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Der Tag wird kommen

"Forward Operating Locations": Verdecktes Vorspiel einer Invasion in Kolumbien

Während alle Welt immer noch nach Irak, in den Nahen Osten und nach Afghanistan schaut und die halbe Welt sich von den Ereignissen in Haiti gefangen lassen nimmt, geraten andere Schauplätze US-amerikanischen militärischen Wirkens außer Sicht. Gut, dass der folgende Artikel, den wir in der Wochenzeitung "Freitag" gefunden haben, auf höchst gefährliche Operationen der USA in Kolumbien hinweist. Wir dokumentieren Auszüge.


Von Sheila Mysorekar

Eine Möglichkeit, die von den USA gern in Anspruch genommen wird, um sich permanent Zutritt zu einer Region zu verschaffen, sind Abkommen über lokale Militärbasen im Ausland, verbunden mit der Einrichtung sogenannter vorgelagerter Operationsstützpunkte, der Forward Operating Locations. Diese FOLs garantieren im Konfliktfall strategische Flexibilität und Schlagkraft. In Lateinamerika wurden sie von den USA offiziell zur Drogenbekämpfung aufgebaut - doch kommen diese Basen auch für andere Missionen in Frage.

Esmeraldas ist eine Kleinstadt an der Küste des nördlichen Ecuador unweit der Grenze zu Kolumbien. Smaragdgrün - daher der Name - leuchtet die Landschaft mit ihrer dichten tropischen Vegetation und uralten Bäumen, um die sich Lianen schlingen. Vorzugsweise Afro-Ecuadorianer leben hier. Sie fristen ihr Dasein als Fischer oder Arbeiter in der staatlichen Raffinerie von Esmeraldas, dem größten Erdölproduzenten des Landes. Auf einen ersten Blick dämmert die Stadt friedlich und gelassen vor sich hin, würden nicht unablässig Hubschrauber über ihren Dächern kreisen.

"Mit der Ruhe ist es vorbei, nicht nur wegen der Helikopter", sagt Ilonka Díaz, Ingenieurin in der Raffinerie. Die junge, schwarze Frau erinnert sich an seltsame Vorgänge vor einigen Jahren. "Nordamerikanische Truppen landeten hier, um gemeinnützige Arbeit zu verrichten, vor allem Schulen zu bauen, wie es hieß." Doch bald zog das "Hilfskorps" weiter in Richtung Urwald, eine Wildnis, die nicht ihresgleichen findet an der ecuadorianischen Küste. Die Soldaten führten viel schweres Gerät im Tross und einem Konvoi von Lastwagen. "Soviel Aufwand nur wegen ein paar Schulen?" (...)

Was sich in der Region von Esmeraldas tatsächlich abspielt, hat wenig mit humanitärem Beistand und viel mit Planungen der US-Armee zu tun, eigene Präsenz im Norden Ecuadors und in Tuchfühlung mit Kolumbien aufzubauen. Auf den Basen werden US-Soldaten stationiert, die unter dem Befehl des Southern Commands stehen, das seit jeher die Operationen der Nordamerikaner in Südamerika führt. Eine Klausel im entsprechenden Stützpunkt-Vertrag besagt allerdings: "Für jegliche Vorkommnisse in diesen Stützpunkten kann das Southern Command nicht verantwortlich gemacht werden."

Seit geraumer Zeit ist diese Art von Militarisierung Ecuadors unverkennbar: an der ecuadorianisch-kolumbianischen Grenze stehen inzwischen mindestens 10.000 Soldaten. Offizieller Auftrag: Ein mögliches Einsickern der Guerrilla aus Kolumbien verhindern, wo seit 40 Jahren ein typischer low-intensity conflict schwelt, bei dem die USA der kolumbianischen Armee Rückendeckung gegen die Guerrilla geben. Dank des Plans Colombia gingen seit 1999 rund 2,7 Milliarden Dollar an die Regierung in Bogotá. Hinzu kamen Equipment zum Schutz von Ölpipelines und für den Betrieb von Radarstationen sowie logistische Hilfe. (...)

Dies war nie ein Plan zur Vernichtung von Drogenkulturen, sondern eine Strategie, um die soziale Basis der Guerrilla zu zerstören, sagen die Kritiker. Ein Ansatz, um das gesamte Amazonasbecken zu beherrschen, die wichtigste Rohstoffreserve der USA in Südamerika mit Süßwasser, Bodenschätzen, Biomasse - und sehr viel Erdöl.

Manta, Comalapa, die Karibikinseln Aruba und Curaçao
Am äußersten Westzipfel Ecuadors, wo der Kontinent weit in den Pazifik hineinragt, liegt das Städtchen Manta wie eine strategische Oase, die sich zur Kontrolle des Seegebietes förmlich anzubieten scheint. Früher war der Ort bekannt für seinen Thunfisch, jetzt für die strengen Sicherheitsvorkehrungen, mit denen die Militärbasis abgeschirmt wird. Bürgermeister Jorge Zambrano Cedeńo ist sichtlich empört, die Amerikaner könnten hier tun und lassen, was sie wollten, ohne irgendwen in ihre Pläne einzuweihen. Er sei über nichts informiert, sondern stets mit vollendeten Tatsachen konfrontiert worden, als der Stützpunkt gebaut wurde. (...)

Der kleine Militärflughafen von Manta war vor drei Jahren mit US-Geldern in Höhe von 80 Millionen Dollar umgebaut und modernisiert worden, er besitzt nun eine der längsten und sichersten Landebahnen Südamerikas. Manta ist insofern ein typisches Beispiel für eine Forward Operating Location (FOL) - einen Flughafen, der sich wie eine Militärbasis nutzen lässt, aber nicht so genannt wird.

Nach Ende des Kalten Krieges führte ein Teil des strategischen Wandels, den die US-Armee durchlief, unter anderem zum Konzept der "Expeditions-Luftwaffe" - das bedeutet, man verlässt sich nicht mehr auf große Außenposten mit Zehntausenden Soldaten, die in der Nähe eines potenziellen Feindes disloziert sind, sondern hält dieses Potenzial so lange wie möglich in den USA vor. Dazu sind freilich diverse Abkommen erforderlich, um sich Zugang zu den Territorien von Gastländern zu verschaffen, die an potenzielle Krisengebiete grenzen, und in möglichst vielen Regionen der Erde innerhalb von 24 Stunden handeln zu können - die Möglichkeit dazu bieten Forward Operating Locations. Bezogen auf Lateinamerika sind diese Stützpunkte der neuen Generation neben Manta in Ecuador auch Comalapa in El Salvador und Basen auf den niederländischen Karibikinseln Aruba und Curaçao, die eine hoch flexible, technisch versierte Militärpräsenz im regionalen Umfeld des Amazonasbeckens erlauben ... .

Fünf AWACS-Maschinen oder "so viel, wie man braucht

(...)
Nach dem zwischen den USA und Ecuador geschlossenen Vertrag können bis zu 400 Mann - Militärs oder Zivilisten - eine Woche lang in Manta stationiert werden, ohne dass die lokalen Behörden informiert werden müssen. Erst wenn jemand länger bleibt, muss der Name durchgegeben werden. Wer als Soldat auf dem Stützpunkt Dienst tut, braucht ohnehin kein Visum, sondern wird direkt aus den USA eingeflogen - die einzige Autorisierung, die dafür benötigt wird, erteilt das Southern Command. Sämtliche Truppenbewegungen unterliegen damit keinerlei Aufsicht durch irgendwelche ecuadorianische Behörden.

Darüber ärgert sich René Vargas Pazzos. Der pensionierte General ist 70 Jahre alt, groß und aufrecht, auf einem Auge blind. (...) General Vargas Pazzos war einmal Oberbefehlshaber der Streitkräfte Ecuadors.

Im Nationalkongress von Quito habe es nie eine Abstimmung über den Manta-Vertrag gegeben, erzählt er, ein klarer Verstoß gegen die Verfassung des Landes. Außerdem sei der Vertragstext an vielen Stellen sehr vage formuliert - absichtlich vage, könnte man unterstellen. Bei der Nutzungsdauer des Stützpunktes sei von zehn Jahren die Rede - Zusatz: "oder länger". Weiterhin steht im Vertrag: Es dürfen fünf AWACS-Flugzeuge oder "so viel, wie man braucht" in Manta oder "der Umgebung" stationiert werden.

"Meines Erachtens wird der Tag kommen, an dem die USA direkt in Kolumbien intervenieren", glaubt Vargas Pazzos. Es sei völlig klar, dass die kolumbianischen Streitkräfte nicht in der Lage seien, die Guerrilla zu besiegen. "Ich glaube, die Amerikaner auch nicht. Sie werden in ein neues Vietnam geraten, ein südamerikanisches Vietnam."

Und dann präsentiert der General noch eine aufschlussreiche Information: Die neue Landepiste in Manta habe eine besondere Betonschicht erhalten, sie könne die Wucht auffangen, mit der ultraschwere Flugzeuge landen. Mit großen Transportmaschinen könnten innerhalb von Stunden 30.000 bewaffnete Soldaten in Manta eingeflogen werden. "Jetzt braucht man so etwas nicht, sollte sich aber der Konflikt in Kolumbien auf die gesamte Region ausweiten und die Vereinigten Staaten direkt in Kolumbien eingreifen, wird es ernst - ich denke, es ist bald soweit."

In Manta hat die US-Armee Hochtechnologie jeder Art platziert, darunter AWACS-Aufklärer mit einem Radarsystem, das eine Reichweite von 320 Kilometern hat, Flugzeit: acht Stunden, ohne zu tanken. Hercules-Transporter, P3-Orion-Maschinen, Flugzeit: elf Stunden, ohne zu tanken. Was die AWACS-Systeme an Erkenntnissen liefern, geht direkt zum Southern Command im US-Bundesstaat Georgia.

Manta wird inzwischen "das Auge und Ohr des Plans Colombia" genannt, von hier aus starten regelmäßig P3-Orion-Flugzeuge, die mit Torpedos oder Minen ausgestattet werden können, zu Langstrecken-Patrouillen. (...)

Warum kommt dieses gigantische Tankflugzeug hierher?

Das Büro des Lokalreporters Edgar Ríos befindet sich im einzigen Hochhaus von Manta. Auf seinem Schreibtisch liegt neben Computer und Papieren ein Fernglas, mit dessen Hilfe Ríos die Starts und Landungen auf der Militärbasis beobachten kann. Da gäbe es Maschinen, die in keinem Flugbericht des Towers auftauchen, deren Landung ihm jedoch befreundete Militärs bestätigt hätten: Etwa das riesige Tankflugzeug KC-135, das nur nachts käme. KC-135 Maschinen dienen dazu, Kampfflugzeuge in der Luft aufzutanken, doch warum fliegen sie Manta an? Die Orion-Maschinen folgen bei ihren Erkundungen einem Dreieckskurs zunächst bis zur FOL in Curaçao und dann weiter nach El Salvador. Sie können - in Manta aufgetankt - mühelos die nächste FOL erreichen. "Warum kommt dieses gigantische Tankflugzeug also hierher?", fragt Edgar Ríos. "Diese Maschinen können auch als Transporter dienen. Wir haben daher den Verdacht, dass heimlich Waffen eingeflogen werden."

So lückenlos, wie die US-Amerikaner heute die gesamte Amazonasregion überwachen können, war das seinerzeit nicht einmal von der Howard-Militärbasis in Panama möglich. Und all das nur, weil man im Drogenkrieg steht? Nach dem 11. September 2001 sind die kolumbianischen Guerrilleros als "Narco-Terroristen" klassifiziert worden, das heißt, die Drogen- und Aufstandsbekämpfung wurden damit in einen Topf geworfen. Gelder, vorgesehen für die Anti-Drogen-Kampagne, können nun auch für die "Schlacht gegen den Terror" eingesetzt werden.

Sollten die USA tatsächlich irgendwann in Kolumbien intervenieren, steht ihnen ein langer und harter Guerrilla-Krieg bevor. Damit der nicht verloren geht, wird schon jetzt das strategische Umfeld sondiert und gesichert, denn es könnte nicht nur ein Krieg gegen die Guerrilla, sondern auch ein neuer Krieg ums Öl sein - diesmal am Amazonas.

Aus: Freitag 12, 12. März 2004


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