Ausgelagerte Repression
Raul Zelik analysiert den kolumbianischen Paramilitarismus
Von Tobias Lambert *
Der Autor und Kolumbien-Experte Raul Zelik mischt sich mit seinem neuen
Buch »Die
kolumbianischen Paramilitärs« in die Debatte um »Neue Kriege« und
gescheiterte Staaten anhand
des Beispiels Kolumbien ein.
Debatten über den Krieg in Kolumbien basieren in vielen Fällen auf einem
Missverständnis. Einer
weit verbreiteten Ansicht zufolge konkurrierten spätestens seit den
1990er Jahren verschiedene
Banden um die Einnahmen aus der Schattenökonomie von Drogenhandel,
Entführungen und
Auftragsmorden. Zwischen den Gräueltaten rechter Paramilitärs und linker
Guerillas sei der Staat in
seiner Fähigkeit, ein Gewaltmonopol durchzusetzen, merklich geschwächt
worden. Kolumbien drohe
zu einem »failed state«, einem gescheiterten Staat, zu verkommen.
In diese Debatte schaltet sich der Kolumbien-Experte Raul Zelik mit
seinem neuen Buch »Die
kolumbianischen Paramilitärs« ein. Insbesondere beschäftigt er sich mit
einigen Thesen des in
Berlin lehrenden Politologen Herfried Münkler. Dieser geht davon aus,
dass etablierte Staatlichkeit
historisch den Krieg gebändigt habe, während der Zerfall von Staaten
eine »vormoderne«
Enthegung der Gewalt befördere. Dafür verantwortlich seien Aufständische
und Warlords in der
Peripherie.
Diese und andere Thesen über »Neue Kriege« widerlegt Zelik am Beispiel
des Krieges in Kolumbien
eindrücklich. Er zeigt auf, dass der kolumbianische Paramilitarismus
aufs Engste mit der
Durchsetzung staatlicher Souveränität verknüpft ist und eine für den
Staat sowie ökonomische Eliten
funktionale Auslagerung von Repression darstellt. So habe der Terror
gegen oppositionelle
politische Strukturen maßgeblich zur Etablierung eines
weltmarktorientierten Entwicklungsmodells
beigetragen.
Nach der rasanten Ausbreitung des Paramilitarismus in den 1980er Jahren
bemühte sich der
Dachverband AUC (Kolumbianische Selbstverteidigungskräfte) in den
1990ern darum, als »dritter
Kriegsakteur« politisch wahrgenommen zu werden. Der Staat konnte sich
somit als Opfer extremer
Gewalt darstellen, wodurch nicht zuletzt die massive US-Militärhilfe im
Rahmen des Plan Colombia
begründet wurde.
Dass die AUC ausgerechnet unter dem aktuellen Präsidenten Álvaro Uribe
demobilisiert wurden, der
in seiner gesamten politischen Karriere mit Drogenhändlern und
Paramilitärs kooperiert hatte, ist nur
auf den ersten Blick verwunderlich. Da die an die USA ausgelieferten
Führer der AUC dort
ausschließlich wegen Drogenhandels angeklagt werden, bleiben Uribe
unangenehme Enthüllungen
über staatliche Verwicklungen vorerst vermutlich erspart. Neue
paramilitärische Gruppen wie die
Águilas Negras (Schwarze Adler) begehen zwar weiterhin politische Morde,
werden von der
Regierung jedoch schlicht als »aufstrebende Banden« der Organisierten
Kriminalität bezeichnet.
Zuletzt zeichnet Zelik die Strategie der USA nach, die Kolumbien im
Rahmen des Plan Colombia
Jahr für Jahr mit dreistelligen Millionenbeträgen unterstützen und
Konzepte der irregularisierten
Aufstandsbekämpfung nachweislich nach Lateinamerika »exportiert« haben.
Für die Debatte über failed states und »Neue Kriege« stellt das Buch
einen enorm wichtigen Beitrag
dar. Zelik legt ein Standardwerk über den kolumbianischen
Paramilitarismus vor und arbeitet dessen
Geschichte, sein komplexes Wesen sowie den politischen und
wirtschaftlichen Kontext umfassend
und kenntnisreich heraus. Dabei bemüht er sich immer wieder um eine
theoretische Einordnung des
Phänomens.
Dem durchgehend pessimistischen Gefühl bei der Buchlektüre tritt der
Autor zumindest auf der
letzten Seite entgegen. Er betont, dass es in Kolumbien noch immer
vielseitige soziale Bewegungen
gibt. Trotz allem sei »es also offensichtlich nicht gelungen, die
Vorstellung einer alternativen
Gesellschaft vollständig auszulöschen«.
Raul Zelik, Die kolumbianischen Paramilitärs. "Regieren ohne Staat?" oder terroristische Formen der Inneren Sicherheit, Westfälisches Dampfboot, Münster 2009, 352 Seiten, 29 Euro; ISBN: 0003896917668
* Aus: Neues Deutschland, 7. Juli 2009
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