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FARC wollen reden

Kolumbien: Guerilla hält französischen Journalisten fest. Diskussion über Pressefreiheit gefordert

Von Santiago Baez *

In Kolumbien zeichnet sich offenbar eine rasche Lösung des Dramas um einen französischen Journalisten ab, der von Einheiten der FARC-Guerilla gefangengenommenen wurde. Der in dem südamerikanischen Land lebende britische Journalist Kar Penhaul sagte am Montag (Ortszeit) dem Fernsehsender TeleSur, er habe direkten Kontakt mit führenden Angehörigen der FARC gehabt. Diese hätten ihm bestätigt, daß sich Roméo Langlois, der für den Fernsehsender France 24 arbeitet, in ihrer Gewalt befinde. Man wolle ihn jedoch nicht länger festhalten, sondern sei bereit, ihn zügig freizulassen.

Langlois war Ende April in die Gewalt der Aufständischen geraten, als er über Gefechte zwischen diesen und Regierungstruppen berichten wollte. Laut Angaben der FARC hatte er sich in den Reihen der Soldaten aufgehalten und eine Militäruniform getragen, so daß er für die Guerilleros nicht als Journalist erkennbar gewesen und deshalb zunächst als Kriegsgefangener betrachtet worden sei. In diesem Zusammenhang forderten die FARC in einem am Montag verbreiteten Kommuniqué eine landesweite und internationale Diskussion über die Pressefreiheit in Kolumbien. Hintergrund dafür dürfte auch der Fall des Chefredakteurs der alternativen kolumbianischen Nachrichtenagentur ANNCOL, Joaquín Pérez Becerra, sein, der im vergangenen Jahr in Venezuela festgenommen und an Bogotá überstellt worden war. Mitte April hat dort der Prozeß gegen den Journalisten begonnen, dem die Staatsanwaltschaft vorwirft, als »Europavertreter der FARC« agiert zu haben. Die Verteidigung weist dies zurück. Pérez Becerra sei lediglich Redakteur einer linken Internetseite und kein Mitglied der Guerilla gewesen, erklärten die Anwälte und stützten sich dabei auf Zeugen aus Chile, Venezuela und Schweden.

»Ich glaube, Roméo wäre der erste, der sich an einer Diskussion über Pressefreiheit beteiligen würde«, sagte Penhaul zu der Forderung der FARC. Reporter, die über den bewaffneten Konflikt in dem südamerikanischen Land berichten wollten, seien Druck »von beiden Seiten« ausgesetzt, auch Regierungsstellen würden Journalisten bedrohen. Allerdings könne eine solche Debatte von den FARC nicht zur Bedingung für die Übergabe ihres Gefangenen gemacht werden.

In den vergangenen Tagen hatte es zunächst Verwirrung um eine erste Erklärung gegeben, die von der Guerilla stammen sollte. Im Internetportal Youtube war am Sonntag ein Video veröffentlicht worden, in dem ein junger Uniformierter ein Kommuniqué verliest und sich darin zur Gefangennahme des Franzosen bekennt. Der Guerilla politisch nahestehende Medien wie der von Stockholm aus arbeitende Rundfunksender Radio Café Stereo äußerten Zweifel an der Authentizität der Aufnahme. Die Veröffentlichung eines Videos auf diesem Weg sei bislang von den Aufständischen noch nie zur Verbreitung derartiger Erklärungen benutzt worden. Außerdem sei sehr ungewöhnlich, daß sich der mutmaßliche Kommandeur mit echtem und Decknamen vorgestellt habe und das angebliche Kommuniqué von den Befehlshabern einer Front und nicht, wie üblich, vom Sekretariat der FARC unterzeichnet worden sei.

Der Informationsdienst Resumen Latinoamericano fügte hinzu, daß das angebliche FARC-Kommuniqué zudem zuerst von der kolumbianischen Regierung und dieser nahestehenden Medien verbreitet worden sei, während die Homepage von ANNCOL, die normalerweise als erste die Erklärungen der Guerilla verbreitet, »ganz zufällig« gerade jetzt wegen eines Hackerangriffs vom Netz genommen werden mußte.

Der Chefredakteur der linken Wochenzeitung Voz, Carlos Lozano, forderte die FARC auf, den Journalisten sofort freizulassen. Er gehe davon aus, daß das Rote Kreuz und die französische Botschaft in Bogotá bereits »diskret« die notwendigen Schritte dazu eingeleitet hätten. Es komme nun darauf an, daß die kolumbianische Regierung alle Militäroperationen in dem Gebiet einstelle, in dem Langlois vermutlich festgehalten wird, um dessen Übergabe nicht zu gefährden.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 9. Mai 2012


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