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Die belgische Herrschaft im Kongo

Ein spannendes Buch von Adam Hochschild

Der Neuen Zürcher Zeitung vom 24.05.2000 entnehmen wir folgende Rezension eines Buches von Adam Hochschild

Ein Panorama von Gier und Gewalt
Die belgische Herrschaft im Kongo


Jedes Frühjahr, wenn die riesigen Gewächshäuser der königlichen Residenz Schloss Laeken in Brüssel für das Publikum geöffnet werden, strömen Tausende von Besuchern an der mit Kamelien und Azaleen geschmückten Büste Leopolds II. (1865-1905) vorbei. Er war es, der die königlichen Schlösser prunkvoll ausstatten und umbauen liess, der die Gewächshäuser und den fünfstöckigen Japanischen Turm, den monumentalen Triumphbogen im Parc du Cinquantenaire und den Königlichen Museumspalast für Zentralafrika erbauen liess. Doch nirgendwo findet sich ein Hinweis darauf, woher die Milliarden kamen, welche die Errichtung dieser und anderer Prachtbauten möglich machten.

Eine Antwort, die ein Panorama von Gier und Gewalt, von raffinierter Täuschung der Öffentlichkeit und grenzenlos scheinender Bestechlichkeit, aber auch von geradezu heroischem Engagement für Menschenrechte aufrollt, gibt das Buch des amerikanischen Journalisten Adam Hochschild. Es besticht aus mehreren Gründen. Hochschild lässt, soweit er sie auffinden konnte, die in den offiziellen Darstellungen übergangenen Stimmen der Opfer der Eroberung und Ausbeutung des zentralafrikanischen Staates vernehmlich werden, die durch Zufall in irgendwelchen Archiven erhalten, aber bisher unbeachtet geblieben waren. Ferner skizziert er auf prägnante Weise die Lebensläufe der Hauptakteure bei der «zivilisatorischen» Erschliessung des Kongo, um herauszufinden, wie es zu einem Genozid an Millionen von Afrikanern, zu Menschenhandel und Versklavung und in ihrer Perversität kaum vorstellbaren Strafaktionen kommen konnte. Gebührendes Gewicht aber erhalten auch die mutigen Aktionen jener, die sich oft als Einzelne den Machenschaften menschenverachtender Profiteure entgegenstellten und dabei in erstaunlichem Masse erfolgreich waren.

Betrogene

Als der portugiesische Kapitän Diogo Căo 1482 auf der Suche nach Gold die Westküste Afrikas entlangsegelte, «entdeckte» er als erster Europäer die riesige Mündung des Kongo. Ein wenig flussaufwärts lebte die Bevölkerung in einem hochentwickelten Staatswesen, an dessen Spitze der Mani-Kongo (Herr des Kongo) Nzinga Mbemba stand. Die Schwarzen begegneten den Weissen gastfreundlich und arglos. Nach kurzer Zeit begann ein reger Briefwechsel zwischen dem portugiesischen König Manuel und dem kongolesischen Herrscher, einem weltoffenen, wissbegierigen Mann, der rasch die portugiesische Sprache erlernt hatte. Doch er musste schon bald erkennen, dass es sich nicht um eine faire Beziehung handelte. Die Schwarzen erfüllten die Forderungen der Portugiesen nach der Lieferung von Elfenbein und Sklaven. Sie selber bekamen aber nicht die erbetenen Lehrer, Ärzte, Bootsbauer, Medikamente, sondern lediglich Stoffe und veraltete Waffen. Wachsende Bitterkeit schlug in Verzweiflung um, als zehn Neffen des Mani- Kongo, die er zum Studium nach Portugal geschickt hatte, dort als Sklaven verkauft wurden.

1665 kam es zu einer Schlacht, in der die Portugiesen siegten und nach der der letzte Mani- Kongo enthauptet wurde. Ein Menschenhandel von unvorstellbaren Ausmassen setzte ein, an dem sich Portugiesen, Franzosen, Holländer, Briten und Belgier beteiligten. Millionen von Afrikanern wurden nach Brasilien, Mittel- und Südamerika verschleppt. Mit der Abschaffung des Sklavenhandels 1838 war die Ausbeutung Schwarzafrikas keineswegs beendet. Unter dem philanthropischen Deckmantel, Schwarzafrika die Zivilisation zu bringen, wurde das Land weiter geplündert.

Der belgische König Leopold II., der den Ehrgeiz hatte, über ein eigenes Kolonialreich zu herrschen, gründete die «Internationale Afrikanische Gesellschaft» (deren einziger Gesellschafter er war), um den Kongo «unter Schutz zu stellen». Es gelte, den «arabischen» Sklavenhandel zu unterbinden, die Wissenschaft zu fördern und «die Wilden» zu kultivieren. Zu seinem Instrument und Mittäter wurde ein berühmter Forschungsreisender: Henry Morton Stanley, der den verschollen geglaubten Missionar und Arzt David Livingstone im Herzen Afrikas aufgespürt hatte. Nun zog er im Auftrag Leopolds den Kongo hinauf, um den Flussverlauf zwecks späterer Erschliessung kartographisch zu erfassen. Ein Zug von 400 Afrikanern begleitete ihn, die Unmengen an Waffen und Ausrüstung zu schleppen hatten. Jedes Anzeichen von Feindseligkeit seitens der Bevölkerung wurde sofort hart geahndet. Hunderte von Leichen säumten Stanleys Weg, Dutzende von Städten und Dörfern wurden zerstört, Handelsstationen errichtet, in denen man Elfenbein hortete, und die Niederlassung oberhalb der grossen Katarakte (Stanley Falls) wurde in Léopoldville umbenannt.

1884 kehrte Stanley mit einem Bündel von Verträgen nach Brüssel zurück, in denen die Häuptlinge ihr Land angeblich Leopold II. übertragen hatten. Dabei war für Afrikaner, die nur gemeinschaftlich genutztes Land kannten, privates Eigentum an Grund und Boden unvorstellbar. Durch Bestechung und Intrigen brachte der König zahlreiche europäische und amerikanische Zeitungen dazu, Lobeshymnen auf sein humanitäres Engagement zu publizieren. Durch falsche Versprechungen, etwa die Zusage, er werde den Kongo zur Freihandelszone erklären, durch listiges Taktieren und Ausspielen der Grossmächte gegeneinander erreichte er es, dass am Ende der Berliner Konferenz vom Februar 1885 - an der weder ein Afrikaner teilnahm noch jemand, der Afrika bereist hatte - ein Abkommen unterzeichnet wurde, das ihm den Kongo als Privateigentum zusprach.

Doch es gab seit den 1890er Jahren mutige Kritiker. Deren Aktivitäten schildert Hochschild realistisch und emphatisch. Der Afroamerikaner George Washington Williams etwa, Historiker und Journalist, fuhr nach Afrika, um zu prüfen, ob die in den USA diskriminierten Schwarzen im Land ihrer Herkunft nicht bessere Lebensbedingungen vorfinden würden. Er umschiffte 1890/91 den Kontinent und bereiste sechs Monate lang den Kongo. Was er sah und hörte, ernüchterte und entsetzte ihn. In einem «Offenen Brief an den König», nämlich Leopold II., versammelte er alle wichtigen Anklagepunkte. In einem Bericht an den Präsidenten der USA forderte er ein Herrschaftssystem, «das afrikanisch und nicht europäisch, gerecht und nicht grausam» wäre. Er klagte Leopolds Kongo-Staat der «Verbrechen gegen die Menschlichkeit» an. Verärgert liess Leopold Artikel abdrucken, in denen Williams als «geistesgestörter Neger» abgetan wurde. Williams starb wenig später mit nur 41 Jahren.

Ein anderer Kritiker jedoch machte Leopold bis an dessen Lebensende zu schaffen. Edmund Dene Morel, verantwortlich für das Ent- und Beladen von Schiffen der Kongo-Route in Antwerpen, wunderte sich, dass die eintreffenden Schiffe voll mit Elfenbein und Kautschuk waren, im Gegenzug jedoch nur Waffen, Munition und Armeeoffiziere verschifft wurden. Er begriff, dass es keinen Warentausch gab, dass die einlaufenden Schätze nur aus Sklavenarbeit stammen konnten. Nach gründlichen Recherchen kam er zu dem Schluss, «auf eine Geheimgesellschaft von Mördern mit einem König als Oberhalunken gestossen» zu sein. Er gründete eine Zeitung, in der er seine Recherchen veröffentlichte. Er schrieb mit kontrollierter Empörung und akribischer Exaktheit, entlarvte die Bestechungsmanöver des Königs gegenüber Verlegern und Journalisten im In- und Ausland. Er verbündete sich mit Roger Casement, der den Kongo als britischer Botschafter bereiste und einer der schärfsten Kritiker Leopolds und seiner Vasallen wurde, und gründete die «Congo Reform Association», die erste grosse internationale Menschenrechtsbewegung des 20. Jahrhunderts.

Herz der Finsternis

Kurz vor Leopolds Tod ging der Kongo in belgischen Besitz über. Als das Land nach blutig niedergeschlagenen Massendemonstrationen 1960 unabhängig wurde, meinte der belgische König Baudouin: «Jetzt liegt es bei Ihnen, meine Herren, sich unseres Vertrauens als würdig zu erweisen.» Weil er sowohl für politische wie ökonomische Unabhängigkeit eintrat, erwies sich der neue Premierminister Patrice Lumumba in den Augen Belgiens, Grossbritanniens und der USA, die in den Kongo investiert hatten, als des Vertrauens «unwürdig». Er wurde ermordet. Joseph Désiré Mobutu hingegen, massgeblich an Lumumbas Ermordung beteiligt, wurde mit westlicher Hilfe zum neuen unumschränkten Diktator, der, wie einst Leopold II., bald zu den reichsten Männern der Welt gehörte. - «Ganz Europa», so Charles Marlow in Joseph Conrads berühmtem, im Kongo spielendem Roman «Herz der Finsternis» über den machtgierigen Elfenbeinlieferanten Kurtz, für den es viele reale Vorbilder gab, «ganz Europa war am Zustandekommen des Herrn Kurtz beteiligt gewesen.» Wie es zu einem der grössten Menschheitsverbrechen kam und welchen Anteil die westliche Welt an dem Zerstörungswerk Leopolds II. und seiner Vasallen im Kongo hatte, schildert Hochschild so spannend und engagiert, so detailliert wie keiner vor ihm.
Renate Wiggershaus

Adam Hochschild: Schatten über dem Kongo. Die Geschichte eines grossen, fast vergessenen Menschheitsverbrechens. Aus dem Amerikanischen von Ulrich Enderwitz, Monika Noll und Rolf Schubert. Klett-Cotta-Verlag, Stuttgart 2000. 494 S., Fr. 47.50.

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