Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

"Über die Wurzeln des Konflikts wird nicht geredet"

Regierung Kolumbiens versteift sich auf militärische Lösung gegenüber der Rebellenorganisation FARC. Gespräch mit Sergio Salazar *

Sergio Salazar (27) ist Mitglied der nationalen Koordination der Jugendorganisation der kolumbianischen Linkspartei Polo Democrático Alternativo.



Seit Jahrzehnten kämpft die kolumbianische Rebellenorganisation FARC gegen den reaktionären Staatsapparat. Ist eine friedliche Lösung noch denkbar?

Mein Land durchlebt momentan einen bewaffneten Konflikt von historischem Ausmaß, die Regierung von Álvaro Uribe Vélez setzt alternativlos auf eine militärische Lösung des Konflikts mit der Guerilla. Das spiegelt sich nicht zuletzt in den beträchtlichen Investitionen in den staatlichen Sicherheitsapparat wider. Gleichzeitig wird die Neoliberalisierung großer Teile der Gesellschaft massiv vorangetrieben. Zur Zeit leben 68 Prozent der Bevölkerung in Armut.

Uribes Vorgänger Pastrana -- ebenfalls ein Konservativer -- hatte 2002 versucht, mit der FARC in den Dialog zu kommen.

Dieser Versuch ist gescheitert. Pastrana redete zwar viel vom Frieden, trieb aber dennoch die Militarisierung des Staates voran. Uribe brach dann alle noch bestehenden Kontakte zu den Rebellen ab. Heute wird nicht einmal mehr darüber geredet, daß dieser Konflikt seine Wurzeln darin hat, daß seit Jahrzehnten große Teile der Bevölkerung sozial und politisch ausgegrenzt werden.

Der Versuch der jetzigen Regierung, den Konflikt militärisch zu lösen, hat auch direkte Auswirkungen auf die Bevölkerung. Wohl kaum ein anderes Land erlebt zur Zeit derartige humanitäre Dramen: Mehr als zehn Prozent der Einwohner werden umgesiedelt, weil sie in Konfliktgebieten leben. Aus Angst vor Repressalien durch Polizei, Militär oder paramilitärische Banden sind bis heute schon Tausende Menschen ins Exil gegangen.

Welche gesellschaftlichen Gruppen trifft die Repression am stärksten?

Besonders Gewerkschaften sind der staatlichen und halbstaatlichen Gewalt ausgesetzt. Neun von zehn Morden an Gewerkschaftern in der ganzen Welt werden in Kolumbien verübt. Neu ist, daß es seit einiger Zeit in der Hauptstadt Bogotá zu massiven Übergriffen auf Jugendliche kommt. Viele von ihnen wurden einfach ermordet. Allein 2008 wurden 1493 Fälle dokumentiert. Warum geschehen diese Morde? Die Regierung will zeigen, daß sie mit der Guerilla fertig wird -- wozu sie gefallene Rebellen braucht. Die Ermordeten werden also in FARC-Uniformen gesteckt, um sie medienwirksam als getötete Guerilleros zu präsentieren.

Welche Möglichkeiten hat die parlamentarische Linke?

Im Dezember 2005 wurde der Polo Democrático Alternativo gegründet. Schon bei den Wahlen im Jahr darauf erreichten wir 22 Prozent Prozent der Stimmen. In wenigen Monaten ist es also gelungen, uns als wichtigste politische Kraft der Opposition zu etablieren.

Welche gesellschaftlichen Kräfte repräsentiert das Bündnis?

Unser Spektrum reicht von Sozialdemokraten bis hin zu Sozialisten. Der Polo hat ein klares, auf gesellschaftliche Veränderung ausgerichtetes, antiimperialistisches Programm. Wir stehen für eine friedliche Lösung des Bürgerkriegs und treten für die regionale Integration im Bündnis mit den progressiven Regierungen Lateinamerikas ein.

Vor etwa zwei Wochen kündigte die Regierung Uribe an, den Bau von fünf US-Militärstützpunkten zu genehmigen. Wie wird diese Entscheidung im Lande diskutiert?

Das Stützpunkte-Abkommen zwischen Uribe und US-Präsident Barack Oba­ma unterläuft die nationale Souveränität. Leider ist es für uns sehr schwer, diese Bewertung in der Öffentlichkeit durchzusetzen. Die führenden Medien behandeln das Thema lediglich unter dem Gesichtspunkt der nationalen Sicherheit. Sie stellen das Abkommen als effektive Maßnahme gegen den Terrorismus dar.

Wie schätzen Sie die Situation der Polo vor den Präsidentenwahlen im Mai 2010 ein?

Im Februar haben wir auf unserem zweiten Parteitag entschieden, mit eigenem Programm und eigenem Kandidaten anzutreten. Wer das sein wird, ist allerdings noch offen. Nach Umfragen der offiziellen Medien kämen wir auf acht Prozent -- unabhängig davon, mit welchem Spitzenkandidaten wir antreten.

Interview: Johannes Schulten

* Aus: junge Welt, 30. Juli 2009


Zurück zur Kolumbien-Seite

Zurück zur Homepage