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"Der Paramilitarismus wurde unter Uribe legalisiert"

Tausende linke Aktivisten in den 80er Jahren in Kolumbien ermordet. Nun sollen die Verantwortlichen vor Gericht. Ein Gespräch mit Miguel González

Miguel González ist Generalsekretär der Vereinigung demokratischer Juristen in Kolumbien. Er mußte wegen Todesdrohungen fliehen und lebt derzeit in Spanien.



Während der 1980er Jahre wurden Tausende Mitglieder und Anhänger der Linkspartei Unión Patriótica (UP, Patriotische Union) in Kolumbien ermordet. Weshalb ist dieser Massenmord nie aufgeklärt worden?

Sie bezeichnen die UP richtig als Linkspartei. Sie ist im Verlauf von Verhandlungen zwischen der damaligen Regierung und den Rebellenorganisationen entstanden und wurde binnen weniger Jahre durch blutigen Terror der Rechten zerschlagen. Ihre Frage stellen wir uns seither jeden Tag. Warum war der kolumbianische Staat in zwanzig Jahren nicht fähig, dieses Massaker aufzuklären? Eine mögliche Erklärung ist die Verbindung dieser Mörderbanden zu staatlichen Institutionen, zur Polizei und der Armee.

Nun versuchen Sie, den Massenmord vor dem Interamerikanischen Gerichtshof zu thematisieren. Ist eine juristische Aufarbeitung der Geschehnisse in Kolumbien nicht möglich?

Nein, in Kolumbien erleben wir eine völlige Mißachtung juristischer Grundsätze. Deswegen setzen wir, Juristen- und Menschenrechtsorganisationen, auf internationale Instrumente. Zunächst haben wir mit der Interamerikanischen Menschenrechtskommission gearbeitet, nun kommt der Fall vor den Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte.

Warum hat das so lange gedauert?

Die Kommission hat zehn Jahre lang versucht, in Übereinkunft mit dem kolumbianischen Staat eine Lösung zu finden. Dieser Versuch ist gescheitert, weil die amtierende Regierung von Alvaro Uribe das Vorgehen der Täter indirekt gerechtfertigt hat. Daraufhin haben die Kläger die Verhandlungen abgebrochen. Nun ist der Gerichtshof für Menschenrechte gefragt.

Kann man beziffern, wie viele Anhänger der UP ermordet wurden?

Opferorganisationen gehen von rund 5000 Toten aus. Ein Problem ist auch hier die Untätigkeit der staatlichen Institutionen in Kolumbien. Offiziell wurden die Morde nie untersucht. Trotzdem konnten 2000 Fälle nach objektiven Kriterien belegt werden.

In den 1970er Jahren haben Sie in Ostberlin studiert. Auch einer Ihrer damaligen Kommilitonen wurde später ermordet. Wer war er?

Bernardo Jaramillo Ossa. Wir hatten damals zusammen an der Jugendhochschule »Wilhelm Pieck« studiert. Bernardo fiel am 22. März 1990 einem Attentat zum Opfer. Er war Senator der Republik und hatte verschiedene Posten in der Patriotischen Union inne. Als er ermordet wurde, war er Vorsitzender dieser Partei und Kandidat für die Präsidentschaft.

Was hat die aktuelle Regierung von Alvaro Uribe mit diesen Geschehnissen zu tun?

Bereits vor seiner Präsidentschaft hat Uribe als Bürgermeister von Medellín und als Gouverneur des Departements Antioquia ein unklares Verhältnis zu den rechten Paramilitärs gehabt. In Antioquia sind während seiner Regierung die berüchtigten Convivir-Milizen entstanden, über die der Paramilitarismus legalisiert wurde. Diese Banden waren später für Tausende Morde auf dem Land verantwortlich. Besonders gewütet haben sie in den Regionen, in denen die UP über Rückhalt verfügte.

Auch deswegen versuchen Sie mit Unterstützung zahlreicher Juristen- und Menschenrechtsorganisationen ein Verfahren gegen Uribe vor dem Internationalen Strafgerichtshof zu erreichen. Ist eine solche Initiative nicht von vornherein zum Scheitern verurteilt?

Dieser Vorstoß kann nur dann Erfolg haben, wenn er breite Unterstützung findet. Im Moment sprechen sich für ein solches Verfahren nicht nur Juristen- und Menschenrechtsorganisationen aus, sondern auch Gewerkschaften und Intellektuelle. Sie tragen Fälle politischer Gewalt zusammen, für die der heutige Präsident Verantwortung trägt und sie sammeln Beweise. Es gibt in Kolumbien viele Widerstände dagegen. Natürlich ist uns auch klar, daß internationale Organisationen wie der Strafgerichtshof von politischen Interessen bestimmt wird. Aber die Verbrechen des kolumbianischen Staates sind inzwischen so offensichtlich und die Straffreiheit so deutlich, daß wir einen Erfolg für möglich halten.

Interview: Harald Neuber

* Aus: junge Welt, 26. September 2008


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