentlichten Interviews behauptete MacArthur«, notierte der US-amerikanische Koreaexperte und Historiker Bruce Cumings, »einen Plan ausgearbeitet zu haben, mit dem er den Krieg innerhalb von zehn Tagen gewonnen hätte: ›Ich hätte mehr als 30 Atombomben über das gesamte Grenzgebiet zur Mandschurei abgeworfen.‹ Anschließend hätte er am Yalu, dem Grenzfluß zwischen Nordkorea und China, eine halbe Million nationalchinesischer Soldaten – die sich nach ihrer Niederlage 1949 aus dem kommunistischen China nach Taiwan abgesetzt hatten – eingesetzt und dann zwischen dem Japanischen und dem Gelben Meer einen mit radioaktivem Kobalt verseuchten Landgürtel geschaffen. Da Kobalt zwischen 60 und 120 Jahre aktiv bleibt, wäre dann ›mindestens 60 Jahre lang keine Invasion über Land nach Südkorea von Norden aus möglich gewesen‹. MacArthur war überzeugt davon, daß die Russen angesichts dieser extremen Strategie nichts unternommen hätten: ›Mein Plan war bombensicher.‹«

Die »Pulverisierung« – sprich: die atomare Verwüstung – grenznaher chinesischer Städte, um den Krieg in Korea abzukürzen, das ging selbst US-Präsident Harry S. Truman zu weit. Nach einem Krisentreffen mit MacArthur auf der Pazifikinsel Wake gab er am 11. April 1951 vor der internationalen Presse die Absetzung des Generals bekannt und schloß seine Erklärung mit den Worten: »Wir bemühen uns, einen dritten Weltkrieg zu verhindern.«

Erst nach zähen, immer wieder unterbrochenen Verhandlungen kam es am 27. Juli 1953 in dem unwirtlichen Ort Panmunjom auf der Höhe des 38. Breitengrads zum Waffenstillstandsabkommen. Unterzeichnet wurde dieses lediglich von Nordkorea, der Volksrepublik China und im Auftrag der Vereinten Nationen vom US-amerikanischen General Mark W. Clark. Südkoreas Präsident Rhee weigerte sich nicht nur, den Vertag zu unterschreiben, er wollte den Krieg fortsetzen. Erst als die US-Regierung einem bilateralen Sicherheitspakt zustimmte, ihr im Land stationierter Oberbefehlshaber auch die Kommandogewalt über die südkoreanischen Truppen übernahm und Seoul Wirtschafts-, Finanz- und Militärhilfe in Aussicht gestellt wurden, erklärte sich Rhee bereit, die Waffenstillstandsklauseln zu respektieren.

Wie so häufig in seiner Geschichte wurde Koreas geopolitische Lage dem Land zum Verhängnis. Eingekeilt zwischen den übermächtigen Nachbarn China und der Sowjetunion, nur durch eine Meerenge vom im Zweiten Weltkrieg besiegten Japan entfernt, wo die US-Streitkräfte das Sagen hatten. Die koreanische Halbinsel bildete einen geo- und militärstrategisch bedeutsamen Brückenkopf, der insbesondere während des beginnenden West-Ost-Konflikts zum Schauplatz des Kalten Krieges wurde. Anläßlich des Korea-Besuchs einer philippinischen Delegation im Januar 1952 hatte General James A. Van Fleet, Oberbefehlshaber der 8. US-Armee, laut dem bereits erwähnten US-Publizisten Stone erklärt: »Korea hat sich als ein Segen erwiesen. Es mußte ein Korea geben, ob nun hier oder anderswo in der Welt.« Tatsächlich markierte dieser Krieg den Beginn der Herausbildung eines weltumspannenden Netzwerks von Luftwaffenstützpunkten und Marinebasen und eines stets machtvoller werdenden militärisch-industriellen Komplexes. Der Krieg verstärkte aus Sicht der USA auch die Notwendigkeit der bereits 1947 entworfenen Truman-Doktrin mitsamt drastisch erhöhten Militärausgaben. Diese verlangte fortan, überall dort zu intervenieren, wo es galt, tatsächlichen oder vermeintlichen sowjetischen Einfluß zunächst »einzudämmen« (containment policy) und später »zurückzudrängen« (rollback).

Geopolitische Folgen

»Eine fünf Jahre währende Revolution und Konterrevolution eskalierte zum Koreakrieg«, so Iggy Kim. Dies sei »ein letzter und grausamer Schritt zur Zerschlagung der Arbeiter- und Bauernrevolution, die auf die Niederlage der Japaner im Zweiten Weltkrieg folgte«, gewesen. So komplex die innerkoreanischen Konfliktkonstellationen und daraus resultierende schroffe Klassengegensätze, insbesondere zwischen der armen ländlichen Bevölkerung und Großgrundbesitzern, nach 1945 auf der Halbinsel waren, so kompliziert gestaltete sich in den Nachkriegsjahren infolge der von den Siegermächten USA und Sowjetunion gezogenen Trennlinie entlang des 38. Breitengrads eine gesamtkoreanische Sozial- und Wirtschaftspolitik. Höchst unterschiedliche Ideologien und Perspektiven im Norden und im Süden, dazu der grundverschiedene Umgang mit ehemaligen projapanischen Kollaborateuren vertieften zusätzlich die Spaltung der koreanischen Gesellschaft. Zudem reklamierten die Machtzentren in Seoul und Pjöngjang jeweils für sich exklusiv den politischen Führungsanspruch. Mit fatalen Konsequenzen.

»Vom 25. Juni 1950 bis zum 27. Juli 1953 (die Zeitspanne der offenen Kriegshandlungen, R.W.)«, hieß es in dem am 23. Juni 2001 in New York verkündeten Urteil des Korea International War Crimes Tribunal unter dem Vorsitz des ehemaligen US-Justizministers Ramsey Clark, »kamen nach konservativen westlichen Schätzungen über 4,6 Millionen Koreaner ums Leben, einschließlich drei Millionen Zivilisten im Norden und 500000 Zivilisten im Süden der Halbinsel.« Zirka 40000 UN-Soldaten (davon 36000 US-Amerikaner) verloren in Korea ihr Leben. Wenngleich in der Vergangenheit die Opferzahlen der chinesischen Freiwilligenverbände mit weit über 300000 Personen angegeben wurden, bezifferten chinesische Behörden diese, nach einem Bericht der chinesischen Nachrichtenagentur Xinhua vom 27. Oktober 2010, mit 183108 Soldaten und Offizieren – unter ihnen auch Mao Tse Tungs ältester Sohn Mao Anying.

In keinem vorangegangenen Krieg war das Verhältnis der zivilen Opfer zur Gesamtbevölkerungen so hoch wie im Koreakrieg. Ganze Landstriche waren auf Jahre verwüstet, Deiche gezielt von amerikanischen Kampfbombern gesprengt worden. Sämtliche größeren Städte glichen Ruinenlandschaften. Allein in der nordkoreanischen Hauptstadt Pjöngjang waren bei Kriegsende nur knapp ein halbes Dutzend Häuser einigermaßen unversehrt geblieben. In Korea wurden mehr Napalmbomben abgeworfen als später in Vietnam. Weil es im Norden der Halbinsel mehr Ballungszentren mit einer größeren Bevölkerungsdichte und mehr innerstädtische Industrieanlagen gab, war deren Wirkung hier verheerender als in Nordvietnam.

Profiteure der riesigen Zerstörungen waren ausgerechnet zwei Aggressoren des Zweiten Weltkrieges bzw. ihre Nachfolgestaaten – Japan und die Bundesrepublik. In jenen Jahren sorgte der Krieg für eine signifikante Steigerung des Wirtschaftswachstums, vor allem in der Investitions- und Konsumgüterindustrie, was im beschaulichen Bonn den Begriff »Korea-Boom« unter Ökonomen und Politikern gleichermaßen zur Lieblingsvokabel im einsetzenden »Wirtschaftswunders« werden ließ. So konnten bislang unausgelastete Kapazitäten im Maschinen- und Fahrzeugbau genutzt sowie chemische und elektrotechnische Produkte aufgrund einer gesteigerten Nachfrage viel rascher und in größerem Umfang als in Friedenszeiten umgesetzt werden. Gegenüber dem Jahr 1950 verdoppelte sich 1952 allein das BRD-Exportvolumen von annähernd 8,5 Milliarden DM auf knapp 17 Milliarden DM.

Gleichzeitig führten die »Ereignisse« in Korea dazu, daß sich in der jungen Bundesrepublik sowie in zahlreichen Ländern des Westens der Antikommunismus zur Staatsideologie auswuchs. So endete schließlich im Sommer 1956 das von der Adenauer-Regierung im November 1951 eingeleitete Rechtsverfahren gegen die Kommunistische Partei Deutschlands nach knapp fünfjährigem juristischen Tauziehen mit einem vom 1. Senat des Bundesgerichtshofes verkündeten KPD-Verbot. Überdies forcierte der Koreakrieg die feste West­integration der BRD und die von alten Militaristen ersehnte Wiederbewaffnung und Aufstellung einer neuen Armee – der Bundeswehr.

Literatur
  • Bruce Cumings: Der Vernichtungsfeldzug der U.S. Air Force: Napalm über Nordkorea, in: Le Monde diplomatique. Berlin/Zürich, Dezember 2004
  • Iggy Kim: The Korean War: a war of counter-revolution – veröffentlicht am 19. Juli 2000 auf der Webseite der australischen Green Left Party: www.greenleft.org.au/2000/412/23267
  • Rolf Steininger: Der vergessene Krieg. Korea 1950–1953, München 2006
  • Isidor F. Stone: The Hidden History of the Korean War, New York 1952
* Rainer Werning ist Koautor des 2012 im Wiener Promedia Verlag erschienenen Buches »Korea: Von der Kolonie zum geteilten Land«.

Aus: junge Welt, Freitag, 26. Juli 2013



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