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"Flüchtlinge ... werden erschossen!"

Vor 55 Jahren, am 27. Juli 1953, endete mit dem Waffenstillstandsabkommen von Panmunjom der Korea-Krieg

Von Rainer Werning *

»In der Zeit vom 25. Juni 1950 bis zum 27. Juli 1953 kamen nach konservativen westlichen Schätzungen über 4,6 Millionen Koreaner ums Leben, einschließlich drei Millionen Zivilisten im Norden und 500 000 Zivilisten im Süden der Halbinsel«, hieß es in dem am 23. Juni 2001 in New York verkündeten Urteil des Korea International War Crimes Tribunal unter dem Vorsitz des ehemaligen US-Justizministers Ramsey Clark. Weiter hieß es in diesem Verdikt: »Die Beweise für die US-Kriegsverbrechen, die diesem Tribunal präsentiert wurden, lieferten Augenzeugenberichte und Dokumente über Massaker an tausenden Zivilisten, die von den US-amerikanischen Militärstreitkräften während des Krieges im Süden Koreas verübt wurden. Darüber hinaus gab es erdrückende Beweise der kriminellen, teils genozidmäßig betriebenen US-Politik im Norden Koreas, wo systematisch die meisten Häuser und Gebäude durch US-Artilleriefeuer und Luftangriffe in Schutt und Asche gelegt ... und geächtete Waffen sowie biologische und chemische Kampfmittel im Krieg gegen seine Bevölkerung eingesetzt wurden ...«

Bereits in den ersten Kriegstagen evakuiert die US-Armee ganze Dörfer im Süden Koreas. So ergeht es auch in den späten Julitagen des Jahres 1950 den Bewohnern von No Gun Ri. Dieser Ort, wenige Kilometer südlich der Stadt Taejon gelegen, und die angrenzenden Gebiete waren vor der Anlandung von US-Truppen am 7. September 1945 eine Hochburg des antijapanischen Widerstandes. Soldaten des 7. US-Kavallerieregiments graben sich am 26. Juli 1950 bei No Gun Ri auf einem mehrere hundert Meter langen Frontabschnitt ein. Als sich am selben Tag ein Treck von 500 bis 600 Bewohnern umliegender Dörfer, die sich auf der Flucht vor anrückenden nordkoreanischen Einheiten befinden, der US-amerikanischen Frontlinie nähert, werden die Flüchtlinge von der Straße vertrieben. Die GIs wollen diese unbedingt für US-Militärfahrzeuge freihalten, und sie zwingen die Menschen, auf einen angrenzenden Bahndamm zu gehen. Als die Flüchtlinge dort rasten, werfen plötzlich US-Kampfflugzeuge anstelle von Warnzetteln Bomben ab und feuern MG-Salven auf den Konvoi. Etwa hundert Menschen kommen nach koreanischen Augenzeugenberichten allein nach mehrfachem Beschuss aus der Luft ums Leben. Die Überlebenden – hauptsächlich alte Männer, Frauen und Kinder – flüchten sich in den Tunnel unter einer nahe gelegenen Eisenbahnbrücke. Einige stapeln Leichen übereinander, um Schutzwälle zu errichten, während andere mit bloßen Händen Löcher in den Boden graben, um vor dem anhaltenden Kugelhagel Deckung zu suchen.

Erst Mitte der 1990er Jahre wenden sich 30 Überlebende und Hinterbliebene des No Gun Ri-Massakers mit einer Petition an das sogenannte Kompensationskomitee der südkoreanischen Regierung in Seoul. Zunächst bestreiten sowohl südkoreanische als auch US-Militärbehörden kategorisch, dass es Vorfälle wie in No Gun Ri überhaupt gegeben hat. Doch in den südkoreanischen Medien können sich die Opfer Gehör verschaffen, bis am 30. September 1999 Associated Press ihren Bericht über No Gun Ri veröffentlicht und darin auch ein Dutzend US-Kriegsveteranen zu Wort kommen lässt. Nunmehr ist das Pentagon gefordert, sich zu den Ereignissen in No Gun Ri zu äußern. Nach 15-monatiger Untersuchung kommt der Generalinspekteur der US-Armee in seinem im Januar 2001 publizierten Abschlussbericht zu dem Ergebnis: »Was den Zivilisten in der Nähe von No Gun Ri im späten Juli 1950 widerfuhr, war eine tragische und zutiefst bedauernswerte Begleiterscheinung eines Krieges, der unvorbereiteten US-amerikanischen und südkoreanischen Streitkräften aufgezwungen worden war.»

Diese offizielle Darstellung Washingtons wird durch ein Dokument widerlegt, das der Historiker Sahr Conway-Lanz 2006 im US-Nationalarchiv entdeckt. Es handelt sich um ein Schreiben des damaligen US-Botschafters in Südkorea, John J. Muccio, vom 26. Juli 1950. Darin unterrichtet der Botschafter das U.S. State Department über eine »notwendige« Entscheidung der 8. US-Armee in Korea, die in den USA zu negativen Reaktionen führen könnte. Adressat dieses Briefes von Muccio ist Dean Rusk, der als stellvertretender Außenminister für Ostasien zuständig ist und während des Vietnamkrieges selbst Chef des State Department wird. Muccio spricht von einem »sehr ernsten Problem«, das zunehmend »auch das Militär herausfordere«. Die durch Flüchtlingsströme verstopften Straßen und Zufahrtwege behindern die eigenen Militärfahrzeuge. Außerdem befürchte man, dass sich unter den Flüchtlingen nordkoreanische Agenten befinden. Sodann verweist Muccio auf ein tags zuvor (25. Juli) stattgefundenes Treffen zwischen ihm, dem Kommandeur der 8. US-Armee einschließlich deren Sicherheitsdienst, Mitarbeitern des südkoreanischen Innenministeriums und Ministeriums für soziale Angelegenheiten sowie dem Direktor der Nationalpolizei. Kernpunkt dieses Treffens ist die Order: »Nähern sich Flüchtlinge nördlich der US-Linien, werden Warnschüsse abgefeuert. Rücken sie dennoch weiter vor, werden sie erschossen.« Mittlerweile sind über 60 solcher Massaker bekannt und dokumentiert. Was immer die kombinierten US- und UN-Truppen an Stellungen nicht halten können, wird in die Luft gesprengt, um der gegnerischen Seite nichts in die Hände fallen zu lassen.

Als Hunderttausende chinesischer Freiwilliger zugunsten Nordkoreas in das Kriegsgeschehen eingreifen, schürt das erst recht eine antikommunistische Pogromstimmung in Südkoreas Regierung unter Präsident Syngman Rhee (Li Syng Man). Mehrere zehntausend Menschen fallen Rhees Häschern zum Opfer. Das wiederum verstärkt Guerillaaktivitäten hinter den Frontlinien, die Mitte Januar 1951 ihren Höhepunkt erreichen. Das US-Oberkommando schätzt die Zahl der Aufständischen auf 30 000 bis 35 000 Personen. Um sie auszuschalten, erfinden die Militärstrategen die »Operation Rattentöter«. Dessen Kommando wird dem seinerzeit schärfsten antikommunistischen Haudegen Südkoreas, General Paik Sun-Yup, übertragen.

Ende Januar 1952 verkündet Oberbefehlshaber General Matthew B. Ridgway den Erfolg dieser Operation: »Nahezu 20 000 Freischärler – Banditen und organisierte Guerilleros – wurden getötet oder gefangen genommen. Damit war diese Irritation ein für allemal beendet«. Doch noch Ende 1952 ist die Guerilla im Südwesten Koreas, in den Chiri-Bergen, sehr aktiv. Für das »Magazin Life« verfasst die Fotografin Margaret Bourke-White im Dezember ein Feature mit dem Titel »Der grausame, geheime Krieg in Korea«. Frau Bourke-White interviewt Aufständische, unter ihnen auch couragierte Frauen: »Einige der Aufständischen wechselten die Fronten und schlossen sich den Roten an. Tausende Nordkoreaner waren auch darunter, denen es glückte, sich von ihren Einheiten abzusetzen, als die UN-Truppen den Belagerungsring durchbrachen, der um die südliche Hafenstadt Busan gelegt worden war. Andere Aufständische kamen aus dem Norden, wo sie die Frontlinien der Alliierten überwanden. Insgesamt handelte es sich also um eine Truppe, die nie über zwei Jahre lang den um sie herum tobenden Krieg und die harschen Bedingungen in gebirgigem Terrain überlebt hätte, wäre sie nicht von der Bevölkerung versorgt und unterstützt worden«.

* Aus: Neues Deutschland, 26. Juli 2008


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