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FARC für Sozialismus und Annäherung an die Europäische Union

Guerilla in Kolumbien ringt um internationale Anerkennung - Ein Exkusivartikel für eine deutsche Tageszeitung

Der folgende Beitrag wurde exklusiv für die Tageszeitung "junge Welt" verfasst. Sein Verfasser, Raul Reyes, ist Sprecher der Internationalen Kommission der Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (FARC). Diese Organisation wurde von der Europäischen Union auf die Liste der Terrororganisationen gesetzt. Sie teilt also das gleiche Schicksal wie beispielsweise Hamas in Palästina.
Eine solche Kennzeichnung ist problematisch, vor allem dann, wenn Friedensprozesse realistischerweise nur mit solchen Organisationen und ihren Anhängern erreicht werden können. Dass in diesem Fall von Seiten der FARC entsprechende Angebote vorliegen, unterstreicht der vorliegende Artikel, den wir hiermit im vollen Wortlaut dokumentieren.



Offen für den Dialog

Bewaffneter und sozialer Konflikt in Kolumbien ist nur lösbar, wenn Guerilla als Verhandlungspartner anerkannt wird – auch von der EU Von Raul Reyes *

Lateinamerika hat einen eigenen Weg eingeschlagen, fernab der kapitalistischen Dominanz. Angeführt wird dieser Trend von Venezuela. Dessen Regierung respektiert andere Staaten, statt sie anzugreifen. Die Einkommen aus dem venezolanischen Ölgeschäft fließen nicht mehr multinationalen Konzernen zu, sondern kommen den Menschen in der Region zugute. Diese Politik bricht radikal mit dem internationalen Trend. Denn seit die Sowjetunion Geschichte ist und die Berliner Mauer nicht mehr existiert, werden die sozialen Errungenschaften weltweit abgebaut. Und auch wenn die brutalen Gesetze des Neoliberalismus keine nationalen Grenzen kennen, muß vor allem der Süden unter ihnen leiden. Weshalb aber diskutieren die Staaten des Nordens dies nicht? Warum spricht dort niemand über die Folgen der Politik, die unseren Ländern seit kolonialen Zeiten aufgezwungen wird? Wer erkennt dort an, daß der brutale und ausbeuterische Kapitalismus nicht dadurch besser wird, daß uns Zeitschriften wie Forbes einmal jählich die Gewinner präsentieren?

Aus diesem Grund ist der Sozialismus nach wie vor eine historische Notwendigkeit. Deswegen verdienen Evo Morales und Rafael Correa, die Präsidenten von Bolivien und Ecuador, Unterstützung. Denn sie versuchen, neue Wege einzuschlagen, ohne daß die Reichtümer ihrer Länder von transnationalen Konsortien ausgebeutet werden. Die Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (FARC) verfolgen diese Entwicklung mit Sympathie und Hoffnung. Denn das ist es, wofür wir kämpfen. Davon zeugen zahlreiche unserer Konzepte und Initiativen: Unser Agrarprogramm ebenso wie der Zwölf-Punkte-Plan für Kolumbien oder die »Plattform für den nationalen Aufbau und die Aussöhnung«.

Diese Programme sollen zum Frieden in Kolumbien ebenso beitragen wie zur sozialen Gerechtigkeit. Um diese Ziele zu erreichen, sind wir auch zum Dialog mit der Europäischen Union bereit. Allerdings sind diese Kontakte durch die Aufnahme der FARC in die EU-Liste terroristischer Organisationen massiv behindert worden. Niemand kann offizielle Gespräche mit uns führen, weil wir nicht mehr als das wahrgenommen werden, was wir sind: eine Guerillaorganisation, deren legitimer Kampf sich gegen einen gewalttätigen Staat richtet.

Wir wissen natürlich von den Millionengeschäften, die europäische Unternehmen in unserem Land machen, und von den Gewinnen, die auf europäische Konten fließen. Trotzdem haben wir aus Europa nicht einen Vorschlag gehört, wie die Armut beseitigt werden kann, unter der 30 Millionen Kolumbianerinnen und Kolumbianer leiden. Wie kann verhindert werden, daß in Kolumbien auch künftig täglich Menschen sterben, weil sie sich eine Behandlung in den privaten Krankenhäusern nicht leisten können? Die Europäische Union schweigt nicht nur dazu, sondern auch zu den Kontakten, die Präsident ­Álvaro Uribe Vélez seit 25 Jahren mit der Drogenmafia unterhält, von deren Gewinnen der Paramilitarismus finanziert wird. Nur wenige Nichtregierungsorganisationen und nicht mehr als eine Handvoll Parlamentarier aus der EU klagen diese Situation an. Ansonsten herrscht ein komplizenhaftes Schweigen. Dabei sollte die Europäische Union jede Zusammenarbeit mit der kolumbianischen Regierung einstellen!

Die EU sollte sich darüber im klaren sein, daß wir als Guerilla wie eh und je agieren können. Wir werden weiter für eine Verbesserung der Lebensbedingungen der Bevölkerung kämpfen. Wenn das Europa der 27 zu einer Lösung des Konfliktes beitragen und weitere Tote sowie Massengräber verhindern will, dann muß es zu den FARC Kontakt aufnehmen. Der erste Schritt dahin ist, unsere Organisation von der »Terrorliste« zu streichen. Dann würde sie sich aus der selbstgewählten Isolation befreien, um sich für einen Austausch der Gefangenen zwischen der Regierung in Bogota und der Guerilla zu engagieren. Und vielleicht könnte sie damit sogar zum Frieden beitragen.

* Raul Reyes, Sprecher der Internationalen Kommission der Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (FARC), verfaßte den Beitrag exklusiv für jW.
Übersetzung und Bearbeitung: Harald Neuber

Aus: junge Welt, 26. Oktober 2007


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