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Das Image von Präsident Santos täuscht

Judith Maldonado Mujica: Die systematische Verfolgung der Menschenrechtsorganisationen geht weiter *


Judith Maldonado Mujica ist Direktorin des Anwaltskollektivs Luis Carlos Pérez aus Bucaramanga. Sie hat die Kanzlei 2001 mitbegründet, stammt aus Bucaramanga und wurde in den letzten Monaten massiv bedroht und auch angegriffen. Am 9. Juli wurde die 34-Jährige mit dem diesjährigen Shalompreis der Universität Eichstätt ausgezeichnet, der seit 1982 an Personen oder Projekte vergeben wird, die sich für die Menschenrechte einsetzen. Über die Entwicklung in Kolumbien seit dem Regierungswechsel 2010 sprach mit ihr für das Neue Deutschland (ND) Knut Henkel.

ND: Frau Maldonado. Sie sind 2011 die Trägerin des Shalom-Preis für Menschenrechte der Universität Eichstätt. Was hat ein Menschenrechtspreis wie dieser für eine Bedeutung in Kolumbien?

Für uns sind solche Preise immens wichtig, weil sie uns national und international sichtbar machen. Wir werden bekannter, es wird schwieriger, uns in eine bestimme Ecke zu stellen und es ist riskanter, uns zu bedrohen, zu verfolgen, weil das internationale Kritik und Aufmerksamkeit nach sich ziehen kann. Durch solche Preise wird der Stellenwert einer Organisation wie der unseren angehoben, denn dadurch wird unsere Arbeit legitimiert und so steigt auch der Druck auf die Regierung, endlich zu agieren und die Menschenrechte zum Thema auf der politischen Agenda zu machen.

Wie ist denn die Menschenrechtssituation in Kolumbien. Hier in Europa hat man den Eindruck, dass es unter der neuen Regierung von Juan Manuel Santos Fortschritte gibt – ist das richtig?

Dieser Eindruck täuscht, die Situation hat sich erneut verschlechtert. Die Menschenrechtsorganisationen sind zwar in einem Dialog mit der Regierung, um einen nationalen Menschenrechtsplan zu verabschieden. Basis dieses Plans müssen handfeste Garantien für die Sicherheit von Menschenrechtsorganisationen und sozialpolitische Nichtregierungsorganisationen sein. In der Praxis ist das aber nicht der Fall, denn seit dem Amtsantritt von Juan Manuel Santos im August 2010 hat es mehr als 200 Angriffe auf Menschenrechtsaktivisten und Repräsentanten von sozialen Organisationen gegeben – darunter waren 34 Morde. 15 der Ermordeten waren Aktivisten für die Rückgabe von Landtiteln. Von dieser Welle der Gewalt waren mehr als 127 Organisationen in Kolumbien betroffen. Obwohl die Regierung einen versöhnlichen Ton anschlägt, hat sich die Realität für Nichtregierungsorganisationen, die im Menschenrechtsbereich arbeiten, weiter verschlechtert.

Das klingt, als habe sich nur der Ton unter Santos verändert?

Die verbalen Angriffe gegen die Menschenrechtsorganisationen, die von Ex-Präsident Álvaro Uribe Vélez immer wieder in die Nähe der Guerilla gerückt wurden, sind vorbei. Juan Manuel Santos pflegt einen respektvollen Ton, ist um ein rechtsstaatliches Image bemüht, aber die konkrete Situation im Land hat sich nicht verbessert. Das hat dazu geführt, dass die Plattform der kolumbianischen Menschenrechtsorganisationen am 13. Juni den Dialog mit der Regierung ausgesetzt hat, weil es eine systematische Verfolgung unserer Organisationen in Kolumbien gibt.

Es ist ausgesprochen auffällig, dass das Image der Regierung in Europa trotz dieses Sachverhalts recht positiv ist, wie kommt das?

Schon unter der Regierung von Álvaro Uribe Vélez wurden sehr effektive Lobby-Strukturen aufgebaut. Die funktionieren auch heute sehr gut und Juan Manuel Santos pflegt ein ausgesprochen rechstaatliches Image und national und international wurden seine beiden zentralen Gesetzesinitiativen sehr wohlwollend registriert.

Aber beschreitet Kolumbien mit den beiden Gesetzen, dem »Gesetz der Opfer« und dem »Landgesetz«, nicht Neuland?

Die beiden Gesetze sind eines – es handelt sich um das Gesetz 1448, das im Juni 2011 verabschiedet wurde. Grundsätzlich ist dieses Gesetz ein positives Signal, aber in der Praxis gibt es eine ganze Reihe von Kritikpunkten. So ist es zum Beispiel den Opfern von Vertreibung nicht gestattet, aus freien Stücken auf ihr Land zurückzukehren. Wenn sie das Prozedere nicht einhalten, verlieren sie das Recht auf ihr Land. Dass ist aus unserer Sicht paradox – der Prozess müsste deutlich flexibler und transparenter werden.

Zudem darf man nicht vergessen, dass Kolumbien ein Land mit sehr guten gesetzlichen Grundlagen ist. Das Problem in Kolumbien ist aber, dass die Gesetze nicht umgesetzt werden. Das ist auch ein Grund, weshalb kaum ein Verbrechen geahndet wird. Kolumbien hat offiziellen Zahlen zufolge 3,5 Millionen Bürgerkriegsflüchtlinge – laut Nichtregierungsorganisationen sind es sogar 5,9 Millionen Menschen, die zurück in ihre Heimat wollen. Das »Gesetz der Opfer« ist aus meiner Sicht nur ein Instrument, um diese Menschen zu beruhigen. Es passiert doch etwas, ist die Botschaft, aber ob und wann die Leute davon profitieren, ist vollkommen offen.

* Aus: Neues Deutschland, 23. August 2011


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