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Zwischen den Fronten des kolumbianischen Bürgerkriegs

Das Territorium des indigenen Nomadenvolks Nukak-Makú ist Kampfzone

Von Tommy Ramm, Bogotá *

Mit dem seit über 40 Jahren andauernden kolumbianischen Bürgerkrieg haben sie nichts zu tun, doch zu den Opfern gehören sie trotzdem: Die Indígenas der Nukak-Makú.

Des einen Freud ist nicht selten des anderen Leid. Während die Freilassung von zwei Entführten durch die kolumbiansiche FARC-Guerilla Anfang dieses Jahres weltweit gefeiert wurde, bekam das Volk der Nukak-Makú die Kehrseite dieser Nachricht zu spüren. Bombardierungen der kolumbianischen Luftwaffe gegen Guerillastellungen in dem Gebiet, wo die Entführten freigelassen wurden und das zum traditionellen Stammesgebiet gehört, zwangen zahlreiche Nukak in die Flucht.

»Es ist entsetzlich, dass die Nukak als eines der wenigen überlebenden nomadischen Völker im Amazonas so in diese Kämpfe hineingezogen werden, obwohl sie gar nichts damit zu tun haben«, erklärte Stephen Corry, Direktor der Nichtregierungsorganisation Survival International, die sich weltweit für indigene Völker einsetzt. Dabei sind die letzten Luftangriffe längst nicht der erste bewaffnete Zwischenfall, dem sich die Nukak auf ihrem Territorium ausgesetzt sehen. Erst Ende letzten Jahres wurde der Nukak-Führer Monikaro von der Guerilla ermordet. Zu einer wahren Flüchtlingswelle unter den Nukak-Makú kam es vor rund zwei Jahren, nachdem diese dem Druck der Guerilla und Kämpfen auswichen.

Das einst rund 10 000 Quadratkilometer umfassende Gebiet des Nomadenvolkes liegt in der weitgehend unbewohnten ostkolumbianischen Provinz Guaviare, welche in den Amazonas übergeht. Vor zwanzig Jahren erfuhr das Land erstmals von den Nukak, die weltweit zu den letzten Stämmen dieser Art zählen, nachdem eine Gruppe auf eine Ansiedlung gestoßen war. Aus heutiger Sicht ein verhängnisvolles Zusammentreffen. Von damals rund 1200 Nukak ist deren Zahl bis heute auf wenig mehr als 500 geschrumpft. Waren die Nukak, die in ihrem Leben rund 60 Mal ihren Wohnort innerhalb des Dschungels wechseln, bisher abgeschirmt von Zivilisationskrankheiten, rafften Atemwegserkrankungen und Virusgrippen in den letzten Jahre viele der Indigenen dahin. Zerstörerisch wirkte sich zudem der Einfluss der fremden, aber verführerischen Zivilisation aus. So haben Nukak-Gruppen Anfang 2006 wegen Guerillapräsenz Zuflucht in der Nähe der Provinzhauptstadt San José del Guaviare gesucht, wo viele in Windeseile ihre Identität verloren haben. Plötzlich hießen sie Felipe oder Julián statt Parit oder Webelli. »Weil die Weißen besser sprechen«, erklärte ein Nukak in gebrochenem Spanisch. Viele wollten sich nicht mehr traditonsgemäß ihre Gesichter mit der Farbe der Achote-Samen bemalen, weil es die Wäsche befleckt. Und diese bestand nicht mehr aus Lendenschurz, sondern aus Jeans und BH für die Frauen.

Dennoch gelang es damals, die Mehrzahl der geflüchteten Nukak in ihr Gebiet zurückzuführen. Doch dort warten so viele Risiken auf sie, die befürchten lassen, dass das Verschwinden des Nukak-Volkes nur noch eine Frage der Zeit ist. Kokabauern in der Region verpflichten die Indigenen etwa zur Ernte der Kokablätter für die spätere Kokainproduktion. Statt Geld gibt es etwas zu essen und Brause-Getränke. Die Bauern nutzen das fehlende Verständnis der Indigenen für Geld aus und missbrauchen sie als äüßerst billige Arbeitskraft -- modernes Sklaventum. Und wo die Nukak neuen Plantagen im Wege stehen, wird Gewalt angewendet. Die Guerilla, die im engen Kontakt mit den Kokabauern steht und große Teile des Drogengeschäfts abwickelt, hat mehrfach die in Gruppen aufgeteilten Nukak gewaltsam vertrieben.

Doch die Koka ist nicht das einzige Dilemma der Nukak. Tief in der Erde sollen riesige Erdölvorkommen und angeblich Uran schlummern, deren Abbau nur noch eine Frage der Zeit ist. »Das Gebiet ist strategisch von Bedeutung«, meint Higinio Obispo von der Nationalen Kolumbianischen Indigenaorganisation ONIC, der auf Pläne für den großflächigen Anbau von Ölpalmen zur Biodieselproduktion verweist. Damit begründet Obispo auch die staatlichen Umsiedlungspläne für die Nukak, womit das Nomadenvolk von seinem traditionellen Land verschwinden soll, um so indirekt den Weg für den zukünftigen Rohstoffabbau freizumachen. Einen kleinen Hoffnungsschimmer gibt es dennoch: Mitte März rangen Indígena-Vertreter der kolumbianischen Regierung in Verhandlungen den Kompromiss ab, die territoriale, soziale und kulturelle Integrität der Nukak zu beschützen. In der Landfrage wird sich zeigen, wie ernst die Zusagen aus Bogotá gemeint sind.

* Aus: Neues Deutschland, 1. April 2008


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