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Kabilas Regime ist diskreditiert

Die Rebellenbewegung M23 bringt mit ihrer Offensive den Präsidenten der DR Kongo in große Bedrängnis

Von Alex Veit *

Im Osten Kongos bleibt die Lage unklar. Trotz der Vermittlungsversuche in Uganda sind die Rebellen nicht ohne weiteres zum Abzug aus Goma bereit. Vor allem die Zivilbevölkerung leidet unter dem Konflikt und eine politische Lösung ist nicht in Sicht.

Die Eroberung der Millionenstadt Goma brachte neue Bewegung in den kongolesischen Bürgerkrieg. Die Rebellengruppe M23 marschierte unter der Führung Sultani Makengas in der vergangenen Woche in die Metropole des Ostens der Demokratischen Republik Kongo ein. Damit erreichten die Rebellen, dass die Regierung Kongos direkte, wenn auch nur informelle Verhandlungen mit ihnen begonnen hat. Denn bis dahin hatte sich Präsident Joseph Kabila geweigert, mit der M23 zu sprechen. Stattdessen verhandelte Kabila mit den mutmaßlichen Unterstützern der Rebellen, den Präsidenten der Nachbarländer Uganda, Yoweri Museveni, und Ruanda, Paul Kagame, ohne dass daraus eine Lösung erwachsen wäre.

Nun musste die militärisch in Goma vollständig geschlagene Regierung einsehen, dass für die nationale Dimension des Konflikts eine innerkongolesische Lösungsstrategie erarbeitet werden muss. Forderungen der M23 unter anderem nach Auflösung der umstrittenen Wahlkommission und Beteiligung der zivilen Opposition an der Regierung lehnte Regierungssprecher Lambert Mende allerdings ab. »Es ist eine Farce, das ist das richtige Wort«, sagte er gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters. »Wenn sie jeden Tag mit neuen Forderungen zurückkommen, wird das lächerlich. Wir sind nicht länger im Bereich der Ernsthaftigkeit.«

Tatsächlich hatte die M23 zuvor vor allem Verbesserungen für die eigenen Mitglieder gefordert. Die Erweiterung der Forderungen könnte der Versuch sein, ein Bündnis mit der zivilen Oppositionspartei UDPS (Einheit für Demokratie und sozialen Fortschritt) vorzubereiten, um eine ernsthafte militärisch-politische Alternative zu bilden. Denn zur Zeit ist die M23 nur eine lokale Macht. Vor allem in der weit entfernten Hauptstadt Kinshasa spielen die Rebellen noch keine Rolle. Allerdings wird die UDPS intensiv prüfen, ob sie mit Rebellen ein Bündnis eingehen will, die von vielen als Handlanger der Nachbarstaaten angesehen werden.

Bisher hatten sich die Ziele der Rebellen auf ein am 23. März 2009 - daher der Name M23 - geschlossenes Abkommen zwischen der Regierung Kabila und der M23-Vorgängerorganisation CNDP bezogen. In diesem Abkommen war die Integration der Rebellen in die Nationalarmee vereinbart worden, aber auch, dass die neuen Soldaten nicht in andere Landesteile versetzt werden. Mehrere Jahre hatte das Abkommen Bestand. Es erlaubte den Rebellen, ihre Befehlsketten in der Armee und die lukrative illegale Kontrolle von Handelswegen aufrechtzuerhalten. Außerdem konnten sie sich weiterhin als Schutzmacht der Tutsi-Ethnie darstellen, deren politischer Status in Ostkongo seit 20Jahren umkämpft ist. Anfang dieses Jahres versuchte die kongolesische Armeeführung jedoch, ehemalige CNDP-Mitglieder in entfernte Regionen zu verlegen. Daraufhin verließen sie die Armee wieder und begannen ihren Eroberungszug, der mit der Einnahme Gomas einen vorläufigen Höhepunkt gefunden hat.

Aus internationaler Sicht sind zwei Aspekte von besonderem Belang: zum einen die humanitäre Situation, zum anderen das Verhalten der Stabilisierungsmission der Vereinten Nationen in Kongo (MONUSCO). Letztere ist immerhin die größte und teuerste gegenwärtige Blauhelmmission, kann aber als auf ganzer Linie gescheitert betrachtet werden. Mehr als zehn Jahre lang setzten die Vereinten Nationen und ihre wichtigsten Mitgliedsstaaten einerseits auf Kabila, andererseits auf die Reform der nationalen Armee. Doch unter der Regentschaft des seit Ende Januar 2001 amtierenden Kabila fiel das Land auf den letzten Platz im Index der Menschlichen Entwicklung zurück, in dem die Lebensumstände der Bevölkerung erfasst werden. Das Regime fälschte die Wahlen im vergangenen Jahr, die möglicherweise von der Oppositionspartei UDPS gewonnen worden wären.

Die Konflikte in Ostkongo dagegen überließ das Regime der Armee. Die allerdings ist auch nach zehn Jahren international geförderter Reformen in einem desolaten Zustand. Viele Generäle wirtschaften in die eigene Tasche, die Soldaten sind vor allem für die unbewaffnete Bevölkerung gefährlich. Aus Angst vor einem Putsch verhinderte das Regime eine straffere Organisation des Militärs. Dies musste auch die MONUSCO eingestehen, die nicht mehr in die Kämpfe mit der M23 eingegriffen hat. Die Vereinten Nationen könnten die jüngsten Ereignisse nun zum Anlass nehmen, ihre politische Strategie zu überdenken.

Ein Ansatz wäre, sich auf den Schutz der Zivilbevölkerung zu konzentrieren. Die militärischen Auseinandersetzungen um Goma haben zu einer weiteren Zuspitzung der humanitären Misere in Ostkongo beigetragen. Statt jedoch wie bisher einseitig das diskreditierte Regime Kabila und dessen Armee zu unterstützen, sollte ein neuer Anlauf zu einer nachhaltigen Friedenslösung gewagt werden.

Unser Autor ist Kongo-Experte und wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Bremen.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 28. November 2012


"Ruanda verfolgt einen teuflischen Plan"

Der Sprecher der Universität in Goma, Bakenga Dieudonné, über die Situation in der Stadt und die Rohstoffinteressen des Nachbarlandes **

Bakenga Dieudonné ist Sprecher der Freien Universität der Großen- Seen-Staaten in Goma (Université Libre des Pays des Grands Lac). Die Universität hat den Unterricht bis auf Weiteres eingestellt. Über die Lage in Goma und im Osten der DR Kongo sprach mit Dieudonné für »nd« Markus Schönherr.


Wie war die Stimmung in Goma am Tag der Übernahme vor einer Woche?

Nur Politiker und Militärangehörige gingen auf die Straße. Alle anderen Bewohner schlossen sich in ihren Häusern ein. Deshalb dauerte die Schlacht um Goma auch nur sehr kurz und forderte keine zivilen Opfer.

Wie sieht die Menschenrechtssituation in Goma jetzt aus?

Allem voran: unklar. Die Rebellen propagieren zwar Frieden und behaupten, mit der Gewalt an Zivilisten nichts zu tun zu haben. Allerdings berichten die Bewohner von Verschleppungen, Kreuzverhören und Vergewaltigungen. Die rund 100 000 Menschen, die aus der Stadt flüchteten, begaben sich selbst in eine Notlage: ohne genügend Wasser, Nahrung, Medikamente, Decken und Zelte. In Goma gibt es weder fließendes Wasser noch Strom, seit eine Bombe den Mast einer Hauptleitung zerstört hat. Die Rebellen blockieren auch den Verkehr für Schiffe am Kivu-See, wodurch viele Bewohner Gomas nicht mehr ihre Arbeit in Bukavu erreichen.

Wie geht es den Studenten an Ihrer Universität?

Der Unterricht wurde bis auf Weiteres eingestellt und das Personal ist außer Dienst. Der Entschluss fiel jedoch nicht aus Bedenken über Menschenrechtsvergehen, sondern aus Protest gegen die Kriegsherren. Übergriffe auf Studenten oder Dozenten gab es bisher nicht.

Der General Bosco Ntaganda rief die M23 erst im April dieses Jahres ins Leben. Wie erklären Sie sich ihren Erfolg?

Tatsächlich ist die M23 weder erfolgreich noch besonders stark. Dies sind ausschließlich die Attribute der ruandischen Armee und die kämpft im Feld für die Rebellen. Die M23 ist eine Gruppierung von nur 1250 unerfahrenen Kämpfern und könnte allein niemals die nationale Armee herausfordern. Wir erleben einen Stellvertreterkrieg, in dem die nationale Armee nicht gegen die ruandischen Streitkräfte (RDF) ankommt, die offiziell von den Offizieren des M23 vertreten werden. Die ruandischen Streitkräfte wiederum wurden in den letzten Jahren von internationaler Seite ausgestattet.

Wie steht es um den Einfluss Ruandas auf die Rebellenbewegung M23?

Ruandas Unterstützung für die M23-Bewegung ist unübersehbar. Am Tag, an dem Goma eingenommen wurde, kämpften auch ruandische Soldaten in den Straßen. Sie trugen RDF-Uniformen und sprachen die für Ruanda typische Stammessprache Kinyarwanda. Kongolesen, die nahe der Grenze wohnen, konnten beobachten, wie RDF-Kämpfer ins Land strömten. Seit Langem verfolgt Ruanda einen teuflischen Plan für die DR Kongo. Dazu gehört, Unsicherheit im Osten des Landes zu verbreiten, um die Region zu schwächen. Ruanda beansprucht sein Stück der reichen Rohstoffvorkommen. Für diesen Preis infiltriert Ruanda die kongolesische Armee und untergräbt die Bevölkerung.

30 Kilometer südlich von Goma liegt Bukavu. Handelt es sich nur um eine Frage der Zeit, bis die Rebellen auch diese Stadt eingenommen haben?

Die Schlacht um Bukavu wird keine einfache für die M23. Die Menschen und Nachbarschaften in Bukavu halten fest zusammen und für die Soldaten aus Ruanda bildet der Ruzizifluss eine schwer überwindbare Grenze. Der Druck auf die Regierung ist mittlerweile so groß, dass Präsident Kabila vermutlich weitere Truppen in die Region abstellen und untreue Soldaten isolieren wird.

Am vergangenen Wochenende fanden erste Gespräche zwischen den Rebellen und der Regierung statt. Geeinigt haben sich die Parteien jedoch nicht ...

Tatsächlich existiert die M23 nur auf Grundlage der ruandischen Armee und dient ausschließlich ihren Interessen. Deshalb müsste und könnte nur die ruandische Regierung mit den Rebellen verhandeln, um Goma freizugeben und den Frieden wiederherzustellen.

Nur wenige Stunden nach der Besetzung Gomas traf Präsident Kabila auf den ruandischen Machthaber Kagame. Weshalb?

Der Besuch war inoffiziell. Daher glaube ich, dass sich die beiden über ihre persönlichen Interessen in der DR Kongo austauschten und darüber, wie sie von ihrem Reichtum profitieren können. Da beide den Druck seitens des Sicherheitsrats spüren, mussten sie sich treffen, bevor die Rebellen Goma verlassen.

Europäische Medien beschuldigten die Blauhelmsoldaten der MONUSCO-Stabilisierungsmission, während des Überfalls der M23 untätig geblieben zu sein. Wie lässt sich das erklären?

Weil sie im Interesse der internationalen Gemeinschaft handeln. Die meisten Kongolesen haben sich damit abgefunden und vertrauen auch nicht mehr auf die Friedenssoldaten. Die UN-Truppen sind gut ausgerüstet und könnten kämpfen, aber New York pocht auf eine ausschließliche Verteidigungsrolle. Damit vertreten die Soldaten nicht die Kongolesen, sondern einzig die Interessen ihrer Bosse.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 28. November 2012


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