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FARC-Guerilla will Kampf fortsetzen

Kolumbiens Armee tötet mit Alfonso Cano die Nummer eins der Rebellenarmee

Von Jürgen Vogt, Buenos Aires *

Die FARC-Guerilla in Kolumbien will ihren bewaffneten Kampf ungeachtet des Todes ihres obersten Anführers Guillermo Sáenz »Alfonso Cano« fortsetzen. »Der Frieden wird nicht durch eine Auflösung der Guerilla zu erreichen sein, sondern nur durch die endgültige Beseitigung der Ursachen, die zu dem Aufstand geführt haben«, betonte die FARC.

Kolumbiens oberster Guerilla-Chef ist tot. »Die Nummer eins der FARC ist gefallen.« Hemdsärmelig verkündete Kolumbiens Präsident Juan Manuel Santos die Nachricht am späten Freitagabend (4. Nov.) vom Rednerpult. Santos sprach vom schwersten Schlag, der der linksgerichteten Guerilla-Organisation in ihrer ganzen seit 1964 währenden Geschichte versetzt wurde. Er rief die FARC auf, die Waffen niederzulegen. »Wenn ihr es nicht tut, werdet ihr im Gefängnis oder im Grab landen«, drohte Santos.

Nur wenige Stunden zuvor hatten Einheiten der Armee bei einem Gefecht bei der Ortschaft Belalcázar in der südwestlichen Provinz Cauca den Chefkommandanten und Chef-Ideologen der Guerilla-Organisation FARC, Guillermo León Sáenz, alias Alfonso Cano getötet. Die FARC hat den Tod ihres Kommandanten inzwischen bestätigt.

Rund drei Monate war die Armee mit einer eigens dafür angesetzten Militäroperation hinter ihm her. Der letzte Akt begann am Freitagmorgen mit der Bombardierung des Gebiets, das als Standort und Rückzugsgebiets des FARC-Kommandanten galt. Rund drei Tonnen Bomben und Sprengmaterial hatte die Luftwaffe nach eigenen Angaben abgeworfen, bevor Einheiten von Soldaten auf dem Boden vorrückten. Bei einem Feuergefecht mit seiner Schutzgarde soll der 63-jährige Cano getötet worden sein. Cano hatte die Führung der FARC (»Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens«) 2008 übernommen. Damals war der legendäre Anführer und Mitbegründer der größten Guerillabewegung Kolumbiens, Manuel »Tirofijo« Marulanda, gestorben. Der Tod von Cano reiht sich ein in die Kette von schweren Verlusten, die der FARC in den letzten Jahren zugefügt wurden: Im März 2008 wurde mit Raúl Reyes die damalige Nummer Zwei der FARC getötet. Ebenfalls im März 2008 starb »Tirofijo« eines natürlichen Todes. Und im September 2010 wurde ihr Militärchef Mono Jojoy alias Jorge Briceño bei einem Gefecht getötet.

Auch damals sprach Präsident Santos vom »zweifelsfrei härtesten Schlag« gegen die FARC und forderte die Guerilleros auf, die Waffen niederzulegen. Die FARC haben das Ansinnen des Präsidenten auch diesmal sofort zurückgewiesen. »Der Frieden in Kolumbien wird nicht durch eine Demobilisierung der Guerilla erreicht, sondern durch die definitive Abschaffung der Gründe, die zur (bewaffneten) Erhebung führen«, so die FARC in einer über das Internet verbreiteten Erklärung.

In der kolumbianischen Presse wird bereits über Canos Nachfolger spekuliert. Für den Politologen Alejo Vargas hat die FARC mit Cano ihre wichtigste interne Führungsfigur verloren. Cano war es nach dem Tod von Marulanda gelungen, ein einheitliches Kommando bei der in verschiedene Blöcke geteilten Guerilla-Organisation aufrechtzuerhalten, analysiert Vargas. Möglicherweise droht nach Canos Tod jetzt nicht nur ein Richtungs-, sondern auch ein Führungsstreit.

Mit den möglichen Nachfolgern Rodrigo Londoño alias Timochenko und Luciano Marín Arango alias Iván Márquez prallen zwei Personen mit unterschiedlichen Profilen aufeinander, so der Politologe. Während Timochenko als Hardliner gilt und mehr auf das Militärische setzt, hat bei Iván Márquez die Politik den Vorrang.

Über das Politische der FARC heißt es in einem 2005 gefundenen Text, der dem getöteten Cano zugeschrieben wird: »Das politische Ziel der FARC-EP ist die Erlangung der Macht für das Volk. Mit dieser Zielrichtung wurde ein strategischer Plan entworfen, in dem die Revolutionären Streitkräfte ebenso eine vorherrschende Rolle spielen, (…) wie auch die klandestine Kommunistische Partei (PC3) und die Bolivarianische Bewegung.«

Dass der Guerilla ein schwerer Schlag versetzt wurde, bezweifelt in Kolumbien außer ihr selbst niemand. Dass der jetzige Tod ihres Chef-Kommandanten ihr Ende einläutet, darf jedoch bezweifelt werden. Die Angaben über die gegenwärtige Stärke der ältesten Guerilla-Organisation Lateinamerikas schwanken. Von einstmals 17 000 Rebellen sollen gegenwärtig noch zwischen 6000 bis 9000 den bewaffneten Kampf führen. Noch immer beherrschen sie ganze Gebiete des Landes. Inzwischen finanzieren sie sich jedoch weniger über Entführungen und Lösegelderpressungen als vielmehr über Gelder aus dem Drogenhandel.

* Aus: neues deutschland, 7. November 2011


Schlag gegen Friedensprozeß

Kolumbianische Armee tötet Kommandeur der FARC

Von Modaira Rubio, Caracas **


In einer am Wochenende verbreiteten Erklärung haben die Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (FARC) den Tod ihres obersten Comandante Alfonso Cano bestätigt. Er war am Freitag (4. Nov.) bei Angriffen der Regierungstruppen auf ein Lager der Guerillaorganisation in Cauca getötet worden. Die genauen Umstände seines Todes sind bislang unklar. Während die Regierung in Bogotá erklärte, Cano sei »im Kampf gefallen«, gibt es Zeugenaussagen, wonach Cano bereits entwaffnet gewesen sei, als er von drei tödlichen Schüssen getroffen wurde.

»Dies ist nicht das erste Mal, daß die Unterdrückten und Ausgebeuteten Kolumbiens um einen ihrer großen Anführer weinen«, heißt es in dem Kommuniqué der FARC, das der aus dem schwedischen Exil arbeitenden alternativen Nachrichtenagentur Neues Kolumbien (ANNCOL) übermittelt wurde. »Der Frieden in Kolumbien wird nicht aus einer Demobilisierung der Guerilla geboren werden, sondern aus der endgültigen Beseitigung der Ursachen, die zur Entstehung des Aufstands geführt haben«, so das Sekretariat, die oberste Führung der FARC, in ihrer Erklärung weiter.

Kolumbien Staatschef Juan Manuel Santos hatte zuvor triumphierend verkündet, der FARC bliebe keine andere Option mehr als ihre Demobilisierung oder der Tod. Die Linke des Landes sieht in dem Tod Canos hingegen einen »schweren Schlag« gegen einen Friedensprozeß, für den sich der Comandante zuletzt in mehreren Erklärungen ausgesprochen hatte. Deshalb schließe sich seine Organisation nicht dem »Chor der Glückwünsche« für die Regierung, die Militärführung und die extreme Rechte des Landes an, erklärte der Chefredakteur der Wochenzeitung Voz, Carlos A. Lozano, im Namen der Kolumbianischen Kommunistischen Partei (PCC). »Wir sind Humanisten, und deshalb schmerzt uns der Tod unserer Landsleute, insbesondere, wenn es sich um einen revolutionären Kämpfer handelt.« Der Tod ihres Anführers bedeute nicht das Ende der FARC, so Lozano. »In Kolumbien herrscht ein Konflikt, der tiefe politische, gesellschaftliche, wirtschaftliche und historische Ursachen hat, die auf dem Weg einer politischen Lösung überwunden werden müssen, auf der Grundlage einer Stärkung der Demokratie und der sozialen Gerechtigkeit. Es gibt keine militärische Lösung.«

Im Namen der »Kolumbianerinnen und Kolumbianer für den Frieden« warnte auch die Menschenrechtsaktivistin und frühere Senatorin Piedad Córdoba, durch die Ermordung Canos sei eine weitere Freilassung von Gefangenen der FARC, über die ihre Organisation verhandelt habe, bis auf weiteres unmöglich gemacht worden. Sie sei zutiefst besorgt über den offensichtlichen Willen von Staatschef Santos, der militärischen Konfrontation Vorrang gegenüber Dialog und Verhandlungen einzuräumen. Der Regierung fehle es an einer wirklichen Friedenspolitik, sie wolle durch den Krieg lediglich ihre Privilegien und Gewinne bewahren.

In Kolumbien sind Lozano und Córdoba für ihre mutigen Äußerungen Ziel von Morddrohungen geworden. Vor allem über soziale Netzwerke im Internet versuchten Unterstützer der Regierung und des kolumbianischen Militarismus, die beiden Politiker einzuschüchtern.

Im Nachbarland Venezuela verurteilten führende Vertreter der dortigen Kommunistischen Partei (PCV) den Mord an Cano als eine weitere Stärkung der Gewalt im kolumbianischen Konflikt. Von seiten der regierenden Vereinten Sozialistischen Partei (PSUV) gibt es bislang keine Stellungnahme.

(Übersetzung: André Scheer)

** Aus: junge Welt, 7. November 2011


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