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Steht Kolumbiens Linke wieder im Visier?

Terrordrohungen gegen Carlos Lozano, Vertreter der neuen sozialen Bewegung Marcha Patriótica *


Carlos Lozano Guillén ist Friedensaktivist und Direktor der Zeitung "Voz" der Kommunistischen Partei Kolumbiens. Mit ihm sprach für "neues deutschland" (nd) Harald Neuber.


nd: Sie haben Informationen vorliegen, nach denen eine paramilitärische Gruppierung mit dem Namen »Los Urabeños« Sie zu ermorden versucht. Welche Interessen stehen dahinter?

Lozano Guillén: Ich denke, dass hier zwei Aspekte zur Wirkung kommen. Zum einen gewinnt derzeit in Kolumbien das Lager derjenigen an Zuspruch, die sich für eine einvernehmliche Lösung des politischen und sozialen Konfliktes in unserem Land einsetzen. Die Friedensfrage ist so erneut zu einem zentralen Thema auf der politischen Agenda geworden. Die ewigen Anhänger des Krieges, die Militaristen und die Rechten wollen jeden Fortschritt in diese Richtung sabotieren. Die gleichen Kreise versuchen, den Marcha Patriótica (Patriotischen Marsch) zu zerschlagen, einen sozialen und politischen Zusammenschluss linker Organisationen, der sich für soziale und friedliche Ziele einsetzt und eine neue politische Kraft bilden könnte. Ich bin einer der Sprecher dieser Allianz, ebenso wie die ehemalige Senatorin Piedad Córdoba, die vor zwei Wochen einem Attentatsversuch entkommen ist.

Nach Angaben kolumbianischer Medien ist die paramilitärische Gruppierung »Los Urabeños« aus dem ehemaligen Dachverband AUC hervorgegangen, der nach Darstellung der Regierung aufgelöst wurde. Welche Rückschlüsse lässt das zu?

Es gibt nur einen Rückschluss: dass die Demobilisierung der Paramilitärs eine Farce war. »Los Urabeños«, »Los Rastrojos« und andere kriminelle Banden sind Ausläufer des alten Paramilitarismus. Diese Gruppierungen handeln wie eh und je in Komplizenschaft mit zivilen und militärischen Instanzen, regionalen Politikern des Establishments, Unternehmern und anderen rechten Kräften.

Wie hat die Regierung von Präsident Juan Manuel Santos auf die offenen Drohungen gegen Sie und andere Friedensaktivisten reagiert?

Es gab unterschiedliche Reaktionen. Einige Funktionäre haben Sicherheitsmaßnahmen und -garantien angeboten. Solche Stimmen kamen vor allem von der Unidad Nacional de Protección, dem Geheimdienst. Von anderer Seite wurden die Drohungen demonstrativ ignoriert. Dabei ist das Problem im Kern politisch. Mehr Bodyguards und Sicherheitsmaßnahmen können die Probleme nicht lösen - auch wenn ich diese Angebote natürlich schätze. Das Wichtigste aber ist, dass die Regierung und allen voran der Präsident gegenüber der Opposition, der Linken und der Volksbewegung Garantien gibt und die sozialen Kämpfe anerkennt. Die Anschuldigungen und Angriffe gegen den Marcha Patriótica von dieser Seite müssen ein Ende haben. Denn sie sind der Nährboden für die terroristische Gewalt von Organen des Staates sowie der kriminellen und paramilitärischen Ultrarechten.

Sie sagen, dass sich die Angriffe gegen die Konsolidierung des Bündnisses Marcha Patriótica richten. In den achtziger Jahren hat es schon einmal eine starke Terrorwelle gegen die Linkspartei Unión Patriótica gegeben, damals wurden Tausende Aktivisten und Kandidaten ermordet. Droht sich die Geschichte zu wiederholen?

Das glaube ich zwar nicht, aber die Gefahr lässt sich nicht ausschließen. Wir leben heute in einer anderen historischen Situation. Aber die Gefahr existiert. Die Ultrarechte ist bereit das Land mit blutigem Terror und mit einem schmutzigen Krieg zu überziehen, um die Linke auszulöschen. Sie müssen verstehen, dass die herrschende Klasse Kolumbiens ihre Macht stets gewaltsam verteidigt hat.

Inmitten dieser Situation hat der Rat der Europäischen Union unlängst ein Freihandelsabkommen mit Peru und Kolumbien verabschiedet. Sollte Brüssel dabei die Lage der Menschenrechte besser beachten?

Ich halte diesen Schritt für sehr negativ. Der Freihandelsvertrag der EU in seiner jetzigen Form droht die Gewalt durch die herrschenden Gruppen und die Menschenrechtsverletzungen zu verstärken sowie die Kluft zwischen Arm und Reich zu verbreitern. Die starken Wirtschaftsgruppen und transnationalen Akteure werden durch dieses Freihandelsmodell unterstützt. Gerade diese Gruppen aber sind traditionelle Verbündete des Paramilitarismus. Es waren immer sie, von denen die Gewalt der herrschenden Kreise verteidigt wurde. Wenn die Europäische Union wirklich demokratische Grundsätze verfolgt, sollte sie von der kolumbianischen Regierung eine Politik des Friedens, Respekt vor den Menschenrechten und eine demokratische Öffnung einfordern.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 13. Juni 2012


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