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Rätsel um einen General

Kolumbiens Guerilla bestätigt Gefangennahme von Rubén Alzate. Hintergründe weiter unklar

Von André Scheer *

Die Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (FARC) verzeichnen einen spektakulären Erfolg. Am Dienstag bestätigten Sprecher der FARC-Verhandlungsdelegation in Havanna, dass sich General Rubén Alzate in der Gewalt des im Nordwesten Kolumbiens aktiven »Blocks Iván Ríos« der Guerilla befinde (jW berichtete). Dessen Festsetzung sei legitim, weil es sich bei dem Befehlshaber einer in der Region aktiven Eliteeinheit und seinen Begleitern um »feindliches Militärpersonal« gehandelt habe. »Jeden Tag bekräftigt Präsident Santos an verschiedenen Orten des Landes oder im Ausland den Befehl, mit aller Macht des Staates gegen die FARC-EP vorzugehen«, heißt es in einer während der Pressekonferenz verlesenen Erklärung. »Die Überheblichkeit der Oligarchie führt sie zu dem Glauben, dass sie sogar mitten im Friedensprozess das Recht besäße, Kolumbianer zu töten und zu vertreiben, ohne dass diese das Recht hätten, auf die Gewalt zu antworten.« Solange es keinen bilateralen Waffenstillstand gäbe, würden die »Spielregeln« nicht nur für die Kräfte des Staates gelten, warnten die FARC.

In den Medien des Landes wird jedoch auch spekuliert, ob die Guerilla in eine Falle der extremen Rechten in Kolumbien getappt sein könnte, durch die der Friedensprozess torpediert werden soll. Der 55 Jahre alte General Alzate verfügt über 31 Jahre Berufserfahrung in den Reihen des kolumbianischen Militärs und wurde mehrfach für seine Leistungen im Krieg gegen die Aufständischen ausgezeichnet. Trotzdem missachtete er am vergangenen Sonntag sämtliche Sicherheitsvorschriften, als er in Zivilkleidung und ohne Waffen auf einem Boot den Rio Atrato entlangfuhr.

Augenzeugen der Ereignisse widersprechen der offiziellen Darstellung, wonach Alzate von »mit Gewehren bewaffneten Zivilisten« überrascht und verschleppt worden sei. Presentación Palomeque, der Vizepräsident des Gemeinderates von Las Mercedes, einer Siedlung am Flussufer, erklärte Journalisten der Tageszeitung El Tiempo, der General sei am Sonntag nachmittag in kurzen Hosen »wie auf einem Ausflug« in dem Dorf direkt an der Grenze zum Urwald aufgetaucht und zwischen den 25 Hütten und vor der Kirche der Siedlung herumspaziert. Dabei habe er praktisch mit keinem der insgesamt 120 Einwohner gesprochen, sondern sich nur mit seinen Begleitern unterhalten. Etwa eine halbe Stunde später sei ein zweites Motorboot angekommen, dessen Besatzung sich direkt zu der Kapelle begeben habe, an der sich Alzate aufhielt. Die mutmaßlichen Guerilleros hätten weder Waffen noch Uniformen getragen und keine Gewalt angewendet. Nach einem kurzen Wortwechsel seien alle zusammen zu dem zweiten Motorboot gegangen und nach Norden den Fluss heruntergefahren.

Die Aufständischen betrachten Alzate als Kriegsgefangenen. Das weist Kolumbiens Generalstaatsanwalt Alejandro Ordoñez Maldonado zurück, denn solche gebe es nur in »internationalen bewaffneten Konflikten«. Die FARC seien jedoch »Terroristen« und keine Kriegspartei, heißt es in einem offiziellen Kommuniqué der Staatsanwaltschaft, aus der der Rundfunksender La FM zitierte: »Es gibt nichts zu verhandeln, es kann nur um die sofortige Freilassung der Entführten gehen.«

Auffällig ist, wie gut informiert sich in dieser Angelegenheit der frühere kolumbianische Staatschef Álvaro Uribe zeigt, der seinen Nachfolger Juan Manuel Santos wegen dessen Verhandlungen mit der Guerilla wiederholt scharf angegriffen hat. Nachdem er am Sonntag bereits vor der offiziellen Bekanntgabe über die »Entführung« des Generals berichten konnte, verbreitete er am Mittwoch über den Internetdienst Twitter, die Freilassung des hochrangigen Militär stehe kurz bevor. Im Parlament forderte Senator Iván Cepeda vom Linksbündnis Alternativer Demokratischer Pol (PDA) am Dienstag (Ortszeit) Zurückhaltung: »Ich hoffe, dass an dem Tag, an dem die Freilassung erfolgen soll, nicht wieder auf einem Twitterkonto die Koordinaten des Ortes auftauchen, an dem die Übergabe stattfinden soll,« sagte er an Uribe gerichtet, der daraufhin den Plenarsaal verließ. Die Kolumbianische KP rief zu Kundgebungen für die Fortsetzung des Friedensprozesses auf und forderte Santos auf, an den Verhandlungstisch zurückzukehren. Dieser hatte die Gespräche in Havanna am Sonntag ausgesetzt.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 20. November 2014


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