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Kolumbien: Indígenas im Kreuzfeuer

Paramilitärs und Guerilla nehmen Zivilbevölkerung in die Zange

Von Gerhard Dilger, Popayán

Im Folgenden dokumentieren - anlässlich des Tages der indigenen Völker - einen Beitrag über die Situation der Indígenas in der kolumbianischen Region Cauca. Wir haben ihn der Tageszeitung "Neues Deutschland" entnommen.

Heute ist der Tag der indigenen Völker. In Kolumbien wurden in den letzten zehn Jahren mindestens 365 Indígenas ermordet – laut einer Statistik des nationalen Dachverbandes der Indígenas von Kolumbien (ONIC). Am Sonntag sind erneut zwei kolumbianische Indígenas ermordet worden. In der Gemeinde Florida östlich von Cali erschossen Unbekannte den Sprecher der örtlichen Páez-Indianer Misael Chepe und seine Frau Nancy García. Den Zeitungen war dies bestenfalls eine Kurzmeldung wert – Morde wie diese sind in den ländlichen Gegenden Kolumbiens trauriger Alltag. Die Täter finden sich meist in den Reihen der ultrarechten Paramilitärs – aber immer wieder auch bei den Guerillagruppen »Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens« (FARC) oder des »Heeres zur nationalen Befreiung« (ELN).

Die Abstände zwischen den Gewalttaten an Angehörigen eines der 85 Indianervölker Kolumbiens werden immer kürzer. Mit 180.000 Indígenas ist die Provinz Cauca in Südwestkolumbien die »indigenste« Region des Landes. Hier sind die sozialen Organisationen besonders stark, allen voran der bereits 1971 gegründete »Regionale Indígenarat Cauca« (CRIC). Doch seit Oktober 2000 rückt der Terror paramilitärischer Banden auch nach Nord- und Westcauca vor. Mit selektiven Morden an vermeintlichen oder tatsächlichen Sympathisanten der Guerilla räumen die »Paras« in enger Zusammenarbeit mit Armee- oder Polizeieinheiten ganze Landstriche.

Der Naya-Fluss, der in den Pazifik mündet, bildet die Grenze der Provinz im Nordwesten. Vier Firmen fördern dort Gold, außerdem befindet sich entlang des Flusses ein strategisch wichtiger Korridor, über den Drogen aus- und Waffen eingeführt werden. Anfang April diesen Jahres startete die Armee eine Offensive gegen Truppen der FARC und der ELN. Am 11. und 12. April rückten etwa 300 Paramilitärs nach und veranstalteten ein Massaker unter der wehrlosen Zivilbevölkerung. Mit Macheten und Kettensägen gingen sie gegen die Schwarzen und Indígenas der Naya-Region vor. 22 Tote wurden geborgen, rund 40 weitere gelten als vermisst. 900 Menschen flüchteten in die Stadt Santander de Quilichao.

José Leandro Guetio und José Enrique Guetio, zwei Überlebende des Massakers, hoffen auf eine internationale Kommission, die die geplante Rückkehr von 155 Familien in die Region überwachen soll. Der spanische Richter Baltasar Garzón habe versprochen, sich der Sache anzunehmen. Von der Regierung verlangen sie Reparationszahlungen und Investitionen im Sozialbereich. »Im Juni sind 40000 von uns nach Cali marschiert,« erzählt CRIC-Vorsitzender Anatolio Quirá. Tatsächlich hätten danach die Massaker der Paramilitärs aufgehört. Die Komplizenschaft der Armee steht für ihn außer Zweifel. Doch unter Druck sind die Indígenas auch von Seiten der Guerilla. Nach dem Massaker am Naya plünderten ELN-Trupps die Häuser der Vertriebenen. Im Juni ermordeten die FARC den prominenten Indianerführer Cristóbal Secué, der zuvor bereits zwei Attentaten entkommen war. Das bei Touristen sehr beliebte Städtchen Silvia, wo FARC-Angehörige am 18. Juli den deutschen Entwicklungsexperten Ulrich Künzel und zwei seiner Begleiter entführt hatten, wurde am vergangenen Samstag von Hunderten ELN- und FARC-Guerilleros besetzt. Sie forderten die Bevölkerung auf, den geplanten Bau einer Polizeistation nicht zuzulassen. »Doch was soll der Bürgermeister machen?«, fragt Quirá. »Wendet er sich gegen die Polizeistation, gilt er als Guerillafreund.«

Guambiano Floro Tunubalá, der letztes Jahr als Vertreter des »Alternativen Sozialblocks« zum Gouverneur von Cauca gewählt wurde, wertet die Entführung der drei Deutschen als »frontalen Angriff der FARC gegen meine Regierung«. Die bewaffneten Gruppen missbrauchten die Zivilbevölkerung als »Kanonenfutter«, beklagt der erste Indígena, der eine kolumbianische Provinz regiert und ständig Todesdrohungen von Paramilitärs erhält. Zusammen mit seinen Kollegen aus fünf weiteren Provinzen entwickelt Tunubalá ein Alternativprojekt zum Plan Colombia, der auf eine radikale Vernichtung der Kokafelder setzt und dessen Mittel überwiegend der Stärkung des Militärs dienen. Tunubalá setzt hingegen auf die Förderung der Landwirtschaft und das manuelle Entwurzeln von »illegalen Anpflanzungen«.

Letzte Woche erläuterte er vor dem US-Kongress die fatalen Folgen der Besprühungen von Koka- und Schlafmohnfeldern für Mensch und Umwelt. Doch die Spielräume für die Provinzregierung sind eng. Der schmale Etat wird durch Schuldenzahlungen und Personalkosten fast aufgebraucht. Hilfsgelder aus dem Ausland kanalisiert die Zentralregierung in Bogotá, die auf Druck der USA an der weiteren Verschärfung des »Drogenkriegs« festhält.

Erst am Montag hob der Richter Gilberto Reyes aus Bogotá das gerichtliche Verbot von Besprühungen von Indianergebieten wieder auf, das er zwei Wochen zuvor verhängt hatte. Vorausgegangen waren heftige Drohungen der US-Botschafterin Anne Patterson. Doch in den USA selbst ist die Debatte um Sinn und Unsinn des Plan Colombia heftiger entbrannt denn je. Nach Tunubalás Auftritt in Washington erkannte der demokatische Abgeordnete John Conyers: »Anstatt zu helfen, heizen wir den internen Konflikt in Kolumbien an.«

Aus: Neues Deutschland, 9. August 2001

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