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Staatlicher Terror gegen Frauen

Kolumbien: Sexuelle Gewalt als Kriegswaffe. Täter gehen straffrei aus

Von Helda Martínez, IPS *

In Kolumbien ist die sexuelle Gewalt gegen Frauen zu einem integralen Bestandteil des seit bald 50 Jahre tobenden Bürgerkriegs geworden. Wie aus einer neuen Studie von »Intermón Oxfam«, einem Mitglied der internationalen Hilfsorganisation Oxfam, hervorgeht, sind 60 Prozent der Vertriebenen Frauen, von denen wiederum 20 Prozent vor sexuellen Übergriffen geflohen sind.

Frauen seien der Gewalt zumeist hilflos ausgeliefert, sagt Paula San Pedro, eine der Autorinnen des Untersuchungsberichts, der Anfang Oktober zeitgleich in Madrid und in Bogotá vorgestellt wurde. Lokale Menschenrechts- und Frauenorganisationen machen seit Jahrzehnten auf diese Zustände aufmerksam. Die Verbrechen werden von Angehörigen aller Konfliktparteien verübt: von regulären Streitkräften, Paramilitärs, aber auch von Rebellen.

Insgesamt haben nach Angaben von Oxfam 60 bis 70 Prozent der Frauen in Kolumbien schon einmal sexuelle, körperliche, psychische oder politische Gewalt erlebt -- Tendenz steigend. Die Opfer schweigen häufig aus Scham oder Angst, was dazu beiträgt, daß die meisten Täter unbehelligt bleiben. »97 Prozent der Verbrechen werden nicht verfolgt«, sagt Alexandra Quintero von der Frauenrechtsorganisation »Sisma-Mujer«.

»Bei uns am Ufer des Atrato war es eigentlich immer friedlich«, erinnert sich die 53jährige María (Name geändert). Sie stammt aus dem nordwestlichen Department Chocó an der Pazifikküste, einer besonders armen Region. »Dann kam Ende der 80er Jahre der Konflikt auch zu uns. Mitten in der Nacht holten sie die Leute aus ihren Betten. Sie brachten die Männer um und vergewaltigten die Frauen«. María gehört zu den vier Millionen Kolumbianern, die in den vergangenen 15 Jahren aus ihren Dörfern vertrieben wurden -- das entspricht etwa einem Zehntel der Gesamtbevölkerung des südamerikanischen Landes. Sie hat sich mittlerweile einer Frauengruppe in Chocó angeschlossen, um auf das Schicksal der Mißbrauchten aufmerksam zu machen. »Wir müssen uns gesellschaftlich mehr einbringen, uns sichtbar machen«, sagt sie.

Zwar hat die Rechtssprechung in den vergangenen Jahren Fortschritte gemacht und gesteht den Opfern beispielsweise ein Recht auf Wiedergutmachung unter anderem in Form finanzieller Ausgleichszahlungen zu. »Aber im täglichen Leben der Frauen sind die neuen Gesetze noch nicht angekommen«, sagt Alexandra Quintero.

Schuld an der zunehmenden Gewalt gegen Frauen ist nach Ansicht von María Eugenia Ramírez von Sisma-Mujer auch die Politik der »Demokratischen Sicherheit« von Präsident Álvaro Uribe, die angeblich zur Entwaffnung der ultrarechten Paramalitärs geführt hat. »Der Demobilisierungsprozeß ist eine Farce. In Wirklichkeit haben die Paramilitärs auch weiterhin die Kontrolle über viele Regionen und damit auch über das Leben der Frauen, die dort leben«. Ein Bericht von Sisma-Mujer, der im November der Öffentlichkeit präsentiert werden soll, zeigt außerdem auf, daß sich die von Sicherheitskräften des Staates ausgehende Gewalt gegenüber Frauen seit 2006 verdreifacht hat. Genauere Zahlen veröffentlichte das Verfassungsgericht Anfang dieses Jahres. Demnach gingen 58 Prozent der seit 1993 verübten gewaltsamen Übergriffe auf Frauen von Paramilitärs aus, 23 Prozent von den regulären Streitkräften und acht Prozent von der Guerilla. Die übrigen elf Prozent konnten keiner Partei zugeordnet werden.

www.intermonoxfam.org, www.sismamujer.org

* Aus: junge Welt, 23. Oktober 2009


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