Kolumbien: Ende der Verhandlungen zwischen Regierung und FARC
Zwei Interviews mit dem früheren Verhandlungsführer Camilo Gómez - Konferenz in Berlin
Es kommt nicht alle Tage vor, dass zwei so unterschiedliche Zeitungen wie das Springer-Blatt "Die Welt" und die linke "junge Welt" kurz hintereinander ein und denselben Politiker zum Interview bringen. In diesem Fall geschah es mit Camilo Gómez, dem "Hohen Kommissar für den Frieden" der kolumbianischen Regierung Pastrana, dessen Interviews in der "Welt" am 3. Juli und in der "jungen Welt" am 4. Juli 2002 veröffentlicht wurden. Gómez war Gast eines "Kolumbien-Forums", das die WELT dieser Tage in Berlin durchführte. (Einen kritischen Bericht darüber können Sie im Anschluss an die Interviews lesen.) Gómez wird seine Verhandlungstätigkeit nicht mehr ausüben können, da inzwischen eine neue Regierung gewählt wurde. Am 7. August 2002 wird der rechtskonservative Alvaro Uribe das Präsidentenamt von Andrés Pastrana übernehmen.
Zunächst also ein paar Aussagen aus dem Welt-Interview
(das Gespräch führte Hildegard Stausberg):
DIE WELT: War die Regierung Pastrana zu naiv?
Camilo Gómez: Von diesen Verhandlungen der letzten Jahre wird mehr übrig
bleiben, als man jetzt vielleicht glaubt. Denn sie haben einen tief greifenden
Wandel im Bewusstsein der Bevölkerung provoziert. Außerdem hat die
internationale Gemeinschaft heute eine völlig andere Einstellung zum Konflikt in
Kolumbien.
...
DIE WELT: Wie stark ist die Guerilla?
Gomez: Sie terrorisiert in einigen Landesteilen durch Angriffe auf die
Zivilbevölkerung und Zerstörung der Infrastruktur. Wir sind aber trotz allem eine
Demokratie: Inmitten all unserer Probleme haben über zehn Millionen
Kolumbianer eine neue Regierung und ein neues Parlament gewählt - trotz
massivster Bedrohung durch die Guerilla lassen sich 42 Millionen Kolumbianer
von ihnen nicht einschüchtern.
...
DIE WELT: Was wird aus dem Plan Colombia?
Gomez: Noch nie ist in Kolumbien so viel in soziale Projekte investiert worden wie
mit dem Plan Colombia. So wurde in den zurückliegenden vier Jahren die
Ausbildung von jungen Leuten verbessert, das Impfsystem ausgeweitet, das
Straßennetz in ländlichen Gebieten ausgebaut. Der Plan Colombia bekämpft die
Armut und damit den Einfluss der Drogenmafia. Unsere wirtschaftliche Lage ist im
Übrigen besser als in vielen lateinamerikanischen Ländern: Unsere Exporte
wachsen, und wir werden dieses Jahr ein Wirtschaftswachstum von mehr als zwei
Prozent haben.
DIE WELT: Wie kann man Kolumbien helfen?
Gomez: Man müsste anerkennen, dass das Problem nur gemeinsam zu lösen ist,
also durch Übereinkommen und Absprachen zwischen den Drogen
produzierenden und Drogen konsumierenden Ländern. Die zur Herstellung der
Drogen nötigen chemischen Zusatzstoffe müssten stärker kontrolliert werden. Da
müsste man aber bei den Herstellerfirmen anfangen und die Exporte strenger
beobachten.
In der "jungen Welt" konnte man folgendes Interview lesen
(Interviewer: Harald Neuber)
Frage: Warum ist der Friedensprozeß zwischen der
kolumbianischen Regierung und den beiden großen
Guerillaorganisationen FARC und ELN gescheitert?
Die Tatsache, daß die Gespräche mit der Guerilla abgebrochen
wurden, kommt nicht dem Ende der von der Regierung weiter
verfolgten Friedenspolitik gleich. Diese Friedenspolitik geht
weit über diese Gespräche hinaus. Für deren Abbruch zeichnet
einzig die Guerilla verantwortlich. Sie haben den Weg des
Terrorismus gewählt und eine politische Lösung des Konfliktes
unmöglich gemacht.
F: Die Militarisierung Kolumbiens stößt bei sozialen
Organisationen im In- und Ausland auf Kritik. Was hat das mit
Friedenspolitik zu tun?
Die Friedenspolitik Pastranas hatte mehrere Schwerpunkte:
Neben den Verhandlungen waren das der Kampf gegen den
Drogenhandel, soziale Programme und auch die Aufrüstung
der Armee.
F: Wie kann Aufrüstung Frieden schaffen?
Dank der Etaterhöhung für die Streitkräfte sind sie heute
besser gewappnet, professioneller, besser bezahlt und
können sich vollständig der Verteidigung der Menschenrechte
und des humanitären Völkerrechtes widmen. Auch genießen
die Streitkräfte heute in Kolumbien ein besseres Ansehen.
F: Hatte eine politische Lösung am Verhandlungstisch eine
reale Chance in Anbetracht der unterschiedlichen Ansätze?
Während die Guerilla fundamentale wirtschaftliche und
politische Veränderungen anstrebte, bestand Ihre Regierung
immer auf die Niederlegung der Waffen.
Ich habe eine politische Lösung immer für möglich gehalten.
Das Ergebnis des Prozesses zeigt, daß die Guerilla ihm von
Beginn an keine Chancen eingeräumt hat. Das zeigt, in
wessen Interesse sie handelt.
F: In wessen Interesse?
In dem von weniger als zwei Prozent der Bevölkerung,
während 98 Prozent ihre Ziele ablehnen.
F: Wessen Zahlen sind das?
Das sind Umfragewerte.
F: Was bleibt also in der Zukunft zu verhandeln?
Das möchte ich der kommenden Regierung von Alvaro Uribe
Vélez überlassen. Ich habe meine diplomatische Mission
vorerst erfüllt, und solange ich kein neues Amt bekleide, kann
ich Ihnen über politische Strategien keine Auskunft geben.
»Die Welt« veranstaltete eine Kolumbien-Konferenz
Von Harald Neuber
Rund hundert Gäste erschienen am Dienstag in der 19. Etage
des Axel-Springer-Hochhauses auf einer Kolumbien-Konferenz
mit dem Titel »Eine Nation auf der Suche nach ihrer Zukunft«.
Veranstalter waren »Die Welt« und die kolumbianische
Botschaft. Bei einer solchen Konstellation blieb nicht viel
politischer Spielraum: Schon im ersten Forum ließen die
Organisatoren nur die Wahl zwischen »Demokratie« und
»Terrorismus«. Die »Demokratie« vertraten der kolumbianische
Verteidigungsminister Gustavo Bell und der »Hohe Kommissar
für den Frieden« Camilo Gómez.
Die Terroristen waren schnell gefunden. Bell, der in Kolumbien
den inoffiziellen Titel »Kriegsminister« trägt und in Springers
Dachgeschoß »Herr Doktor« genannt wurde, gab die politische
Linie vor: »Kolumbien ist in Lateinamerika ein Musterbeispiel
für Demokratie« - bedroht von illegalen bewaffneten Gruppen.
Die Gründung der Guerilla, erkannte Bell immerhin an, habe
soziale Ursachen gehabt. Mit der Auflösung der Sowjetunion
aber sei die Finanzquelle weggebrochen. Die Aufständischen
hätten sich dem Drogenhandel und damit der Kriminalität
verschrieben. Fortan wurden sie im Podium »die Terroristen«
genannt. Das Gute kämpft gegen das Böse - in afghanischen
Höhlen wie im südamerikanischen Dschungel. Von den
Millionen in Armut lebenden Kolumbianern war keine Rede. So
einfach ist Politik bei Springer. Bell trat ab, es folgte Applaus
und der Hinweis der Moderatorin: »Meine Damen und Herren,
Sie werden es gemerkt haben: Zu uns hat ein Intellektueller
gesprochen.«
Die folgenden Beiträge waren kaum tiefgründiger.
Oxford-Professor Malcolm Daes gratulierte »Gustavo« für seine
politische Analyse und erklärte Forderungen an die
kolumbianische Regierung nach Einhaltung der
Menschenrechte zur arroganten Einmischung in innere
Angelegenheiten des Landes, die ihren Ursprung im kolonialen
Rollenverhalten habe. Paul Collier, Leiter der
Entwicklungsforschung der Weltbank, rechtfertigte den Krieg
mit der These, daß die Guerilla gerade die Regionen besetzt
halte, in denen natürliche Ressourcen wie Erdöl vorkämen oder
sich Koka anbauen ließe. Vorsichtiger äußerte sich der
Lateinamerika-Beauftragte der Bundesregierung Georg
Boomgarden: »Man muß anerkennen, daß dem Konflikt in
Kolumbien soziale Ursachen zugrunde liegen.« Von den mehr
als 30 000 Toten durch Gewalt ginge der größte Teil auf das
Konto konventioneller Kriminalität.
Es folgten Fragen aus dem Publikum. Auf die nach der
Verbindung zwischen Militär und paramilitärischen Verbänden
antwortete Bell knapp: »Das sind Ausnahmen«. Nachfrage
eines Exilkolumbianers: In der Erdölstadt Barrancabermeja
würden aber doch Stützpunkte der Paramilitärs neben denen
der Armee aufgebaut? »Auch das sind Ausnahmen«,
entgegnete Bell und fügte an: »Gerade deswegen wollen wir
die Armee stärken: damit sie allein die Ordnungsmacht ist.«
Die Vertreter einiger Nichtregierungsorganisationen runzelten
nach solchen Verrenkungen die Stirn, die Mehrheit der
Anwesenden in Nadelstreifen oder Uniform aber nickte
zustimmend.
Man sollte dieses Treffen nicht abtun. Wenige Wochen vor
Amtsantritt versucht der designierte Präsident Alvaro Uribe
Vélez mit allen Mitteln, Unterstützung für seinen Krieg zu
finden. Einen sicheren Stützpunkt dafür hat der Rechtsextreme
mit dem deutschen Springerkonzern. Dazu die moderierende
Welt-Redakteurin: »Auch der Journalismus kommt nicht umher,
Position zu ergreifen« - bei Springer gegen eine friedliche
Lösung.
Aus: junge Welt, 4. Juli 2002
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