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Liberalisierung auf Kosten der Kleinbauern

Kolumbiens Campesinos fürchten nach Freihandelsabkommen Importschwemme aus den USA

Von Jeroen Kuiper, Bogotá *

Seit Mitte Mai ist das Freihandelsabkommen zwischen Kolumbien und den Vereinigten Staaten in Kraft. Kleinbauern und Arbeitnehmer im Blumensektor fürchten die Folgen des Vertrages, der einer ungleichen Konkurrenz Tür und Tor öffnet.

»Wir werden keine Arbeitsplatzverluste als Folge des Freihandelsabkommens tolerieren«, sagte Kolumbiens Agrarminister Juan Restrepo Anfang Mai während eines internationalen »Milchforums« in Kolumbiens Hauptstadt Bogotá. »Wir werden die bedrohten Familien in dem Milchsektor so gut wie möglich schützen.« José Lafaurie, der Vorsitzende der Milchföderation FEDEGAN, war aber skeptisch. »Mit dem Freihandelsabkommen können die Vereinigten Staaten ihre Milchprodukte tariffrei nach Kolumbien exportieren. Wie sollen wir uns davor schützen?«

Die bedrohten Familien, von denen Restrepo sprach, sind vor allem die 230 000 kolumbianischen Kleinbauern mit bis zu zehn Kühen, die seit Mitte Mai um ihre Existenz fürchten müssen, weil seitdem die hoch subventionierte US-amerikanische Landwirtschaft ihre Milchprodukte tariffrei nach Kolumbien exportieren kann. Noch mehr Armut auf dem Land kann Kolumbien aber schlecht gebrauchen, wo Paramilitärs, die Guerilla FARC und kriminelle Banden nur allzu gerne jedem Unzufriedenen eine alternative Beschäftigung anbieten.

Nicht nur im Milchsektor, sondern auch in vielen anderen Landwirtschaftsbereichen drohen Probleme mit dem Freihandelsabkommen. Was ist konkret vorgesehen? »Seit dem 15. Mai sind für mehr als 90 Prozent aller kolumbianischen und US-Produkte die Importtarife dauerhaft auf Null gegangen«, erklärt Carlos Restrepo, der Direktor der Kolumbianisch-Amerikanischen Handelskammer in Medellín, Kolumbiens zweitgrößter Stadt. »In einigen Sektoren wird es aber Übergangsfristen von bis zu 19 Jahren geben, vor allem in der Landwirtschaft, denn da können kolumbianische Produkte schwer mit den US-amerikanischen Produkten konkurrieren.«

Nichtsdestotrotz sind für 77 Prozent aller Agrarprodukte aus den USA seit dem 15. Mai alle Importtarife komplett gestrichen. In der Tat gibt es für einige Produkte Übergangsfristen, aber die meisten Übergänge verschwinden schon in den nächsten fünf Jahren. US-amerikanische Produkte, die ab sofort zollfrei nach Kolumbien exportiert werden können, sind unter anderem Rindfleisch, Baumwolle, Getreide, Soja und bestimmte Früchte. Einen verbesserten Zugang bekommen US-amerikanische Produkte wie Schweinefleisch, Mais, Reis und Hühnchen. Während Kolumbien den Großteil ihrer Importtarife abschafft, bleiben die bestehenden Subventionen für die US-amerikanische Landwirtschaft unverändert. Gerade die Zuckerproduktion, wo Kolumbien Vorteile im Vergleich zu den Vereinigten Staaten hat, wurde von dem Freihandelsabkommen ausgenommen. Und obwohl Kolumbien theoretisch auch seine Produkte in die Vereinigten Staaten exportieren kann, ist die Realität eine andere, weil die meisten kolumbianischen Landwirtschaftsprodukte noch lange nicht die US-amerikanischen Hygiene- und Zertifizierungsstandards erfüllen.

Mit dem Abkommen sind vor allem die USA um einen enormen Absatzmarkt reicher geworden. Nach Mexiko ist Kolumbien mit seinen 46 Millionen Einwohnern für die Vereinigten Staaten der wichtigste Absatzmarkt für Agrarprodukte in Lateinamerika. Der Export nach Kolumbien (nicht nur Landwirtschaft) vervierfachte sich in den letzten zehn Jahren.

Kritiker des Abkommens befürchten schwere Zeiten für Kolumbiens Landwirtschaftssektor. Eine Studie von Oxfam International kommt zu alarmierenden Ergebnissen. Sie geht davon aus, dass das Freihandelsabkommen einen Einkommensrückgang von bis zu 16 Prozent für Kolumbiens 1,8 Millionen Kleinbauern zur Folge hat. Gerade die 400 000 ärmsten Kleinbauern werden sogar Einkommenseinbußen bis zu 70 Prozent zu verkraften haben. Oxfam befürchtet denn auch, dass ein Teil der betroffenen Kleinbauern sich dem Kokaanbau widmen wird.

Nicht nur im Landwirtschaftsbereich stehen harte Zeiten bevor. Auch im Blumensektor erwarten die Gewerkschaften wenig Positives vom Freihandelsabkommen. Beatriz Fuentes von der Gewerkschaft FENSUAGRO dazu: »Ich erwarte eher eine Verschlechterung der Arbeitsverhältnisse. Das gilt sowohl für den Blumensektor, die Landwirtschaft als auch für die Arbeitnehmer im Zucker, Bananen- und Palmölbetrieb.« Fuentes weiß, wovon sie redet, denn sie arbeitete selber lange im Blumenbetrieb. Mit etwa 160 000 Arbeitnehmern ist er einer der wichtigsten Wirtschaftssektoren Kolumbiens. Laut Fuentes sind die Arbeitsverhältnisse in den Gewächshäusern oft miserabel. »Wir verdienen den Mindestlohn (etwa 260 Euro) oder weniger. Immer mehr von uns werden entlassen und danach über Leihfirmen wieder eingestellt. Mittlerweile gibt es Blumenproduzenten, die morgens um fünf bei der örtlichen Brücke Tageslöhner abholen, einen Tag schuften lassen und ihnen abends 20 000 Pesos (etwa acht Euro) in die Hand drücken. Das gab es früher nicht.«

Dem Landwirtschaftsminister Juan Camilo Restrepo reicht es mittlerweile: Er verkündete, dass er es satt hat, ständig »apokalyptische Berichte« über die Zukunft der kolumbianischen Landwirtschaft zu hören. In einer Sache hat er recht: Mit dem Abkommen werden die Preise der Agrarprodukte für den kolumbianischen Konsumenten wohl sinken. Für die Bauern ist dies freilich kein Trost.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 22. Mai 2012


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