Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Keine Chance für Dialog

Mit dem Start des Kolumbien-Plans eskaliert der Konflikt im Land

Die kolumbianische Regierung unter Andrés Pastrana geht seit dem Besuch von US-Präsident William Clinton Ende August deutlich auf Konfrontationskurs gegenüber den im Land operierenden Guerillagruppen. Die Absichten der Regierung aber bleiben nach wie vor unklar. Während Pastrana noch auf dem Gipfel der Vereinten Nationen in der ersten Septemberwoche auf die Anfrage von Journalisten in New York erklärte, 75 Prozent der im Rahmen des Kolumbien- Plans zur Verfügung gestellten Gelder würden in Sozialprogramme fließen, weisen seine Stellungnahmen von Anfang dieser Woche in eine andere Richtung.

Im Rahmen der Neustrukturierung der staatlichen Streitkräfte kündigte Pastrana an, die Armee aufzurüsten. »Ich sehe keinerlei Widerspruch darin, zur gleichen Zeit Anstrengungen zu unternehmen, um eine politische Übereinkunft zu erreichen«, so der Präsident. Nach ersten Ankündigungen will der Staatschef mit den Modernisierungen die Flexibilität der Armee-Einheiten erhöhen. So soll sowohl schneller in Gefechte eingegriffen als auch Einsätze in der Nacht ermöglicht werden. Zu seinem Amtsantritt, erklärte Pastrana stolz, habe die Armee 87 Kampfhubschrauber besessen, heute seien es bereits 172. Im vergangenen Jahr seien zudem 10 000 neue Soldaten rekrutiert worden. Pastrana zeigte sich zuversichtlich, daß die Stärke der Armee im kommenden Jahr von derzeit 42 000 auf 52 000 Mann anwachse.

In Anbetracht dieser Perspektive gab die US-Botschafterin in Kolumbien, Anne Patterson, bekannt, daß ihre Regierung »in den kommenden Tagen die erste Zahlung von 300 Millionen Dollar (im Rahmen des Planes Colombia) leisten wird«. Weitere 300 Millionen Mark sollen umgehend folgen.

Die Regierung Pastranas scheint inzwischen auch auf die Kooperation der lateinamerikanischen Staaten zählen zu können. Der chilenische Präsident Ricardo Lagos zumindest sieht in der Entwicklung des Konfliktes »keine Probleme«. Es sei offensichtlich, daß Pastrana den Frieden anstrebe. »Nur ist der Frieden eine Sache und die Bekämpfung des Drogenhandels eine andere«, so Lagos.

Selbst der venezolanische Präsident Hugo Chávez äußert sich inzwischen gemäßigter. »Ich habe nie Kontakte zu der Guerilla in Kolumbien unterhalten«, entgegnete Chávez gereizt auf die Anfrage einer kolumbianischen Journalistin vor zwei Wochen in New York. Auch der Venezolaner sieht in den Anstrengungen der kolumbianischen Regierung den Willen zum Frieden. »Uns beunruhigt aber auch die militärische Tendenz des Kolumbien-Planes«, setzte er nach. Chávez plädierte dafür, das Vorgehen in lokalen und regionalen Konflikten wie in Kolumbien im Rahmen der Vereinten Nationen zu diskutieren. »Es gibt schließlich eine gemeinsame Verantwortung, besonders im Hinblick auf das Problem des Drogenhandels.«

In Europa geht man derweil auf Distanz zu der US- kolumbianischen Strategie. Die britische Ministerin Marjorie Mowlam übte scharfe Kritik an der Militärhilfe der Vereinigten Staaten in Kolumbien. Großbritannien wolle, wie die meisten europäischen Länder, zunächst die Menschenrechte garantiert wissen. Die Frage sei Ende der vergangenen Woche auch Bestandteil von Gesprächen zwischen Mowlam und Pastrana in der kolumbianischen Hauptstadt Bogotá gewesen. Besonders die Armee steht in der Kritik, massive Menschenrechtsverletzungen zu begehen.

In der angespannten Situation sorgte die Ankündigung, die Regierung Pastrana wolle Steuern auf Konsumgüter erhöhen, für weiteren Zündstoff im Land. Selbst im Parlament wird dem Ansinnen Pastranas massiver Widerstand entgegengesetzt. Die Reform sieht weiterhin die Besteuerung von staatlichen Leistungen, darunter auch Wasser und Gas, sowie von Renten über einem bestimmten Niveau vor.

Der Oberkommandierende der FARC-Guerilla, Manuel Marulanda Vélez, erklärte die Friedensgespräche in Anbetracht der Entwicklung für vorläufig gescheitert. »Die Regierung war in bezug auf die Strategie zur Drogenbekämpfung in keiner Weise gesprächsbereit«, so Marulanda. Das habe zum Scheitern des Dialoges geführt, denn »niemand zweifelt daran, daß der Kolumbien-Plan der Aufstandsbekämpfung dient.«

Harald Neuber, Mexiko-Stadt

Aus: junge welt, 22. September 2000

Zurück zur Kolumbien-Seite

Zurück zur Seite "Regionen"

Zurück zur Homepage