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Stille Beobachter des Armeeterrors

USA wussten von Verbrechen in Kolumbien

Von Tommy Ramm, Bogotá *

US-amerikanische Geheimdienstberichte belegen, dass Washington seit vielen Jahren über Menschenrechtsverletzungen der kolumbianischen Armee informiert ist.

Bereits seit Anfang der 90er Jahre schickte die USA-Botschaft in Bogotá regelmäßig Berichte nach Washington, in denen über die gezielte Tötung von Zivilisten durch die kolumbianische Armee informiert wurde. Die Toten wurden später als gefallene Guerilleros präsentiert. Auch die enge Zusammenarbeit der kolumbianischen Streitkräfte mit rechten Todesschwadronen, die im Kampf gegen linke Rebellen Massaker unter der Zivilbevölkerung anrichteten, wurde in den Berichten mehrfach erwähnt. Bekannt wurde dies dank der US-amerikanischen Organisation National Security Archive (NSA), die zugängliche Geheimdienstberichte auswertet und veröffentlicht. NSA bestätigt damit, dass Washington laufend über schwere Menschenrechtsverstöße der kolumbianischen Armee informiert war, was die USA nicht hinderte, die Streitkräfte des südamerikanischen Staates aufzurüsten und zum wichtigsten Verbündeten in der Region zu machen.

Mehr als eine halbe Milliarde US-Dollar Militärhilfe fließen jährlich an die kolumbianische Armee, die seit Ende vergangenen Jahres mit einem der größten Skandale ihrer jüngeren Geschichte zu kämpfen hat: Im Oktober sah sich die Regierung in Bogotá gezwungen, 27 ranghohe Militärs vom Dienst zu suspendieren, nachdem mehrere Fälle außergerichtlicher Hinrichtungen von Zivilisten aufgedeckt worden waren. Dutzende Jugendliche waren von Mittelsmännern in Großstädten rekrutiert worden, um sie später nach Scheingefechten als gefallene Rebellen präsentieren zu können – wegen der Erfolgsstatistik und des möglichen Aufstiegs im Militärapparat.

Wie die NSA-Veröffentlichungen belegen, wusste Washington von dieser Methode bereits seit vielen Jahren. Schon 1990 telegrafierte die USA-Botschaft nach Washington, der Tod von neun Personen, die von der Armee nach Gefechten präsentiert wurden, lege den starken Verdacht nahe, »dass diese von der Armee hingerichtet und in Uniformen gesteckt wurden«. Ein Militärrichter habe herausgefunden, dass die Opfer zwar Schusswunden aufwiesen, ihre Uniformen jedoch unversehrt waren.

Bisher weiß man nur, dass es zwischen 2002 und 2008 mehr als 1000 registrierte Fälle von Hinrichtungen durch die Armee gab. Aus den 90er Jahren, die wegen des Drogenkriegs und der Zunahme paramilitärischer Aktivitäten besonders blutig waren, sind keine Angaben bekannt. »Die Dokumente können nicht belegen, dass es in dieser Epoche eine regelrechte Politik außergerichtlicher Hinrichtungen gab«, erklärte Michael Evans von der NSA. »Deutlich wird jedoch, dass diese Vorgehensweise in der Praxis von hohen Armeekommandeuren gefördert wurde.« Schon damals warnten die Botschaftsberichte vor dem »Leichenzählsyndrom« innerhalb der kolumbianischen Armee: Je mehr Opfer vorgewiesen wurden, desto größer die Aufstiegschancen.

Auch die Verbindungen der Armee zu Paramilitärs waren in Washington bekannt. Ein CIA-Bericht erklärte, dass kolumbianischen Militärs »eine Vorgeschichte in Sachen Ermordungen linker Zivilisten« hätten und mit Paramilitärs enge Verbindungen pflegten. Der 1994 verfasste Bericht stellt fest, dass die Streitkräfte »weiterhin die Taktik der Todesschwadronen in ihren Anti-GuerillaOperationen anwenden«. In einem Interview mit dem Radiosender RCN gab der ehemalige USABotschafter Myles Frechette zu, dass die Botschaft 1994 »über alle Details Bescheid wusste«. Allerdings habe der Schwerpunkt damals nicht in der Aufstandsbekämpfung, sondern im Krieg gegen die Drogenkartelle gelegen. »Wir hatten damals nicht die Mittel, die Armee zu Informationen zu zwingen oder ihnen mit einer Kürzung der Militärhilfe zu drohen, sollten sie nicht die Menschenrechte einhalten, da es kein Geld solcher Art gab«, sagte der Exbotschafter lapidar. Umso mehr Geld sollte der Armee in den Jahren danach zufließen, ohne dass sich an der Situation je etwas geändert hätte, wie der Skandal um die Hinrichtungen im Oktober letzten Jahres beweist.

* Aus: Neues Deutschland, 13. Januar 2009


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