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Aktion Apokalypse

Die merkwürdigen Aktivitäten der US-Anti-Drogenbehörde DEA in Kolumbien

Im Folgenden dokumentieren wir einen Hintergrundbericht über die Anti-Drogen-Politik der USA in Kolumbien. Der Beitrag - er erschien in der Wochenzeitung "Freitag" - wird ergänzt um eine kleine Chronik des "Plan Colombia".


Von Raul Zelik

Es klingt wie aus einem Agentenstück, scheint aber die bittere Wahrheit: Je tiefer man in den Sumpf hinabsteigt, desto mehr Indizien finden sich dafür, dass die Methode der Iran-Contra-Affäre aus den achtziger Jahren "Drogengeld für Aufstandsbekämpfung in Lateinamerika" keineswegs Geschichte ist. Für Kolumbien ist sie aktueller denn je, auch wenn dort US-Drogenaufklärer vorgeben, ein großes "Resozialisierungsprogramm" gestartet zu haben. Die paramilitärischen Milizen der Rechten bleiben im Geschäft, solange sie für die "Aufstandsbekämpfung" verfügbar sind - so in etwa lautet die Geschäftsphilosophie der US-Anti-Drogenbehörde DEA (Drug Enforcement Administration).

Seltsame Nachrichten gibt es vom Anti-Drogenkrieg der USA in Lateinamerika. Unmittelbar nachdem in Kolumbien Brigadegeneral Gabriel Díaz Ortiz auf Drängen Washingtons abberufen worden ist, tritt dieser mit einer eigenartigen Version von Geschehnissen an die Öffentlichkeit, die sich vor etwa einem Jahr zugetragen haben sollen. Er habe seinerzeit, so Díaz, der US-Anti-Drogenbehörde DEA Nachrichten über einen geplanten Kokaintransport zukommen lassen und drei Informanten übergeben. Dank deren Angaben hätten die kolumbianische Polizei und die Agenten der DEA im Norden des Landes einen Wagen mit zwei Tonnen Kokain aufbringen können. Nur wenige Tage nach der Aktion jedoch seien zwei der drei Zeugen ermordet aufgefunden worden, und vom beschlagnahmten Kokain fehlte jede Spur. Polizeikommandant Teodoro Campo meinte dazu gegenüber kolumbianischen Journalisten, eine derartige Aktion habe es nie gegeben.

Nicht minder irritierend ist der Hinweis darauf, dass die US-Botschaft in Bogotá Carlos Castańo und Salvatore Mancuso - beide Kommandanten rechter Todesschwadronen der Autodefensas Unidas de Colombia (AUC) - angeboten haben soll, sich der amerikanischen Justiz zu stellen. Sie könnten in den USA nicht mit völliger Straffreiheit rechnen, würden jedoch in einem Spezialarrest untergebracht. Die US-Diplomaten Alexander Lee und Stewart Tuttle sollen sich mit dem Gesandten der Paramilitärs darüber einig gewesen sein: "Eine falsche Handhabung der Demobilisierung der AUC" könne der kolumbianischen Demokratie schaden. Die Bedeutung der Paras "bei der Aufstandsbekämpfung sei nicht zu leugnen". Nicht zum ersten Mal wird die Tuchfühlung zwischen US-Behörden und dem kolumbianischen Paramilitarismus so offensichtlich. Rekapituliert man die Ereignisse vergangener Jahre, stellt sich unwillkürlich die Frage, ob es sich bei diesen Kontakten nicht um systematische Kooperation handelt.

Carlos Castańo und Don Berna stehen auf der richtigen Seite

1989 werden auf einer Finca des kolumbianischen Drogenhändlers Gonzalo Rodríguez Gacha Hunderte von Maschinenpistolen entdeckt, die von Israel Military Industries an die Antilleninsel Antigua verkauft worden sind. Es stellt sich heraus, israelische Söldner um den heute in Jaffa lebenden Ex-Agenten Yair Klein haben das Geschäft eingefädelt. Bereits seit 1986/87 ist Klein auf Einladung des Verbandes der Bananenunternehmer UNIBAN und in Absprache mit der israelischen Botschaft wie dem kolumbianischen Geheimdienst des Landes damit beschäftigt, die noch jungen Todesschwadronen zu trainieren und auszurüsten. Zu diesem Zeitpunkt gehört auch das Kartell der Drogenpaten von Medellín noch zu jener Allianz der Eliten, die sich die Vernichtung der politischen und sozialen Linken in Kolumbien, aber nicht nur dort, auf die Fahnen geschrieben hat.

Ende der achtziger Jahre gilt das besonders der sandinistischen Revolution in Nicaragua. Unter Leitung von George Bush sen. arrangiert der US-Geheimdienst den Export von Kokain in die USA. Während sich Crack in nordamerikanischen Großstädten, vor allem in den Vierteln der Unterschichten, explosionsartig ausbreitet, kommt die nicaraguanische Contra über dieses Geschäft an jene Gelder, die der US-Kongress den antikommunistischen "Freiheitskämpfern" verweigert. Die Frage, woher das Contra-Kokain stammt, wird nie ernsthaft gestellt, doch kann die Quelle eigentlich nur kolumbianisch gewesen sein. Das Zusammenspiel von US-Behörden, kolumbianischer Armee und Drogenkartellen beim Aufbau paramilitärischer Verbände erhält damit eine andere Dimension.

1989/90 verändert sich die Situation; nachdem die kolumbianische Regierung noch kurz zuvor in der Zentralbank einen "Schalter der Schande" eingerichtet hat, über den "schmutzige Dollars" in den Wirtschaftskreislauf zurückgeführt werden sollen. Nun aber gerät das Medellín-Kartell zusehends in einen Konflikt mit dem Staat - eine bizarre Allianz der Interessen kristallisiert sich heraus: Die DEA, Kolumbiens Polizei und das Cali-Kartell kooperieren bei der Bekämpfung der Medelliner Mafia ("Aktion Apokalypse"). Überläufer aus deren Netz stellen eine Killertruppe auf, die sogenannten PEPES (Verfolgte von Pablo Escobar, des Drogenbosses in Medellín), die auf die Logistik der Polizeibehörden zurückgreifen können und mehr als 1.000 Ex-Kollegen ermorden. Federführend bei den PEPES sind zwei Männer, deren Namen bis heute eng mit Menschenrechtsverletzungen verknüpft sind: Carlos Castańo und Don Berna.

Amnesty International hat vor zwei Jahren die Offenlegung von US-Geheimdienstakten über die PEPES verlangt, auch die DEA müsse über den Krieg in Medellín bestens informiert gewesen sein. Die kolumbianische Spezialeinheit Bloque de Búsqueda stand 1993/94 immerhin unter US-Aufsicht, und in deren Hauptquartier gingen nach Zeugenaussagen sowohl Carlos Castańo wie auch der damalige DEA-Verbindungsmann Javier Peńa (später DEA-Deputy Director in Bogotá) ein und aus.

Nachdem das Medellín-Kartell zerschlagen ist, wird eine Weile darüber gerätselt, wer das Drogengeschäft nun kontrolliert oder ob sich das Gewerbe in kleinere Vertriebsnetze aufgelöst hat. Carlos Castańo steigt unterdessen zum Kommandanten der paramilitärischen AUC auf, die im darauffolgenden Jahrzehnt mehrere tausend Menschen ermorden wird.

Carlos Castańo und Don Berna bleiben auf der richtigen Seite

Im Jahr 2000 kommt es zu neuen Enthüllungen. In den USA ist der Modefotograf Baruch Vega festgenommen worden, der für kolumbianische Drogen-Capos bei US-Behörden antichambriert. Baruch Vega - in den Siebzigern für die CIA tätig - erklärt unumwunden, es habe sich bei seinen Aktivitäten keineswegs um Bestechungsversuche gehandelt. Vielmehr sei er im Auftrag der DEA-Abteilung 43 unterwegs, die habe ein Resozialisierungsprogramm für kolumbianische Drogenhändler gestartet. Mehr als 100 Capos hätten sich bereits den Behörden gestellt und seien mit Straffreiheit belohnt worden.

Auch mit einem Emissär Carlos Castańos sei gesprochen worden, der die Mehrheit der Drogenhändler unter seinem Kommando vereinigt und der US-Regierung anbot, den Kokainexport zu unterbinden, wenn Washington im Gegenzug den "Aufstandsbekämpfern" andere Finanzquellen garantiert. Es sei besser, so Baruch Vega, wenn er nicht alle Details dieser Angelegenheit in einem Gerichtsprozess offen legen müsse. Prompt kommt er wieder frei.

Verschiedene Quellen belegen in den Folgemonaten, dass es tatsächlich ein Treffen der großen Drogenhändler unter Führung der Paramilitärs gegeben hat und dabei den USA eine Offerte gemacht wurde. Als die Wochenzeitung Cromos Ende 2002 Baruch Vega interviewt - mittlerweile verhandeln die Todesschwadronen der AUC öffentlich mit der Regierung in Bogotá -, gibt er Details zum Besten: Unter den 114 Drogenhändler, die sich dank seiner Vermittlung legalisiert hätten, seien 20 Paramilitärs gewesen. Auf die Frage, ob die DEA mit den Todesschwadronen kooperiere, sagt Vega: "Die aktuellen Selbstverteidigungsgruppen sind das Ergebnis einer Allianz von Drogenhändlern des Norte del Valle, Bogotás und Medellíns mit Unterstützung der DEA, der kolumbianischen Polizei und der Armee ... Außerdem muss man daran erinnern, dass fast alle Drogenhändler des Norte del Valle (eine der wichtigsten Fraktionen im Drogenhandel - R.Z.) aus Ex-Polizisten bestehen, die mit Carlos Castańo eng zusammenarbeiten". Für letzteren habe sich mit dem 11. September 2001 die Lage allerdings verkompliziert, so Vega, erstens werde er als Terrorist gehandelt, zweitens wisse er zu viel über die Korruption der kolumbianischen Eliten. Gäbe es Verhandlungen, "würden Sie (Vega meint die Journalisten - R.Z.) es erst sehr viel später erfahren. Vielleicht kooperiert Carlos ja bereits, und wir wissen es nicht."

Und es kommt noch besser: Anfang 2003 wird der Drogenhändler Fabio Ochoa, der nicht mit der DEA verhandelt hat, in Miami angeklagt und legt ein umfangreiches Papier vor, dessen Inhalt die renommierte kolumbianische Wochenzeitung El Espectador abdruckt. Demnach kassierten die US-Behörden bei ihrem "Resozialisierungsprogramm" Summen zwischen drei und vierzig Millionen US-Dollar bei der Drogenmafia. Jeweils die Hälfte der Summe sei in Geld oder Gütern, die andere in Drogen bezahlt worden. Mit diesen Einnahmen wiederum, erklärt Ochoa, hätten die US-Behörden Under-Cover-Operationen finanziert - sprich: Aktivitäten der kolumbianischen Paramilitärs, die dadurch ihre reduzierten Drogeneinnahmen ausgleichen konnten.

Im Frühjahr 2003 ergänzen die dissidenten "Selbstverteidigungsgruppen" von Medellín das Bild mit einer überraschenden Erklärung. Sie weisen darauf hin, dass der Generalinspekteur der Paramilitärs Adolfo Paz - die "Nummer Drei" der Todesschwadronen - der gleiche Don Berna sei, der Anfang der neunziger Jahre die PEPES leitete und 1994 dank der DEA ein Einreisevisum in die USA erhielt. Don Berna, so die Paramilitärs, sei zum größten Drogenhändler Kolumbiens aufgestiegen und habe es bisher verstanden, diese Tatsache weitgehend zu verschleiern. Der ehemalige Sicherheitsmann des legendären Pablo Escobar (s.o.) habe eine Allianz mit den Drogenringen von Norte del Valle und Cali etabliert und den heutigen Paramilitarismus mit aufgerüstet. Die Einheiten der AUC seien so verortet, dass sie den Drogentransit militärisch sichern könnten. Selbst die jüngste Armeeoffensive gegen die linken Guerilla-Milizen in Medellín gehe wesentlich auf die Interessen Don Bernas zurück. Keine überraschende Nachricht aus dem Anti-Drogenkrieg der USA in Lateinamerika.



Der Drogenkalender des "Plans Colombia"

Kein Yankee-Imperialismus
August 2000 - während eines Besuches von Präsident Clinton in Kolumbien wird vereinbart, dass die USA als Teil des "Plans Colombia" 1,3 Milliarden Dollar für militärische Zwecke fließen lassen. Drei Brigaden der kolumbianischen Armee sollen im Drogenkrieg von US-Ausbildern geführt werden. Clinton: "Das ist nicht Vietnam, und das ist kein Yankee-Imperialismus".

DEA-Schlachtplan
Oktober 2000 - mit dem neuen Fiskaljahr starten die USA am 1. Oktober die "umfassendste Kampagne zur Drogenbekämpfung, die es je auf dem lateinamerikanischen Kontinent gab" (Clinton). Der von der DEA entworfene Schlachtplan spricht von Schlägen gegen die Drogenproduktion in Kolumbien und einer Unterbrechung der Handelswege zu den Kokain- und Drogen-Dealern in aller Welt, vornehmlich in Nordamerika.

Heiliger Koka-Strauch
Dezember 2000 - nach einer Studie der Asociación Nacional de Instituciones Financieras (ANIF) in Bogotá sind die Anbauflächen für Koka, Mohn und Hanf in Kolumbien zwischen 1990 und 2000 auf 135.000 Hektar verdreifacht worden. Der Report geht davon aus, dass 1999 der Rohertrag aus dem Drogenanbau auf 915 Millionen Dollar gestiegen ist - 80 Prozent dessen, was Kolumbien beim Export von Kaffee verdient.

Friedensprozess passé
Januar 2001 - Präsident Pastrana erklärt die seit 1998 laufenden Verhandlungen mit der FARC-Guerilla, bei denen es auch um deren Einnahmen aus dem Drogenhandel ging, für gescheitert. Zugleich wird eine Aufstockung der Armee auf 62.000 reguläre Soldaten avisiert - Begründung: Aufstands- und Drogenbekämpfung.

Noch eine Schlacht
Mai 2001 - der Friedensbeauftragte der Regierung Pastrana verkündet in Brüssel ein verstärktes Vorgehen gegen die rechten Paramilitärs der Autodefensas Unidas de Colombia (AUC), deren Personal auf 8.000 bis 10.000 Mann beziffert wird: "Die Paras können unser Land nicht besiegen."

Gegen Flickwerk-Politik
August 2002 - kurz nach seiner Vereidigung kündigt der neue Präsident Alvaro Uribe ein "Referendum gegen Korruption und Flickwerk-Politik" an. Zugleich soll der "Plan Colombia" fortgesetzt und durch ein neues Programm zur Substitution von Koka begleitet werden.

Schulterschluss für Uribe
März 2003 - auf Betreiben von Präsident Uribe unterzeichnen alle Parlamentsparteien eine "Übereinkunft gegen Terrorismus, für das Leben und die Freiheit", nachdem klar wird, dass Uribe mit seinem Versuch gescheitert ist, durch militärischen Druck die Guerilla unter Verhandlungszwang zu setzen. Vom Kampf gegen die Paras der AUC ist keine Rede mehr.

Aus: Freitag: Die Ost-West-Wochenzeitung 29, 11. Juli 2003


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