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"Pass auf, wo Du hintrittst"

Kolumbien ist das Land mit den weltweit meisten Minenopfern

Von Knut Henkel, Medellín *

Kolumbien - nirgendwo sonst auf der Welt werden mehr Menschen Opfer dieser Waffen als hier. Jeden Tag sterben durchschnittlich zwei Menschen, weil sie auf eine Mine treten. Das kann überall passieren, denn in über der Hälfte der Gemeinden wurden schon Personenminen gefunden. Ein Grund, weshalb die Überprüfungskonferenz der Ottawa-Konvention dieses Mal in Cartagena stattfindet.

»Die Region von San Francisco ist überaus gefährlich für uns Bauern. Minen machen das Bestellen der Felder zu einem großen Risiko«, erzählt Nicolás Castilón. Der stämmige Mann mit dem karierten Baumwollhemd ist Bauernvertreter und kämpft für die Rückkehr seiner Leute auf die Felder im Nordwesten des Landes. »Zwar sind eine ganze Reihe von Familien nach der Flucht vor den Kämpfen zwischen Guerilla, Armee und Paramilitärs zurückgekommen, aber einige Wege und Zugänge wurden von den Krieg führenden Parteien vermint«, sagt der Vertreter des Bauernverbandes von Antioquia (ACA). Der ist in einem unscheinbaren Bürogebäude im Zentrum Medellíns untergebracht. Antioquia ist staatlichen Quellen zufolge der Verwaltungsbezirk mit den meisten Minenunfällen. Landesweit gibt es täglich mindestens zwei Unfälle, bis September diesen Jahres waren es sogar drei, womit Kolumbien die internationalen Statistiken der Minenopfer weltweit anführt. »Davon sind vor allem wir Bauern betroffen. Für uns ist es ein Risiko, die Felder zu bestellen«, erklärt Nicolás Castilón und legt missbilligend die Stirn in Falten.

Ohnehin ist es die Zivilbevölkerung auf dem Land, die am meisten unter dem seit 1964 tobenden Bürgerkrieg zu leiden hat, denn der findet vorwiegend in diesen Regionen statt. Hier findet man häufig Drogenanbaugebiete, die von der linken Guerilla oder den rechten Paramilitärs vermint werden. Bauern, die nicht mit der einen oder anderen Seite kooperieren, haben da nichts zu suchen, betont Victor Tobón, ein Soziologe, der für die ACA arbeitet. Glaubt man Bäuerinnen wie Luzmari González, die aus der Region von San Francisco stammt und seit fünf Jahren in Medellín lebt, weil sie nicht zurück kann, dann sind sowohl die Guerilla als auch die Armee für das Ausbringen der Antipersonenminen verantwortlich.

Von der Regierung wird das bestritten. Die hat am 14. Januar 2000 das Abkommen von Ottawa per Gesetz ratifiziert. Seitdem hat sich zwar einiges gebessert. So wurde 2006 eine Abteilung zur humanitären Minenräumung installiert, die rund 160 Experten im Einsatz hat. »Aber viele Minenopfer bleiben auf sich gestellt«, so Liliana Sierra Martínez von der Stiftung »Mi Sangre«. Die wurde 2006 von Kolumbiens Rockstar Juanes gegründet. Der sozial engagierte Sänger hat bereits 2002 mit seinem Stück »Fijate Bien«, auf Deutsch so viel wie »Halt Dich fest«, auf das Problem und die verheerende Situation in den ländlichen Regionen aufmerksam gemacht. Das eingängige Stück ist in Kolumbien zur Hymne der Bewegung gegen den Einsatz von Anti-Personenminen geworden und dient natürlich auch den Spezialisten von »Mi Sangre«. »Nicht unbedingt im Einsatz auf dem Land, aber bei der Öffentlichkeitsarbeit in den Städten«, sagt Liliana Sierra Martínez. Auch aus Deutschland erhielt die Stiftung Mittel. 200 000 Euro hat der damalige Außenminister Frank-Walter Steinmeier im Juni 2008 an Juanes für die Reintegration von Minenopfern und die psychosoziale Arbeit mit Kindern übergeben.

785 Minenopfer betreut die Stiftung in diesem Jahr und versucht, ihnen die Rückkehr in den Alltag zu erleichtern. »Dazu gehört auch der ökonomische Neuanfang«, beschreibt Tatiana Sánchez Tirado einen wichtigen Bestandteil der Arbeit. 87 Prozent der Minenopfer sind schließlich Jugendliche, und Jobs sind in Kolumbien ohnehin rar. Kleinkredite für die Gründung von Dorfkiosken, Schusterwerkstätten oder dergleichen sind daher eine Alternative, die die Flucht in die Anonymität der Städte verhindern sollen, erklären die Psychologen der Stiftung einen Teil des Konzepts.

Das kommt zwar national wie international recht gut an, reicht aber bei Weitem nicht aus, da es generell zu wenig Programme für die Opfer von Minen gibt und auch die Aufklärung in Kindergärten und Schulen zu kurz kommt, kritisiert Stiftungsvertreterin Martínez. Das bestätigen auch die Bauern aus San Francisco. Die hoffen seit drei Jahren auf das Minenräumkommando und wissen immer noch nicht, wann die Spezialisten Zeit haben, die Pfade in ihrer Gegend zu säubern.

Zahlen und Fakten

Seit 1990 fielen über 8000 Kolumbianer Antipersonenminen und nicht explodierter Munition zum Opfer. Das Land hat weltweit die meisten Opfer zu beklagen. Jeden Tag werden in Kolumbien zwei Minenunfälle registriert. 46 % der Gemeinden haben Opfer zu beklagen, 61,8% sind von der Präsenz von Minen und nicht explodierter Munition betroffen. Aus 22 der 32 Verwaltungsbezirke wurden Minenunfälle gemeldet, so die nationale Beobachtungsstelle. Seit 2000 wurden 19 000 Minen zerstört. Zudem wurden 12 der 34 Minenfelder der Armee aufgelöst.

Gleichwohl sollen landesweit noch immer 70 000 bis 100 000 Minen ausgelegt sein, von denen viele von den bewaffneten Akteuren selbst hergestellt worden sind. Sie nutzen Minen, um strategische Korridore zu sichern, eigene Lager zu schützen, aber auch um Drogenpflanzungen vor der Zerstörung durch die Militärs zu bewahren, so die »Kolumbianische Kampagne gegen Minen«. Dabei ist die FARC, die größere der beiden kolumbianischen Guerillaorganisationen, laut »Human Rights Watch« mittlerweile die Gruppe, die weltweit die meisten Minen herstellt und einsetzt.

K. H.



* Aus: Neues Deutschland, 30. November 2009


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