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Tausende Morde unter Uribe

UN-Menschenrechtsrat zieht erschütternde Bilanz zur Lage in Kolumbien

Von Gustavo Capdevila (IPS), Genf *

Im südamerikanischen Bürgerkriegsland Kolumbien kommt es seit Jahrzehnten zu »schweren und chronischen Verletzungen« der Menschenrechte. Mit diesen Verbrechen, die 1984 schon die inzwischen aufgelöste UN-Menschenrechtskommission beschäftigten, befaßte sich nun der UN-Menschenrechtsrat in Genf. Neben Regierungen erhielten auch Nichtregierungsorganisationen (NGOs) Gelegenheit, sich zur Menschenrechtssituation in ihren Ländern zu äußern. Im Fall Kolumbien bringen die Berichte, die die Kolumbianischen Juristenkommission (CCJ) in der vergangene Woche einbrachte, Bogotá in enorme Erklärungsnot.

Bereits die nackten Zahlen erschüttern: Seit dem Amtsantritt des konservativen, US-freundlichen Staatspräsidenten Álvaro Uribe im August 2002 »verschwanden« 14000 Kolumbianer oder kamen gewaltsam ums Leben. Das entspricht einem Blutzoll von sieben Menschen am Tag. Unter den Opfern befinden sich 1400 Frauen und 700 Kinder. Wie der CCJ-Vertreter Gustavo Gallón berichtet, war der Staat in 75 Prozent aller Fälle involviert. Sie gingen zu 17,5 Prozent direkt auf das Konto der Sicherheitskräfte. Der überwiegende Rest sei den ultrarechten Paramilitärs anzulasten. Werden die 12000 Menschen hinzugerechnet, die in den knapp sechs Jahren seit 2002 bei Kampfhandlungen ums Leben kamen, ergibt sich eine Opferbilanz von 26000 Menschen.

Häufige Zielscheibe der Anschläge sind Gewerkschafter. Seit 1986 wurden in Kolumbien 2674 dieser Aktivisten ermordet, jeden dritten Tag einer. Allein im Jahr 2008 starben 40 Gewerkschafter. Hinzu kommen die vielen anderen Opfer des Kampfs um Rechte und Land. Wie Eric Sottas, Chef der Weltorganisation gegen Folter (OMCT), betont, wird häufig vergessen, daß sich der Bürgerkrieg in Kolumbien vor allem um Ländereien dreht. Von den 3,5 Millionen bis vier Millionen vertriebenen Bauern waren 60 Prozent im Besitz von Landtiteln.

Das Gesetz für Gerechtigkeit und Frieden, das Uribe 2005 vorgeblich erließ, um die Demobilisierung der Paramilitärs zu regeln, sieht keine Rückgabe der gewaltsam enteigneten Grundstücke vor, sondern Geldzahlungen, die laut Sottas bei weitem nicht ausreichen, um alle vertriebenen Bauern zu entschädigen. Für den OMCT-Chef steht fest, daß der Bürgerkrieg einer »riesigen landwirtschaftlichen »Gegenreform« und einer Reorientierung der Agrarproduktion« als Feigenblatt dient.

Auch international wurde in Genf Kritik an den kolumbianischen Zuständen geäußert. Irland zeigte sich insbesondere darüber beunruhigt, daß Verbrechen den regulären Streitkräften zuzuordnen sind. Schweden erwähnte, daß dem bald 50jährigen Konflikt extrem viele Ureinwohner zum Opfer fielen und inzwischen ganze Völker vom Aussterben bedroht sind. So zählen 18 der insgesamt 28 indigenen Gemeinschaften nicht einmal mehr hundert Angehörige, wie das internationale und unabhängige Ständige Tribunal der Völker (PTT) herausfand. Hintergrund sind Explorationsprojekte, die auf den Lebensraum der 1,4 Millionen Ureinwohner keine Rücksicht nehmen.

Wie Alexandra Huck von der Organisation Menschenrechte für Kolumbien KOLKO betonte, wurden auf der Sitzung am 10. Dezember etliche wichtige Themen wie etwa die außergerichtlichen Hinrichtungen angesprochen. Kolumbien habe »an der Menschenrechtsfront« keine »wirklichen Fortschritte« gemacht: »Wir und andere NGOs sind nicht der Meinung, daß die Uribe-Administration ihren politischen Willen unter Beweis gestellt hat, die Menschenrechtsitua­tion in Kolumbien zu verbessern«, so Huck. »Bisher hat sich der Staat eher darauf beschränkt, Komitees und Arbeitsgruppen einzurichten, wirkliche Veränderungen sind ausgeblieben.«

* Aus: junge Welt, 16. Dezember 2008


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