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Rückschlag für Friedensprozess

Kolumbien: Angriffe auf Lager der FARC. Guerillaorganisation will Verhandlungen fortsetzen

Von Joachim Jachnow *

Trotz der militärischen Eskalation in Kolumbien haben die Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (FARC) am Montag (Ortszeit) ihre Bereitschaft erklärt, die Friedensverhandlungen mit der Regierung ihres Landes in Havanna noch am gleichen Tag wie geplant fortzusetzen. In der Nacht vom 21. zum 22. Mai hatte die kolumbianische Armee an der Pazifikküste der südlichen Cauca-Region ein Lager der FARC bombardiert und dabei 27 Guerilleros im Schlaf getötet. Außerdem wurden laut staatlichen Angaben 352 Kleinbauern von ihrem Land vertrieben. Angesichts dieser Offensive erklärte die Guerillaorganisation ihren im vergangenen Dezember ausgerufenen Waffenstillstand am Freitag (Ortszeit) für beendet. Am Pfingstwochenende kam es zu erneuten Angriffen der Armee, denen Aufständische wie Zivilisten zu Opfer fielen. Wie der lateinamerikanische Fernsehsender TeleSur berichtete, starben am Montag in dem Bundesstaat Chocó durch einen Bombenangriff mindestens fünf Guerilleros.

Einen von den FARC geforderten beidseitigen Waffenstillstand hatte die Regierung bisher stets verweigert. Statt dessen kriminalisiert sie in dem südamerikanischen Land weiterhin politische Oppositionelle und Gewerkschafter, setzt sie den Krieg mit allen Mitteln fort und ergießt sich dabei in widersprüchlichen Erklärungen. So folgten bereits in der Vergangenheit den Absichtsbekundungen einer Deeskalation schwere militärische Angriffe.

Dies zeigt einerseits, wie wenig die Regierung mitunter in der Lage ist, den eigenen, mafiös durchdrungenen Staatsapparat effektiv zu kontrollieren. Andererseits gehören ihr selbst militante Friedensgegner an. Innerhalb des kolumbianischen Establishments und der Armeeführung werden die Verhandlungen immer wieder von Gruppen torpediert, die im ewig währenden Krieg ihre Geschäftsgrundlage haben. Insbesondere die Großgrundbesitzer, die mit dem Paramilitarismus und der Drogenmafia eng verstrickt sind, sammeln sich im »Centro Democrático« des ehemaligen Präsidenten Álvaro Uribe und haben großen Einfluss innerhalb der Armee und der Geheimdienste. Letztere haben im Rahmen des vorgeblich gegen den Drogenhandel und die Guerilla gerichteten »Plan Colombia«, einer der weltweit größten US-Militärhilfen, ohnehin ein Eigenleben entwickelt und dienen dabei in erster Linie den geostrategischen Interessen der USA in der Region. Die Vereinigten Staaten haben ihrerseits an einem nachhaltigen Friedensprozess in Kolumbien bislang nur ein sehr bedingtes Interesse gezeigt.

Dennoch konnten sich in den vergangenen Wochen einige Male die Befürworter des Friedensprozesses durchsetzen. Am 29. April etwa erklärte der »Consejo de Estado«, eine Art oberstes Verwaltungsgericht, dass es sich bei den FARC um eine »Partei eines bewaffneten Konflikts« und um »keine Terrororganisation« handelte. Der Status einer Konfliktpartei war den FARC über Jahrzehnte hinweg verweigert worden. Vielmehr hat die offizielle Einstufung als »Terrororganisation« immer wieder die Methoden der staatlichen Aufstandsbekämpfung durch den kolumbianischen Staat, der Armee und paramilitärischer Verbände legitimiert. In deren Zuge wurden nicht nur die FARC jenseits völkerrechtlicher Konventionen bekämpft, sondern auch zu Sympathisanten erklärte Oppositionelle – Gewerkschafter, Studenten, Lehrer – verfolgt, eingesperrt und ermordet. Eine Abkehr von dieser Politik, wie sie sich durch dieses Urteil abzeichnet, war von großen Teilen der Gesellschaft immer wieder als grundlegende Voraussetzung für Frieden verlangt worden. Nun scheint das Vorgehen der Armee allerdings die Aussicht auf einen schnellen Fortschritt in Havanna zunichte gemacht zu haben.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 27. Mai 2015


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