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Guerillas auf Versöhnungskurs

In Kolumbien ziehen FARC und ELN nach langer Zeit an einem Strang

Von Jürgen Vogt, Buenos Aires *

Vor den neuerlichen Friedensgesprächen der kolumbianischen Regierung mit der FARC-Guerilla, haben sich die zwei Rebellengruppen FARC und ELN ausgesöhnt. Das gilt als erster Schritt zu einer umfassenden friedlichen Einigung mit der Regierung.

Sie sind die beiden letzten verbliebenen Guerillagruppen Kolumbiens: die Bewaffneten Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (FARC) und das Heer der Nationalen Befreiung (ELN). Zwar verfolgen sie beide das Ziel, mit den tradierten oligarchischen Verhältnissen in Kolumbien zu brechen, doch gemeinsame Sache war ihr Ding bisher nicht. Nun haben sie sich pünktlich zum Beginn der zweiten Runde der Friedensgespräche in Havanna zwischen der kolumbianischen Regierung und der FARC angenähert. Nach einem »Gipfeltreffen der Kommandanten« unterstützt die FARC die Forderung der ELN nach einem Platz am Verhandlungstisch.

Das Treffen der obersten Kommandanten beider Guerillas solle »die Fortschritte im einheitlichen Prozess der Guerilla- und revolutionären Bewegung unseres Landes stärken«, hieß es in einer am Montag auf der Internetseite der FARC veröffentlichten Erklärung. Man habe versucht, die Differenzen und das Aufeinanderlosschlagen der Vergangenheit zu überwinden.

Seit November 2012 verhandeln Regierung und FARC in der kubanischen Hauptstadt Havanna über ein Friedensabkommen. Der Konflikt zwischen dem kolumbianischen Staat und der FARC begann 1964. Schätzungen zufolge haben die militärischen Auseinandersetzungen und unzähligen Anschläge, an denen auch andere Guerillagruppen und rechte Paramilitärs beteiligt sind, insgesamt mehr als 200 000 Menschenleben gefordert.

Die ELN ist mit ihren geschätzten 2500 Kämpfern kleiner als die FARC, deren Stärke auf rund 8000 Rebellen geschätzt wird. Sie forderte bereits mehrfach, am Verhandlungstisch zugelassen zu werden. Noch im vergangenen April hatte Kolumbiens Präsident Juan Manuel Santos erklärt, er erwarte »eher früher als später«, dass der Dialog auch mit der ELN beginne. Passiert war seither nichts.

Jegliche Lösung des Konflikts auf dem Weg des Dialogs sei nur durch Gespräche mit allen kolumbianischen Aufständischen denkbar. Das ist die wichtigste Aussage in der von FARC-Chef Timoleón Jiménez und dem Chef der ELN, Nicolás Rodríguez, unterzeichneten Erklärung. Zwar wird die kolumbianische Regierung nicht ausdrücklich als Adressat genannt, zweifellos richtet sich die Botschaft aber in erster Linie an Staatspräsident Juan Manuel Santos.

Die Zeit läuft gegen die ELN. Sechs Monate nach Verhandlungsbeginn hatten Regierung und FARC Ende Mai eine Einigung in der wichtigen Frage der Landreform verkündet. Damit ist der erste der fünf Punkte auf der Tagesordnung abgearbeitet. Seit Montag geht es um die mögliche Umgestaltung der FARC in eine politische Partei und die damit verbundene Entwaffnung der Guerillagruppe samt Sicherheitsgarantien. Eine auch für die ELN überlebensnotwendige Frage.

Die gemeinsame Erklärung von FARC und ELN zeigt, wie sehr sich die Lage in Kolumbien gewandelt hat. Noch 2006 hatte die FARC die ELN auf das Heftigste bekämpft. Einer der Gründe war die Bereitschaft der ELN zu Friedensverhandlungen mit der damaligen Regierung.

Unterdessen sind der Leiter der FARC-Delegation bei den Friedensgesprächen mit der kolumbianischen Regierung, Iván Márquez, und der Oberkommandierende der Rebellen, Timoleón Jiménez, in Abwesenheit in Kolumbien zu 40 Jahren Gefängnis verurteilt worden. Dies gab der Sondergerichtshof von Villavicencio im Departamento Meta dieser Tage bekannt. Sie wurden eines Angriffs der Rebellen im Jahr 2003 für schuldig befunden. Dabei wurden vier Menschen getötet und 30 zum Teil schwer verletzt. Das Urteil lautet auf »Terrorismus, Rebellion und Mord«. Ob dieser Schuldspruch die Friedensverhandlungen gefährdet, ist nicht absehbar.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 4. Juli 2013


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