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FARC-Guerilla vor Wandel

Kolumbien nach dem Tod von Rebellenchef Manuel Marulanda

Von Tommy Ramm, Bogotá *

Mit dem Tod des greisen FARC-Chefs Manuel Marulanda, den die Guerilla am Sonntag (25. Mai 2008) offiziell bestätigte, geht eine Epoche der Rebellengruppe zu Ende.

Seit ihrer offiziellen Gründung 1964 überzogen die Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens (FARC) das Land mit einem Guerillakampf, der sich vorwiegend auf dem Land abspielte und nur selten die Metropolen Kolumbiens traf. Trotz mehrfacher Anschläge und zahlreicher Versuche, mit Milizen in den Städten politisch und militärisch Fuß zu fassen, konnten die FARC nie ihren Ruf ablegen, eine reine Bauernguerilla zu sein. Über Jahrzehnte formte sich so ein Land mit zwei Realitäten: Während die städtischen Zentren mit wenigen Ausnahmen als befriedetes Terrain galten, beherrschten die FARC weite Teile der ländlichen Gebiete Kolumbiens. Verantwortlich dafür war der nun verstorbene Pedro Antonio Marín alias Marulanda, der als »Urvater« der Revolutionären Streitkräfte die politischen und militärischen Geschicke der rund 15 000 Mann starken Truppe bis zuletzt in seinen Händen hielt.

Nun könnte sich der Charakter der FARC, die international wegen Verstrickungen in das Drogengeschäft und hunderten Entführungen in Verruf geraten sind, wandeln. Wie die Guerilla in einer Videobotschaft mitteilte, hat der 59-jährige Guillermo León Sáenz alias Alfonso Cano die Geschäfte übernommen. Und die dürften zukünftig verstärkt politischer Natur sein. Cano gilt innerhalb der FARC als Vertreter eines politischen statt eines militärischen Kurses. Zudem stammt er aus der städtischen Mittelschicht. Während Marulanda fast sein ganzes Leben im Untergrund verbrachte und kaum mehr als den kolumbianischen Urwald sah, gilt der Anthropologe Cano, der kürzlich von Präsident Alvaro Uribe als »Philosoph der FARC« bezeichnet wurde, als intellektuell versiert. Als »politisch orientiert, belesen und interessiert an Literatur und Wirtschaft« hat ihn der renommierte Soziologe und Kolumnist der Zeitung »El Espectador«, Alfredo Molano, in Erinnerung. Er lernte den neuen FARC-Chef in den 70er Jahren als Student kennen.

Glaubt man Molano, könnte der Tod von FARC-Kommandant Raúl Reyes, der am 1. März durch einen Angriff der kolumbianischen Armee auf ein Guerillalager in Ecuador ums Leben kam, den erwarteten Machtkampf zwischen den militärischen Falken und den Befürwortern eines stärker politischen Wirkens verhindert haben. Der radikal eingestellte Reyes galt als Widersacher Canos im Ringen um die Nachfolge Marulandas. Dagegen schließt der kolumbianische FARC-Kenner und Journalist Jorge Enrique Botero Turbulenzen innerhalb der FARC nicht aus. Auch er glaubt aber, dass mit Cano »eine neue Generation in der FARC das Sagen haben wird, die mehr auf Politik Wert legt und den Ton der Zeit von heute trifft«. Die FARC werden zwar weiterhin mit Radikalismus und gewohnter Härte auftreten, aber eher bereit sein für eine schnelle politische Lösung des langen bewaffneten Konflikts im Land.

In der FARC herrsche eine »Atmosphäre, um Wege zur Friedenssuche und zur Versöhnung auszuloten«, sagt Botero. Dies dürfte nicht zuletzt auf die Hiobsbotschaften der letzten drei Monate zurückzuführen sein. Mit Manuel Marulanda verlor die Guerilla ihren dritten und wichtigsten Kommandanten aus dem FARC-Sekretariat. Auch Cano scheint schon kurz nach seiner Ernennung seines Lebens nicht mehr sicher zu sein. Eine Offensive der Armee in Zentralkolumbien, die weiter anhält und bisher zehn Todesopfer forderte, soll laut Regierungsangaben das Ziel haben, den neuen FARC-Chef zur Strecke zu bringen.

* Aus: Neues Deutschland, 27. Mai 2008


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