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Kolumbien, Ecuador und Venezuela am Rande eines Krieges

Kolumbiens Militär griff FARC-Rebellen auf ecuadorianischem Boden an - Scharfe Reaktionen der Nachbarstaaten - Uribe lenkt spät ein - Krise beendet?

Anfang März spitzten sich die Beziehungen zwischen Kolumbien, Ecuador und Venezuela dramatisch zu, nachdem Kolumbien in einer sog. Antiterror-Militäraktion auf dem Territoriuum Ecuadors internationales Rechtr verletzt hatte. Wir dokumentieren im Folgenden eine Reihe von Artikeln, die zwischen dem 3. und 9. März 2008 hierzu erschienen sind.



Bomben auf den Frieden

Kolumbien: FARC-Kommandant Reyes bei Militäraktion getötet. Bogotá rechtfertigt Verletzung des Territoriums Ecuadors. Chávez: Ähnliche Aktion wäre für Venezuela Kriegsgrund

Von Harald Neuber


Bei einem gemeinsamen Angriff der kolumbianischen Luftwaffe und des Heeres ist in der Nacht zum Sonntag (2. März) der Kommandant und Sprecher der Guerillaorganisation Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens (FARC), Raúl Reyes, getötet worden. Bei dem Vorstoß auf das Feldlager der Rebelleneinheit starben neben Reyes 17 weitere Guerilleros, unter ihnen Julián Conrado, der als Musiker bekannt war. Die Rebellen wurden von dem Angriff im Schlaf überrascht.

»Es ist der schwerste Schlag, der dieser terroristischen Gruppe bislang zugefügt werden konnte«, sagte Kolumbiens Verteidigungsminister Juan Manuel Santos am 2. März auf einer eilends einberufenen Pressekonferenz in der Hauptstadt Bogotá. Nach Santos Angaben hatte ein Informant den Aufenthalt Reyes und weiterer Mitglieder der 48. Front der FARC an der Grenze zu Ecuador gemeldet. Die gezielte Ermordung Reyes’ könnte die derzeit laufenden Bemühungen von Guerilla und Regierung um einen Austausch der Gefangenen nachhaltig erschweren. Angehörige der FARC-Gefangenen äußerten sich deswegen besorgt.

Der 59jährigen Reyes war international als die »Nummer Zwei« der mit gut 20000 Mann größten Guerillaorganisation Kolumbiens bekannt. Er galt als möglicher Nachfolger des FARC-Gründers Manuel Marulanda. Reyes, der mit bürgerlichem Namen Luis Edgar Devia Silva hieß, war ein stetiger Fürsprecher einer friedlichen Lösung des sozialen und militärisches Konfliktes in Kolumbien. In der Amtszeit von Präsident Andrés Pastrana führte er zwischen 1998 und 2002 Friedensgespräche mit der Regierung. Auch im Ausland hatte er für einen diplomatischen Ausweg aus dem Konflikt geworben. 1997 war er in Costa Rica zum ersten und einzigen Treffen der FARC mit Vertretern der USA zusammengekommen.

Reyes hatte auch in internationalen Medien wiederholt auf die sozialen Ursachen des kolumbianischen Konfliktes hingewiesen. Mehrfach hatte er auch für junge Welt Kolumnen verfaßt. »Warum spricht im Norden niemand über die Folgen der Politik, die unseren Ländern seit kolonialen Zeiten aufgezwungen wird?« fragte er in seinem letzten Beitrag für diese Zeitung Ende Oktober vergangenen Jahres, um eine sozialistische Politik, wie sie in Lateinamerika von Politikern wie Hugo Chávez oder Evo Morales umgesetzt wird, als »historische Notwendigkeit« zu verteidigen. Die Europäische Union rief er auf, seine Gruppe von der Liste der »terroristischen Organisationen« zu streichen, um zu einer Politik des Dialogs zurückzukehren. Die FARC, schrieb Reyes damals, sei schließlich »eine Guerillaorganisation, deren legitimer Kampf sich gegen einen gewalttätigen Staat richtet.« Mit seinem Tod hat sich dieses Urteil bestätigt. Auf der FARC-nahen Internetseite ANNCOL wurde der Angriff auf das Lager der Guerilla am Sonntag mit »selektiven Morden« verglichen, »die von den Agenten des Mossad im Mittleren Osten begangen werden«.

Scharfe Reaktionen provozierte die Militäraktion auch in Ecuador. Nachdem Kolumbiens Präsident Alvaro Uribe offen zugegeben hatte, daß Armee und Luftwaffe seines Landes die Grenze zum Nachbarland überschritten haben, zog Quito seinen Botschafter aus Bogotá ab. In einer ersten Erklärung bestätigte das Präsidialamt Ecuadors, daß kolumbianische Soldaten »bis zu drei Kilometer auf unser Gebiet« vorgedrungen seien. Dies könnte »schwerste Folgen« haben, sagte Präsident Rafael Correa, der umfassende Untersuchungen ankündigte. Venezuelas Staatsoberhaupt Hugo Chávez äußerte sich »besorgt« darüber, »wie leichtfertig die Regierung in Bogotá die Verletzung der Souveränität eines Nachbarlandes eingestanden hat«. Dann richtete Chávez eine direkte Warnung an seinen Amtskollegen in Bogotá. »Kommen Sie nicht auf die Idee, etwas ähnliches hier zu probieren«, betonte er. »Eine militärische Intervention auf venezolanischem Gebiet wäre ein Kriegsgrund.«

Aus: junge Welt, 3. März 2008


Will Kolumbien Krieg?

Von Harald Neuber

Nach einer Militärintervention Kolumbiens in Ecuador hat sich die Lage in der Region massiv zugespitzt. In einer koordinierten Aktion hatten die Luftwaffe und das Heer in der Nacht zum Sonntag ein Lager der Guerillaorganisation Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens (FARC) auf ecuadorianischem Boden angegriffen. Der Kommandant und internationale Sprecher der FARC, Raúl Reyes, sowie 16 weitere Rebellen wurden von der Attacke im Schlaf überrascht und getötet.

Aus Protest gegen den Bombenangriff und den Vorstoß von Bodentruppen Kolumbiens hat die ecuadorianische Regierung am Sonntag (2. März) ihren Botschafter aus Bogotá abgezogen. Auch wurde der Chef der kolumbianischen Vertretung aus dem Land ausgewiesen. Die venezolanische Regierung brach die Kontakte zu Bogotá ebenfalls ab. Die Präsidenten der beiden Nachbarstaaten Kolumbiens, Rafael Correa und Hugo Chávez, ordneten zudem eine Teilmobilisierung ihrer Truppen an. Verbände wurden an die Grenze zu Kolumbien zusammengezogen, um neuerliche Aggressionen zu vermeiden. Allein Venezuela entsandte mehrere Panzerbataillone und Einheiten der Luftwaffe an die Demarkationslinie.

Während in Bogotá der »bisher schwersten Schlag gegen die FARC-Guerilla« gefeiert wurde, übte Chávez scharfe Kritik an der Aktion. Den Angriff auf das Lager der Guerilla sei ein »Massaker« gewesen. »Wir werden nicht erlauben, daß Kolumbien zu einem Israel Lateinamerikas gemacht wird«, sagte Chávez in bezug auf die enge Kooperation von Präsident Alvaro Uribe mit den USA: »Auf die gleiche blutige Weise wie in diesen Tagen Gaza bombardiert wird, hat Uribe gestern das ecuadorianische Staatsgebiet angreifen lassen«. Es habe sich dabei nicht um einen Schlag gegen die FARC gehandelt, »sondern gegen den Frieden«, so Chávez weiter. Mit der Ermordung des Rebellensprechers habe Bogotá eine diplomatische Lösung des kolumbianischen Konfliktes verhindern wollen. Auch müsse die Aktion als Angriff auf das Regionalbündnis »Union der Süd­amerikanischen Staaten« verstanden werden.

Ecuadors Präsident Correa übte ebenfalls scharfe Kritik an dem militärischen Einfall. Nach einem ersten Telefonat mit Uribe bezichtigte er seinem Amtskollegen der Lügen. Kolumbiens Präsident habe ihm den Ablauf der Aktion falsch geschildert, sagte Correa, der ebenso wie Venezuela Truppen an die Grenze entsandte. Nach Informationen der argentinischen Tageszeitung Clarín wurden die FARC-Rebellen auf ecuadorianischem Territorium exekutiert. Der 59jährige Reyes sei zunächst von Bombensplittern verletzt worden. Erst als Mitkämpfer ihn in eine nahegelegene Ortschaft bringen wollten, seien sie von nachrückenden Bodentruppen mit gezielten Schüssen hingerichtet worden, schrieb die Zeitung unter Berufung auf einen anonymen Augenzeugen.

Ecuador verlangte von der kolumbianischen Regierung inzwischen eine Entschuldigung und eine Wiedergutmachung eventuell entstandener Schäden. Anstatt dieser Aufforderung nachzukommen, reagierte die Führung in Bogotá mit – diesmal verbalen – Attacken. Angeblich seien auf dem Rechner von Reyes Dokumente gefunden worden, die Kontakte zwischen den Rebellen und der Staatsführung Ecuadors belegen. Kolumbiens Polizeichef Oscar Naranjo behauptete am Sonntag in Bogotá gar, die FARC hätten in Absprache mit der Regierung in Quito einen »Aktionsplan« ausgearbeitet. Ecuador wies diese Vorwürfe umgehend zurück. Kolumbien warte nun mit »Lügen« auf, um den Angriff auf das Nachbarland im nachhinein zu rechtfertigen.

Aus: junge Welt, 4. März 2008

Bogotá nach Angriff in Defensive

Zwei Tage nach einer Militärintervention Kolumbiens in Ecuador ist am Dienstag in Washington der ständige Rat der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) zusammengekommen. Generalsekretär José Miguel Insulza kam damit Anträgen aus Ecuador und Kolumbien nach. Die Regierung von Präsident Rafael Correa hatte zuvor alle diplomatischen Kontakte zu Kolumbien abgebrochen, auch Venezuela vollzog diesen Schritt. Beide Staaten antworteten damit auf einen Bombenangriff der kolumbianischen Luftwaffe auf ein Lager der Rebellenorganisation »Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens« (FARC) in Ecuador in der Nacht zum Sonntag. Aus Kolumbien nachrückende Bodentruppen hatten den FARC-Sprecher Raúl Reyes nach Augenzeugenberichten exekutiert.

Der kolumbianische Polizeichef Oscar Naranjo erhob zu Wochenbeginn schwere Vorwürfe gegen Ecuador und Venezuela. Beide Staaten hätten Verbindungen zu den FARC aufrechterhalten, sagte Naranjo. Er berief sich auf Dokumente, die auf drei Computern der Rebellen gefunden worden sein sollen. Mit ihren Kontakten zu den »Terroristen« der FARC habe die Regierung in Quito gegen internationale Normen verstoßen, sagte der Befehlshaber der Polizei. Die Regierung in Quito reagierte mit einem verbalen Gegenangriff. Die Kontakte zu den FARC seien genutzt worden, um im Dialog die Freilassung von Gefangenen der Rebellenorganisation zu erreichen. Durch die Attacke auf das Lager sei dies verhindert worden, erklärte Präsident Correa. Nach dessen Angaben hätte auch die franco-kolumbianische Politikerin Ingrid Betancourt aus ihrer inzwischen sechsjährigen Gefangenschaft entlassen werden sollen. »Wir werden nicht akzeptieren, daß im Kampf (Kolumbiens, d. Red.) gegen angebliche Terroristen das Prinzip der nationalen Souveränität untergraben wird«, so Correa. Venezuelas Präsident Hugo Chávez hatte zuvor nicht ausgeschlossen, daß der Überfall Kolumbiens auf Ecuador »der Beginn eines Krieges in Südamerika sein könnte«. Die kolumbianische Staatsführung aber ist sich keines Unrechts bewußt. Der Angriff auf Ecuador sei »keine Verletzung der Souveränität« gewesen, heißt es in einer Regierungserklärung, »sondern ein Akt der legitimen Verteidigung«.

Lateinamerikanische und europäi­sche Regierungen sahen das anders. Italiens Außenminister Massimo D'Alema bezeichnete den Angriff Kolumbiens am Montag als »beunruhigend«, weil er diplomatischen Kontakte zu den FARC behindere. Ähnlich äußerten sich die Vertreter von Argentinien, Chile und anderen Staaten. »Keine gute Nachricht« war der Mord an Reyes auch für Frankreichs Außenminister Bernard Kouchner: »Der Mann, mit dem wir gesprochen haben und in Kontakt standen, ist tot«. Nach Angaben der FARC hatte Reyes ein Treffen mit dem französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy vorbereitet.

Aus: junge Welt, 5. März 2008


FARC-Rebellen ernennen Nachfolger für Raul Reyes

Die kolumbianischen Rebellen der FARC haben einen Nachfolger für ihr am Wochenende in Ecuador getötetes Führungsmitglied ernannt. In einer Stellungnahme vom Dienstag hieß es, Milton de Jesus Toncel, alias Joaquin Gomez, werde Raul Reyes ersetzen. Reyes war am Samstag (1. März) gemeinsam mit 22 weiteren FARC-Kämpfern bei einem Angriff der kolumbianischen Truppen in Ecuador ermordet worden. Die Rebellen erklärten, Reyes habe an einem Plan zur Freilassung der früheren kolumbianischen Präsidentschaftskandidatin Ingrid Bentacourt gearbeitet, die seit 2002 in der Gewalt der FARC ist. Der ecuadorianische Staatspräsident Rafael Correa deutete am 4. März bei einem Besuch in Brasilien an, dass Kolumbien die Guerillas auf ecuadorianischem Gebiet bewusst angegriffen habe, um weitere Geiselfreilassungen zu verhindern. Der grenzüberschreitende Angriff dürfe nicht ungestraft bleiben, erklärte Correa. Eine Entschuldigung Kolumbiens wies Ecuador als unzureichend zurück.
Agenturberichte, 5. März 2008

Ecuador und Venezuela fordern klare Verurteilung Bogotás

Ecuador und Venezuela verlangen weiterhin eine entschiedene Verurteilung Kolumbiens von Seiten der internationalen Gemeinschaft. Erst dann könne sich die zugespitzte Lage nach dem kolumbianischen Angriff auf Rebellenstützpunkte in Ecuador wieder entschärfen, erklärten die Präsidenten Rafael Correa und Hugo Chávez am Mittwoch Abend (5. März) bei einem Treffen in Caracas. Die Resolution der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) gehe ihnen nicht weit genug. "Wir sind darüber erfreut, aber noch nicht zufrieden", kommentierte der ecuadorianische Präsident Correa die OAS-Entschließung. Auf Antrag Ecuadors und Venezuelas wird der kolumbianische Militärschlag darin als Verletzung der Souveränität Ecuadors kritisiert. Als einziges OAS-Mitglied sicherten die USA Kolumbien ihre rückhaltlose Unterstützung zu.
Chávez verurteilte den Militärschlag als Kriegsverbrechen und kündigte Wirtschaftssanktionen gegen Kolumbien an. Die venezolanischen Streitkräfte haben mittlerweile fast 9.000 Soldaten an die Grenze verlegt, Ecuador rund 3.200 Mann. Der kolumbianische Präsident Alvaro Uribe erklärte indessen, er werde seine Truppen im Grenzgebiet nicht verstärken.
Agenturberichte, 6. März 2008



Vermittlungserfolg in Kolumbienkrise

OAS schickt Beobachterkommission an die kolumbianisch-ecuadorianische Grenze

Von Tommy Ramm, Bogotá *


Die harten Fronten scheinen langsam aufzuweichen, nachdem die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) einen Fahrplan zur diplomatischen Lösung der Krise zwischen Ecuador und Kolumbien ausarbeiten konnte.

Nach einem insgesamt 14-stündigen Ringen verabschiedete die OAS eine Resolution, die für leichte Entspannung im Konflikt zwischen Ecuador und Kolumbien gesorgt hat. Auf Drängen des ecuadorianischen Präsidenten Rafael Correa, der eine Verurteilung Kolumbiens forderte, konnten sich die Mitglieder der Organisation auf eine gemeinsame Formel einigen. So wurde im einstimmig verabschiedeten Text festgelegt, dass Staatsterritorien »unverletzbar« sind und nicht von ausländischen Kräften attackiert werden dürfen. Allerdings wurde Kolumbien nicht explizit benannt und folglich nicht verurteilt, nachdem die kolumbianische Armee am vorigen Sonnabend (1. März) auf ecuadorianischem Gebiet ein Guerillacamp angegriffen und den Vizechef der FARC, Raúl Reyes, erschossen hatte.

Dennoch zeigte sich die ecuadorianische Seite zufrieden. »Für Ecuador ist die Resolution ein Erfolg, da in ihr das Grundprinzip zum Respekt gegenüber staatlichen Hoheitsgebieten hervorgehoben wurde«, erklärte die Außenministerin Maria Isabel Salvador, die bestätigte, dass man bei den Gesprächen ein großes Stück vorangekommen sei. Befriedigt äußerte sich ebenfalls der OAS-Gesandte der kolumbianischen Regierung, Carlos Ospina, der noch am Dienstag (4. März) scharfe Angriffe gegen Ecuador und Venezuela führte und diesen eine Allianz mit der FARC vorwarf. »Es gibt keine Art der Verurteilung Kolumbiens«, so Ospina, der hervorhob, dass sich sein Land bereits mehrfach für den Einmarsch bei Ecuador entschuldigt hatte. Und die Beobachterkommission, die von der OAS zusammengestellt werden soll, werde laut Ospina keine Untersuchungskommission sein, wie es zunächst Ecuador forderte, um eine gründliche Aufarbeitung der Geschehnisse zu ermöglichen. Während Bogotá nach wie vor darauf besteht, dass die Armee aus Gefechtsgründen ecuadorianisches Territorium betrat, werfen Ecuador und Venezuela dem Nachbarn vor, dass der Tod von mindestens 17 Rebellen ein Massaker gewesen sei.

Ziel der OAS-Kommission ist es nun, in den folgenden zwei Wochen die Situation in der Grenzregion zwischen Ecuador und Kolumbien zu erfassen, um die Resultate und Empfehlungen am 17. März bei einem Außenministertreffen vorzulegen. Beide Seiten sind in den nächsten Tagen aufgerufen, den OAS-Vertretern Orte zu zeigen, die die Situation an der gemeinsamen Grenze aufklären sollen. Während Kolumbien auf die Existenz von Guerillastellungen im Nachbarland aufmerksam machen wird, dürfte Ecuador die Grenzverletzungen Kolumbiens der letzten Jahre und die Bürde Hunderttausender kolumbianischer Kriegsflüchtlinge im Land in den Vordergrund stellen. »Sollten wir auf dem Treffen am 17. März keine klare Verurteilung Kolumbiens erhalten, werden wir diese auf unserem Wege suchen, und die OAS und die internationale Gemeinschaft werden durch ihr Stillschweigen und Vertuschen schuldig sein«, erklärte Correa, der seit Dienstag auf einer Reise durch lateinamerikanische Länder ist, um Unterstützung für die Position Ecuadors zu bekommen. Am Mittwoch traf er in Venezuela ein, wo Präsident Hugo Chávez ihm uneingeschränkte Hilfe versicherte. Auf die Androhung des kolumbianischen Präsidenten Alvaro Uribe Vélez, Chávez wegen Unterstützung der FARC vor den Internationalen Strafgerichtshof bringen zu wollen, forderte dieser seinen Widersacher heraus, gemeinsam vors Gericht zu ziehen. »Mal sehen, wer dann verurteilt wird«, so Chávez, der Uribe Verstrickungen in den Paramilitarismus vorwirft. Pikantes Detail: Kolumbien hat zwar 2002 das Statut des Strafgerichts unterschrieben, sich jedoch bis 2009 die Immunität im Falle von Verfahren wegen Kriegsverbrechen vorbehalten.

Aus: Neues Deutschland, 7. März 2008


Gegen mörderische Politik

Militärstrategie der kolumbianischen Regierung provoziert weltweit Proteste. Regionale Krise setzt sich fort: Auch Nicaragua bricht Kontakte zu Bogotá ab

Von Harald Neuber


Hunderttausende Menschen sind in Kolumbien am Donnerstag (6. März) gegen rechte Paramilitärs und die Armee auf die Straße gegangen. Zu dem Protest aufgerufen hatte die »Bewegung der Opfer von Staatsverbrechen« (Movice). Mit Demonstrationen in rund zwanzig Städten des südamerikanischen Landes wiesen die Teilnehmer auf die Folgen der aggressiven Militärpolitik der Regierung von Präsident Alvaro Uribe hin. Man wolle Solidarität zeigen »mit den vier Millionen Vertriebenen, den 15000 Verschollenen und den 3000 Menschen, die von den Paramilitärs in Massengräbern verscharrt wurden«, sagte ein Sprecher der Organisatoren. Zahlreiche Politiker des Uribe-Lagers unterhalten nachweislich enge Kontakte zu paramilitärischen Banden, die für den weitaus größten Teil der Menschenrechtsverbrechen in Kolumbien verantwortlich sind.

Der Protest im Land wurde von Mobilisierungen weltweit begleitet. Dabei rückte auch der aktuelle Konflikt nach einer Militärintervention der kolumbianischen Armee in Ecuador ins Visier. Sie hatte am vergangenen Wochenende mit Kampfflugzeugen und Bodentruppen ein Lager der Rebellenorganisation »Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens« (FARC) im südlichen Nachbarland angegriffen und den Sprecher der Organisation, Raúl Reyes, getötet. Ecuador und auch Venezuela brachen daraufhin die Beziehungen zu Bogotá ab. Am Donnerstag (6. März) folgte Nicaragua diesem Schritt.

Proteste gegen die Uribe-Regierung fanden auch in anderen lateinamerikanischen Hauptstädten statt. Vor der kolumbianischen Botschaft in Mexiko-Stadt hielten Aktivisten der Kommunistischen Partei des Landes Fotos des ermordeten FARC-Sprechers Reyes hoch. Kritik an der aggressiven Militärpolitik der Uribe-Regierung gab es zudem in Caracas, Santiago de Chile und Quito sowie in New York, Paris, Madrid, Washington und London. In der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires beteiligten sich rund 2000 Menschen an einem Protestzug unter dem Motto »Gegen Uribe – Solidarität mit Ecuador, Venezuela und den FARC«.

In London forderten Gewerkschafter und Abgeordnete der Labour-Partei ihre Regierung am Donnerstag (6. März) auf, die Militärhilfe für Kolumbien umgehend einzustellen. »Die Regierung liegt in ihrer Einschätzung Kolumbiens falsch«, sagte der Labour-Parlamentarier Colin Burgon am Rande einer Protestaktion vor dem Parlament der britischen Hauptstadt, »denn das Uribe-Regime ist für einen Großteil der systematischen Menschenrechtsverletzungen verantwortlich.« Der spanische EU-Abgeordnete Willy Meyer von der Vereinigten Linken hatte der kolumbianischen Staatsführung schon am Dienstag vorgeworfen, jegliche Verhandlungen mit den FARC zu sabottieren. Die Abgeordnete der Linksfraktion im deutschen Bundestag, Heike Hänsel, forderte die Berliner Regierung auf, »Uribe nicht länger Rückendeckung für seine gefährliche Politik (zu) geben«. Schließlich hätten erst die Angriffe der kolumbianischen Armee den bewaffneten Konflikt weiter zugespitzt und die gesamte Region militarisiert, so Hänsel.

Aus: junge Welt, 8. März 2008


Marsch der Vergessenen

Hunderttausende gedachten in Kolumbien der Opfer staatlicher Gewalt

Von Tommy Ramm, Bogotá


In Kolumbien haben Hunderttausende Menschen gegen die Gewalt der ultrarechten Paramilitärs und gegen Präsident Álvaro Uribe demonstriert.

Allein in der Hauptstadt Bogotá gingen am Donnerstag (6. März) nach Angaben der Stadtverwaltung 200 000 Menschen auf die Straße. In mindestens 20 Provinzhauptstädten protestierten Zehntausende. Unter dem Motto »Für die Verschwundenen, für die Vertriebenen, für die Massakrierten, für die Hingerichteten« gedachten die Demonstranten der Opfer des jahrzehntelangen Bürgerkriegs in dem südamerikanischen Land.

Nach der Massendemonstration gegen die Bewaffneten Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (FARC) vom 4. Februar, an der mehrere Millionen Menschen weltweit teilgenommen hatten, war dies die zweite Großdemonstration, wenngleich mit geringerer Beteiligung.

Die Demonstration wurde auch von den Spannungen zwischen Kolumbien und seinen Nachbarländern Ecuador und Venezuela überschattet, die nach der kolumbianischen Militäraktion auf ecuadorianischemTerrain die Region in Atem halten.

Es gibt genug Gründe, auf die Opfer des Bürgerkriegs aufmerksam zu machen: Der bewaffnete Konflikt hat bis zu vier Millionen Kolumbianer zu Vertriebenen gemacht. In den letzten 30 Jahren wurden 2500 Gewerkschafter und 130 Journalisten ermordet, Zehntausende Menschen kamen allein durch Massaker paramilitärischer Gruppen um.

Vielen der Demonstranten war die Verzweiflung und die Wut wegen des laxen Umgangs mit den Paramilitärs anzusehen, die sich offiziell seit dem Jahr 2002 entwaffnet haben, bis heute jedoch weder verurteilt noch komplett demobilisiert wurden. Während viele Menschen Fotos von verschwundenen Freunden oder Verwandten mit sich trugen, forderten andere einen würdevollen Umgang mit den Vertriebenen und eine juristische Aufarbeitung der Verbrechen. Den Vorwurf von Regierungsseite, wonach der Marsch von der Guerilla unterstützt wurde und Polizei und Armee in Misskredit bringen solle, wiesen die Organisatoren zurück. »Der Geist der Demonstration liegt in der prinzipiellen Verurteilung von Menschenrechtsverletzungen, in die auch einige Mitglieder von Polizei und Armee verwickelt sind«, so Ivan Cepeda von der Bewegung.

*** Aus: Neues Deutschland, 8. März 2008

Diplomatische Krise zwischen Ecuador und Kolumbien beigelegt

Kolumbien und Ecuador haben ihre schwere diplomatische Krise beigelegt. Der ecuadorianische Staatschef Rafael Correa erklärte den Konflikt während des Gipfels der sogenannten Rio-Gruppe in der Dominikanischen Republik am Freitag (7. März) offiziell für beendet und reichte seinem kolumbianischen Kollegen Alvaro Uribe die Hand. Bogotá verpflichtete sich, künftig von Militäreinsätzen auf fremdem Staatsgebiet abzusehen.
Correa sagte, nach der Zusage Kolumbiens, nie wieder ein anderes Land anzugreifen, und der Bitte um Entschuldigung könne die Krise als überwunden gelten. Als Zeichen der Zustimmung erhob sich Uribe von seinem Platz und schüttelte Correa unter dem Applaus der rund 20 anwesenden lateinamerikanischen Staatschefs die Hand. Anschließend reichte Uribe auch dem venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez die Hand. Chávez hatte sich nach dem Militärangriff an Ecuadors Seite gestellt.
Agenturberichte, 9. März 2008




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