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Mörderischer Alltag

In Kolumbien wurden seit Jahresbeginn 27 Gewerkschafter ermordet. Zunehmend rückt auch die Opposition gegen Präsident Uribe ins Visier der Todesschwadrone

Von Harald Neuber *

Gerade erst hatte Luis Mayusa Prada seinen kleinen Sohn, das jüngste von vier Kindern, zum Arzt gebracht. Als er kurz vor acht Uhr morgens allein nach Hause zurückkehrte, erwarteten ihn seine Mörder. Der Gewerkschaftsaktivist wurde am 8. August vor seinem Haus in Saravena im Departement Arauca von mehreren Kugeln getroffen und war sofort tot. Der 46jährige ist das bisher letzte von 27 Opfern der Todesschwadrone in Kolumbien seit Jahresbeginn. Auch in diesem Fall drängt sich ein politischer Hintergrund auf: Mayusa Prada stand nicht nur als bekannter Gewerkschaftsaktivist im Visier der gedungenen Mörder. Er gehörte auch der Kommunistischen Partei Kolumbiens und dem linken Oppositionsbündnis »Demokratischer und Alternativer Pol« an.

Im Schatten der Auseinandersetzung zwischen der rechtsgerichteten Regierung von Präsident Alvaro Uribe und den Guerillaorganisationen des südamerikanischen Landes droht die Gewalt gegen soziale Aktivisten und Oppositionelle aus den internationalen Schlagzeilen verdrängt zu werden. Nach Angaben des Gewerkschaftsverbandes CUT sind seit dessen Gründung im Jahr 1986 über 2 600 Kollegen ermordet worden. Erschütternd ist nicht nur diese Zahl, sondern auch die andauernde Untätigkeit des Staates. Nur zwischen zwei und drei Prozent der politischen Morde wurden bisher aufgeklärt.

Vertreter der Opposition sind alarmiert, weil sich die Anschläge nicht mehr nur gegen soziale Aktivisten richten, sondern zunehmend auch wieder gegen politische Kontrahenten der immer autoritärer agierenden Regierung Uribes. So wies die linke mexikanische Tageszeitung La Jornada unlängst auf einen Fall hin, der sich am 11. Juli im Departement Nariño ereignet hat. Eine paramilitärische Gruppe mit dem Namen »Neue Generation« fing an einer Straßensperre zwei Vertreter eines Verbandes afrokolumbianischer Gemeinden ab und verschleppte sie. María Antonia Amaya und Jospe Arcos sind seither verschwunden. In der Region Cauca gingen indes Todesdrohungen bei einem Regionalverband indigener Gemeinden ein. Menschenrechtsgruppen sehen solche Bedrohungen als Beweis dafür an, daß der rechte Paramilitärverband AUC unter Uribes Präsidentschaft keineswegs aufgelöst wurde, wie in Bogotá behauptet wird. Die rechten Milizen hätten sich nur andere Namen gegeben und neu organisiert. So wird auch der Mord an Mayusa Prada von der KP Kolumbiens als »Teil der Regierungspolitik Alvaro Uribes« bezeichnet, »um die Kommunistische Partei und die Opposition auszulöschen«.

Selbst die US-amerikanische Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch, die sonst vor allem durch ihre harsche Kritik an der Guerilla auffällt, distanziert sich inzwischen von der Uribe-Regierung. Die Organisation mit Sitz in der US-Hauptstadt Washington spricht sich offen gegen die Ratifizierung eines Freihandelsabkommens zwischen den USA und Kolumbien aus, solange sich die Menschenrechtslage in dem süd­amerikanischen Land nicht verbessert. Die kolumbianische Menschenrechtsgruppe Reiniciar verweist auf laufende juristische Auseinandersetzungen. Der jüngst ermordete Gewerkschafter und Politaktivist Mayusa Prada sei seit den 1990er Jahren mehrfach vertrieben worden. »Sein Fall war Teil einer Sammelklage vor der Interamerikanischen Menschenrechtskommission«, heißt es in einer Erklärung der Gruppe.

Die Morde schüren auch die Zweifel an der Politik der »demokratischen Sicherheit« von Präsident Uribe, die in den vergangenen Jahren eine massive Militarisierung des Landes zur Folge hatte. Im Ausland wird darüber kaum berichtet. Am 7. August, einen Tag vor dem Mord an Mayusa Prada publizierte die Frankfurter Allgemeine Zeitung einen Beitrag über Uribe unter dem Titel »Kolumbiens ordnende Hand«. Mit der Politik der »demokratischen Sicherheit«, hieß es darin, habe der rechte Staatschef »die öffentliche Ordnung so weit wiederhergestellt, daß die Gefahr für Leib und Leben in nahezu allen Metropolen Lateinamerikas größer ist als in Bogotá, Medellín oder Cartagena«. Da sind wenigstens zwei Einschränkungen angebracht: Für den Rest des Landes gilt das ebensowenig wie für Kritiker der Uribe-Regierung.

* Aus: junge Welt, 22. August 2008


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