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Unter Obama hat sich an der Situation in Kolumbien bisher nichts geändert

Militarisierung und Repression in dem südamerikanischen Land schreiten ungebrochen voran

Ramiro Orjuela, Strafverteidiger von politischen Gefangenen in Kolumbien und Martín Sandoval, Vorsitzender des Komitees für Menschenrechte in Arauca, einer Grenzregion zu Venezuela, befinden sich derzeit auf einer Europareise, um über die Situation in Kolumbien aufzuklären und die aktuelle internationale Unterstützungskampagne für die politischen Gefangenen und deren weitere Ziele vorzustellen. Mit ihnen sprach für das "Neue Deutschland" (ND) Martin Ling.



ND: Wie hat sich die Lage der politischen Gefangenen in der Ära Uribe entwickelt?

MS: Unter dem Banner einer formaldemokratischen Regierung hat die Repression gegen die sozialen Bewegungen, die Gewerkschaften und die politische Opposition unter dem Präsidenten Álvaro Uribe ungeahnte Ausmaße angenommen. Die Gefängnisse in Kolumbien sind voll von politischen Gefangenen: Rund 7200 sitzen derzeit ein. Deswegen wurde die internationale Kampagne Freiheit für die politischen Gefangenen in Kolumbien gestartet, in deren Rahmen wir derzeit in Europa die Öffentllichkeit über die Situation in Kolumbien informieren.

Sie waren selbst bis Mai politischer Gefangener. Wie kamen Sie frei?

Ich selbst, Vorsitzender des Komitees für Menschenrechte in Arauca, wurde Opfer der Einkerkerungspolitik der Regierung. Am 4. November 2008 wurde ich mit 14 anderen sozialen Aktivisten in Arauca verhaftet und ins Gefängnis geworfen. Dank des nationalen und internationalen Drucks einer Solidaritätskampage wurde ich am 13.Mai 2009 wieder freigelassen. Mich hat das ermutigt, meine politische Arbeit für die Menschenrechte, einen demokratischen Prozess und vor allem für die politischen Gefangenen fortzusetzen. Die Kampagne setzt sich für ihre Gesundheit, Ernährung, Unterkunft ein und letztendlich für ihre Freilassung. Wir machen uns für die Wahrung der Menschenrechte in unserem Land stark.

Wie verhalten sich die europäischen Regierungen gegenüber der Regierung Uribe? Die Menschenrechtsverletzungen sind ja kein Geheimnis.

Generell verhalten sie sich aus diplomatischen Gründen und Wirtschaftsinteressen sehr unkritisch gegenüber der Uribe-Regierung. Es wird behauptet, dass Kolumbien eine gute Entwicklung nehme und nichts großartig Negatives passiere. Alles Negative wird dem Terrorismus zugeschrieben, eine Verantwortung der Regierung negiert. Die kolumbianischen Botschaften tun ein Übriges, um in aller Welt das Bild eines demokratischen Kolumbiens zu zeichnen. Bis dato gibt es nur wenige Regierungen innerhalb der EU, die eine kritische Position zum Uribe-Regime einnehmen. Wir erwarten allerdings, dass sich das in nicht allzu ferner Zukunft ändert. Kolumbien belegt mit über vier Millionen gewaltsam vertriebenen Binnenflüchtlingen den zweiten Rang weltweit in dieser traurigen Statistik. Wir erwarten, dass die EU und weit mehr Staaten als bisher bald auf die Einhaltung der Menschenrechte in Kolumbien pochen. Die internationale Kampagne soll durch ihre Aufklärung über die wahre Lage in Kolumbien dazu ihren Teil beitragen.

Ein großer Unterstützer der Regierung Uribe sind die USA. Hat sich unter Präsident Barack Obama daran etwas geändert?

Für uns stellt sich die Situation unverändert dar. Obama repräsentiert genauso die imperialistischen Interessen wie sein Vorgänger Bush. Sicher gibt es im Diskurs neue Muster, aber die Politik der Enteignung, Vertreibung auf dem kolumbianischen Land mit US-amerikanischer Unterstützung und im Interesse auch US-amerikanischer Unternehmen setzt sich fort. Hinzu kommt der Plan, in Kolumbien sieben USA-amerikanische Militärbasen zu installieren. So gesehen können wir weder einen realen Wandel in der US-Politik erkennen noch haben wir viel Hoffnung, dass einer kommt.

In Bezug auf die EU haben Sie indes Hoffnung auf einen Wandel. Warum?

Ja. Diese Hoffnung und Erwartung haben wir. Wir gehen davon aus, dass sich die EU künftig stärker auf die Interessen der Gesellschaft orientiert und nicht auf die der Regierung. Wir hoffen, dass die aktuell laufenden Verhandlungen der EU mit Kolumbien über ein Freihandelsabkommen ermöglichen, dass die EU Druck auf einen Wandel der kolumbianischen Politik ausübt: In Richtung Wahrung der Menschenrechte, einem Ende der Repression und einer Gewährleistung der Gewerkschaftsfreiheit.

In Kolumbien stehen 2010 Präsidentschaftswahlen an. Ändert das das Szenario?

RO: Trotz aller Korruptionsskandale und trotz seiner Verbindung zu den paramilitärischen Todesschwadronen will Uribe wie schon 2004 die Verfassung erneut ändern, um zum dritten Mal als Präsidentschaftskandidat antreten zu können. Er wird das mit ziemlicher Sicherheit erreichen, denn dank des Klientelismus verfügt er über genügend Einfluss auf das Verfassungsgericht. Wir gehen davon aus, dass sich nichts ändert, wenn Uribe an der Macht bleibt und auch nicht, wenn ein Statthalter an seine Stelle treten sollte. Es wird derselbe Gewaltfilm bleiben.

Wie lässt sich der Film ändern?

MS: Das ist nicht einfach, aber möglich. Unser Ziel ist es, viele soziale Sektoren zu mobilsieren. Kolumbianer sind widerstandsfähig und kämpferisch. Wir wollen ein breites demokratisches Bündnis aufbauen, um Uribe an den Urnen zu besiegen. Die 2005 gegründete linksorientierte Partei »Polo Democrático Alternativo« gibt Anlass zur Hoffnung. Sie ist noch immer im Aufbau begriffen. Wir streben auch für Kolumbien trotz aller Schwierigkeiten in nicht allzu ferner Zukunft einen Wandel an, wie er in Ländern wie Venezuela, Bolivien oder Ecuador bereits erfolgt ist.

* Aus: Neues Deutschland, 3. November 2009


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