Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

"Ethnische Frage ist nur die Oberfläche"

Christoph Klitsch-Ott von Caritas international über die Militärmission im Kongo

Am 7. Juni 2003 veröffentlichte das "Neue Deutschland" ein Interview mit einem Vertreter von Caritas international, das wir im Folgenden dokumentieren.


Die anhaltenden Kämpfe zwischen den Volksgruppen der Lendu und Hema im ostkongolesischen Distrikt Ituri wecken Erinnerungen an den Konflikt zwischen Hutu und Tutsi in Ruanda. Christoph Klitsch-Ott, Kongo-Referent von Caritas international, ist Anfang der Woche aus der Region zurückgekehrt. Martin Ling befragte ihn für ND.

ND: Die Warnung vor einem drohenden Völkermord zwischen Lendu und Hema mehren sich, teilen Sie diese Befürchtungen?

Klitsch-Ott: Ich sehe nicht unbedingt die Parallele mit dem Völkermord in Ruanda, aber was sich in der Region Bunia/Ituri abspielt, ist natürlich eine von Menschen gemachte Katastrophe. Wenn es nicht bald gelingt, dort zumindest einen Waffenstillstand zu erreichen, muss man befürchten, dass die Kämpfe sich ausweiten.

Die Auseinandersetzungen zwischen Lendu und Hema halten seit Jahren an. Gibt es seit dem Abzug Ugandas im März aus Bunia eine neue Dimension?

Es hat in der Tat immer wieder Kämpfe mit massiven Übergriffen auf die Zivilbevölkerung gegeben. Man spricht davon, dass allein in der Region Ituri seit Kriegsbeginn 1998 ca. 50000 Menschen diesem Konflikt zum Opfer gefallen sind. Und der Konflikt in Bunia/Ituri ist nur ein Teil des Gesamtkomplexes Bürgerkrieg Kongo, an dessen direkten und indirekten Folgen seit 1998 ca. 3,5 Millionen Menschen umgekommen sind. Gott sei Dank ist der Konflikt nun endlich in das Bewusstsein der Öffentlichkeit gerückt.
Zweifellos trägt der Truppenabzug der Ugander und die Tatsache, dass sowohl Uganda sowie die Regierung aus Kinshasa und die ruandische Regierung dort Milizen aufgebaut haben oder sie finanziell und logistisch unterstützen, zu einer Verschärfung der Kämpfe bei.

Als ursprüngliche Konfliktursache werden Landstreitigkeiten ausgemacht – die Lendu sind Ackerbauern, die Hema Viehzüchter. Welche Rolle spielen die Rohstoffe der Gegend?

Eine große. Die ethnische Frage ist nur die absolute Oberfläche dieses Konfliktes, die die darunter liegenden Probleme verdeckt. Der Landkonflikt hat eine lange Tradition, aber die derzeitigen Konfliktlinien gehen viel mehr um die Kontrolle der Bodenschätze. Es gibt sehr ertragreiche Goldminen und wahrscheinlich große Ölvorkommen in der Region. Die Milizen könnten außerdem nicht überleben, wenn sie nicht von außen finanziert werden, sei es durch Staaten wie Uganda oder Ruanda oder die Regierung in Kinshasa oder eben auch durch dubiose Geschäftsleute, die über diese Milizen versuchen, Kontrolle über diese Region zu erhalten.

Wäre unter diesem Gesichtspunkt nicht ein stärkerer Druck auf Uganda, Ruanda und Kinshasa sinnvoller als eine militärische Intervention mit Frankreich als Führungsmacht, das in der Region nicht als unparteiisch gilt?

Durchaus. Die Beteiligung der Franzosen wird von vielen Kongolesen kritisch gesehen. Man unterstellt den Franzosen, sie seien nicht neutral. Ohnehin hat eine reine Militärintervention ohne politisches Begleitkonzept keine Chancen auf Erfolg. Es muss gleichzeitig massiver Druck auf die Regierungen in Uganda, Ruanda und eben auch auf Kinshasa ausgeübt werden, damit das Kongo-Friedensabkommen von Lusaka (Sambia) 1999 wirklich umgesetzt wird, ebenso die entsprechenden Absprachen aus den Verhandlungen in Sun City (Südafrika) 2002.

Halten sie eine Militärintervention, um die Konfliktpartner erst einmal von einander zu trennen, dennoch für sinnvoll?

Ja. In der derzeit sehr verfahrenen Situation kann eine Militärintervention hilfreich sein, schlicht und ergreifend, um eine schlimmere Katastrophe abzuwenden. Allerdings erscheint mir – auch wenn ich kein Militärfachmann bin – die Entsendung von 1500 Soldaten als sehr wenig. Das reicht vermutlich, um Bunia zu sichern, aber die Region ist ja viel größer.

Welche Einsatzmöglichkeiten hat Caritas im Moment in Bunia überhaupt noch?

Die Situation ist aufgrund der Sicherheitslage derzeit relativ schwer überschaubar. Es sind Kirchen und Caritas-Einrichtungen geplündert oder teilweise zerstört worden. Wir haben eine Arbeitsgruppe aus kongolesischen Mitarbeitern aus anliegenden Diözesen zusammengestellt. Vier Leute sind nach Bunia gegangen, um mit den dortigen lokalen Mitarbeitern wieder eine Arbeitsstruktur aufzubauen. Außerdem haben wir neun Tonnen Notfallmedikamente nach Bunia geflogen, die in kirchlichen Gesundheitsstationen zur Behandlung der Verletzten und Kranken eingesetzt werden. Zudem planen wir ein Projekt für Vertriebene und Kriegsopfer außerhalb der Stadt.

Aus: Neues Deutschland, 7. Juni 2003


Zurück zur Kongo-Seite

Zu anderen Ländern/Regionen

Zurück zur Homepage