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Kein Frieden im Cauca

In Havanna wird verhandelt, in Kolumbien weiter gekämpft: Die Armee attackiert erneut die FARC-Guerilla

Von David Graaff *

Kolumbiens Regierung und die Guerillagruppe FARC verhandeln seit dem 19. November in Havanna über die Beendigung des letzten und ältesten Krieges Lateinamerikas. In Kolumbien selbst ist von Frieden noch nichts zu spüren. In der Region Cauca, einer Hochburg der FARC, hat die Armee ihre Präsenz sogar erhöht. Die Zivilbevölkerung steht zwischen den Fronten.

Im Kommandozelt von Oberst John Hugo Mesa ist es angenehm kühl. Eine Klimaanlage lässt die hohen Temperaturen draußen vergessen, die schon am frühen Morgen im kleinen Dorf Caloto im Departamento Cauca herrschen. Hier, im Süden Kolumbiens, in einer der konfliktreichsten Regionen der letzten Jahre, hat Mesa das Kommando über eine mobile Einheit des kolumbianischen Militärs, die die FARC-Guerilla bekämpfen soll.

Auch wenn die beiden Konfliktparteien seit einigen Wochen in Havanna über Frieden verhandeln und die Guerilla einen einseitigen Waffenstillstand verkündet hat, zeigt der Oberst wenig Bereitschaft, die Waffen schweigen zu lassen. »Wir alle wollen den Frieden«, sagt er, »aber wir können diese Nation nicht den Terroristen der FARC überlassen.«

Operation »Schwert der Ehre«

Seit Anfang dieses Jahres hat das Militär seine Präsenz in der Region Cauca erhöht, nachdem es hier vor rund zwölf Monaten den legendären FARC-Kommandeur Alfonso Cano getötet hatte. Seitdem läuft die Militärstrategie »Espada de Honor« (Schwert der Ehre), bei der vor allem die mittlere Kommandoebene der Guerillaverbände ausgeschaltet werden soll. Zugleich sind die hier operierenden Einheiten der Guerilla, die so genannten mobilen Kolonnen, eine der militärisch erfolgreichsten. Leidtragende dieser Situation ist vor allem die Zivilbevölkerung. Der Student Cristian Delgado ist Mitglied des Netzwerks für Menschenrechte Francisco Isaías Cifuentes, das die Situation der Zivilbevölkerung im Cauca beobachtet. »In den letzten Monaten haben die Verletzungen des Humanitären Völkerrechts stark zugenommen«, sagt er. »Allein zwischen Januar und August dieses Jahres haben wir über hundert Fälle gezählt. Darunter fallen vor allem die Beschädigung ziviler Güter oder der Gebrauch der Zivilbevölkerung als Schutzschild«, berichtet Delgado.

Nur mühsam quält sich der klapprige Geländewagen zwischen Bananenbäumen, Maispflanzen und Kokasträuchern den schmalen Sandweg die Berge zwischen den Gemeinden Caloto und Toribío hinauf. Wenige Hektar große Parzellen und bunt gemischte Pflanzungen zeugen von kleinbäuerlichem Besitz. Hier gibt es keine Militärkontrollen mehr; hier hat die Guerilla das Sagen. Das verdeutlicht nicht zuletzt ein Motorrad, dessen Fahrer jeden unserer Schritte überwacht. Bald sind die ersten Marihuanapflanzen zu entdecken. Im Cauca wird eine der besten Sorten Kolumbiens angebaut. 25 Kilo »Corinto« haben einen Verkaufswert von umgerechnet rund 70 Euro. Der Präsident des Dorfrates im Weiler »El Pedregal«, Jairo Muñoz, gibt sich erst gar keine Mühe, die Bedeutung der illegalen Pflanzungen für die Bauern zu leugnen. »Ja, hier leben wir von Koka und Marihuana«, gibt er zu. »Mais, Kaffee oder Bananen kann man auf dem Markt praktisch verschenken, sie sind nichts wert. Deshalb bauen wir eben auch diese Produkte an, um unser Einkommen zu sichern.«

Was die rund 500 Bewohner des Weilers besorgt, sind allerdings weniger die eher sporadischen Versuche von Polizei und Militär, die Pflanzen zu vernichten, als ein Camp, das das Militär vor einiger Zeit auf dem Hügel oberhalb ihrer Häuser errichtet hat. Alle zwei Wochen kommen die Soldaten herunter und patrouillieren. Dann schließt das einzige Geschäft und die Bewohner flüchten in die Berge. Die Präsenz des Militärs zieht Angriffe der Guerilla nach sich. Die Kämpfe machen weder vor dem kleinen Grundschulgebäude, noch vor den Häusern der Bewohner halt, auf deren Dächern weiße Tücher an Bambusmasten Neutralität signalisieren sollen. »Manchmal verbringen wir drei Tage außerhalb des Weilers, weil die Kämpfe andauern«, erzählt Jairo, während er die Einschusslöcher an den Häusern zeigt. Mehrere Fensterscheiben der Schule sind beim letzten Kampf zerbrochen. »Wenn wir wieder herauskönnen, sind unsere Pflanzungen teilweise von Schüssen und Granaten zerstört. Manchmal töten sie auch eines unserer Rinder«, so Jairo. Mehr als 40 Bewohner haben den Weiler in den letzten Monaten verlassen.

Victor Meléndez kennt solche Fälle. »Wir sprechen mit den Befehlshabern des Militärs und mahnen sie zur Einhaltung des Humanitären Völkerrechts und zum Schutz der Zivilbevölkerung«, sagt der regionale Ombudsmann zur Einhaltung der Menschenrechte im Cauca. Er ist viel beschäftigt, seit das Militär die Zahl der Soldaten in seinem Departamento massiv erhöht hat.

Die Streitkräfte Kolumbiens haben einen der höchsten Militäretats in Südamerika und sind mit modernster Bewaffnung ausgestattet. Beim Kampf gegen die Guerilla kennen die Soldaten aber oft keine anderen Mittel, als wahllos Maschinengewehrsalven in Richtung der Hügel abzufeuern, in der sie den Feind vermuten.

Maschinengewehre gegen »Tatucos«

Dieser benutzt seinerseits selbstgefertigte Granaten, sogenannte »Tatucos«, die über ein Eisenrohr abgefeuert werden. Diese ungenauen Geschosse treffen oft auch zivile Einrichtungen. Außerdem explodieren sie aufgrund der handwerklichen Fertigung nicht immer, bleiben im Gebüsch als Blindgänger liegen und stellen dann eine enorme Gefahr für die Bevölkerung dar.

Die bergige Region des nördlichen Cauca hat in den letzten 40 Jahren viele Aufständische beheimatet. Neben den Guerillas der FARC, der einst an der Revolution in Kuba orientierten ELN oder der links-nationalistischen M-19 war und ist der Cauca auch eine Bastion der organisierten indigenen Bevölkerung, die auf die in der Verfassung zugestandene Autonomie pocht.

»Die Guerilla und das Militär sollen uns einfach respektieren«, fordert Rolando Tálaga. Der hochgewachsene Mann ist Gouverneur des indigenen Schutzgebietes Honduras. Mit dem Handy telefonierend versucht er, Hilfe für 300 Gemeindemitglieder zu organisieren, die am Tag zuvor vor den Kämpfen zwischen Guerilla und Militärs geflohen sind und nun einen Tagesmarsch entfernt ausharren. »Selbst das Rote Kreuz traut sich nicht bis zu den Vertriebenen vor, weil die Kämpfe andauern«, klagt Tálaga. Von Frieden keine Spur. »Seit die Friedensverhandlungen angekündigt wurden, beobachten wir, dass die Zahl der Soldaten eher noch zunimmt«, sagt der Gouverneur.

Nicht nur die Indigenen, ein Großteil der ländlichen Bevölkerung im Nord-Cauca beäugt die zunehmende Präsenz des Staates mit seinen Soldaten statt sozialer Investitionen mit viel Skepsis. Jegliche Forderungen der Zivilbevölkerung, beispielsweise nach Wahrung ihrer Neutralität, sind in den Augen der Soldaten aber lediglich Ergebnis der »Manipulation« durch die Guerilla.

Deren sozialer Einfluss ist in der Tat groß und die Präsenz von Soldaten in manchen Gebieten daher nicht nur wegen der Kämpfe gefährlich. »Man darf mit den Soldaten nicht reden, weil es sonst heißt, man würde sie unterstützen«, sagt Albeiro Ganoa. Der 33-Jährige lebt nahe der Kleinstadt Miranda auf dem Hügel Calandaima. Hier hatte das Militär vor einiger Zeit ein Camp errichtet. Er und 14 weitere Familien fanden sich seitdem inmitten fast täglicher Kämpfe wieder.

Vor einem Monat haben sie den zum Hügel gehörenden Landtitel erworben und zusammen mit Organisationen aus der Region die Soldaten einige Meter vertrieben. Sie schütteten die Schützengräben zu und errichteten ein paar Häuser aus Bambus. Seitdem haben die Kämpfe abgenommen. Doch die Familien trennt lediglich ein einfacher Zaun von schwer bewaffneten Soldaten. »Sie schenken den Kindern Süßigkeiten und fragen, wer aus unserer Gemeinschaft ein Guerillero ist«, erzählt Albeiro und zeigt den Ausblick aus dem Küchenfenster seiner einfachen Behausung. Von hier aus blickt man über das Cauca-Tal, in dem auf großen Plantagen vor allem Zuckerrohr angebaut wird. Am Horizont leuchten im gleißenden Licht der Sonne die Stahlwände einer Ethanolfabrik. Um Albeiro herum spielen seine Kinder mit einem selbst geschnitzten Holzgewehr.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 11. Dezember 2012


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