Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Skepsis vor dem Machtwechsel in Bogotá

Juan Manuel Santos folgt Álvaro Uribe im Amt des kolumbianischen Präsidenten

Von Gerhard Dilger, Cúcuta *

Nach acht langen Jahren steht Kolumbien vor einem Präsidentenwechsel. An diesem Sonnabend wird der rechtsautoritäre Álvaro Uribe von Juan Manuel Santos abgelöst. Während die Medien Zuversicht verbreiten, überwiegt auf der Plaza Santander im Zentrum der Provinzhauptstadt Cúcuta in Nordostkolumbien, nahe der Grenze zu Venezuela, die Skepsis.

Keine großen Veränderungen erwartet Teresa Reyes, die den Passanten auf ihren beiden Telefonen Gespräche zum Billigtarif anbietet. Die Grenzregion leidet unter den angespannten Beziehungen zwischen Uribe und seinem Gegenpart, dem Sozialisten Hugo Chávez. »Und wegen ihrer schwachen Währung kommen viel weniger Venezolaner zum Einkaufen herüber als früher«, sagt Teresa Reyes.

Viele Kolumbianer rechnen es Uribe hoch an, dass er durch seinen unerbittlichen Kriegskurs gegen die FARC-Guerilla die Sicherheitslage im Land deutlich verbessert hat. So auch José Manuel Valencia. »Vor acht Jahren war die Guerilla eine Landplage«, meint der schmächtige Mann, der zum bevorstehenden Nationalfeiertag Fahnen verkauft. »Uribe hat den Staat gestärkt und die Bevölkerung beschützt.« Doch zugleich seien die Reichen reicher und die Armen ärmer geworden, wirft Reyes ein, gute Arbeitsplätze seien Mangelware. Immer wieder verscheuchen schwer bewaffnete Polizisten Straßenverkäufer wie María Rodríguez. Die junge Frau ist im sechsten Monat schwanger und bietet jeden Tag zehn Stunden lang Fruchtsäfte feil. »Ich werde zum Jahresende nach Venezuela ziehen, dort haben es die Armen besser«, meint sie.

Seinem Nachfolger hat Uribe noch in letzter Minute eine handfeste diplomatische Krise beschert: Seine aufgewärmten Vorwürfe, Caracas biete 100 Guerilleros der Bewaffneten Streitkräfte Kolumbiens (FARC) und des Heeres zur Nationalen Befreiung (ELN) Unterschlupf, lieferten Chávez vor 14 Tagen den Anlass, die diplomatischen Beziehungen zu Kolumbien abzubrechen.

Trotz stattlichen Wirtschaftswachstums nahmen unter Uribe Elend und Arbeitslosigkeit zu, Knapp die Hälfte der 44 Millionen Kolumbianer gelten als arm. Politisch waren die Uribe-Jahre von einer Reihe von Skandalen gekennzeichnet, angefangen bei der engen Verzahnung mit den rechtsextremen Paramilitärs. Parlamentarier der Uribe-Koalition landeten gleich dutzendweise im Gefängnis. Krieg führte er nach dem Motto: »Der Zweck heiligt die Mittel«. Über 2000 junge Leute wurden von der Armee ermordet und anschließend als Guerilleros ausgegeben, um die Statistik zu schönen. Von 2006 bis 2009 war Juan Manuel Santos als Verteidigungsminister Uribes wichtigster Helfer.

Dennoch scheint auf mehreren Feldern ein Politikwechsel möglich, von besseren Beziehungen zu Venezuela und Ecuador bis hin zu einer Verhandlungslösung mit der geschwächten Guerilla zur Beendigung des Krieges.

Santos inszeniert sich als Staatschef aller Kolumbianer: Bevor er am heutigen Sonnabend in Bogotá die Präsidentenschärpe umgelegt bekommt, lässt sich der 59-Jährige von indianischen Schamanen im karibischen Gebirge Sierra de Santa Marta einen Herrscherstab überreichen. Doch was beim Bolivianer Evo Morales angemessen wirkt, hat bei Santos einen schalen Beigeschmack. Der Spross einer mächtigen Politiker- und Pressedynastie aus der Hauptstadt wird nämlich die Offensive von Erdöl- und Bergbaukonzernen auch auf indigenen Territorien forcieren. Dies bedeutet für viele Ureinwohner eine existenzielle Bedrohung.

* Aus: Neues Deutschland, 7. August 2010


Zurück zur Kolumbien-Seite

Zurück zur Homepage