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Mafia in Zulia

Drogenbanden und Paramilitärs operieren im Grenzgebiet zwischen Venezuela und Kolumbien

Von André Scheer *

In Venezuela hat die Festnahme eines der meistgesuchten Drogenbosse Kolumbiens zu heftigem Streit zwischen Oppositionspolitikern und der Regierung in Caracas geführt. Diego Pérez Enao alias Diego Rastrojo, der als »Nummer drei« der tief in den Drogenhandel verstrickten paramilitärischen Gruppe »Los Rostrojos« gilt, war am Sonntag im Bundesstaat Barinas festgenommen worden. Venezuelas Innenminister Tareck El Aissami erklärte daraufhin gegenüber dem staatlichen Fernsehen VTV, der Fahndungserfolg sei das Ergebnis geheimdienstlicher Ermittlungen gewesen, die durch Hinweise der kolumbianischen Regierung möglich geworden seien. »Einmal mehr hat Venezuela damit seine operativen Fähigkeiten und die Stärke seiner demokratischen staatlichen Institutionen, die unerschütterliche Moral der Nationalen Bolivarischen Streitkräfte und seiner Sicherheitsorgane unter Beweis gestellt«, jubelte El Aissami.

Der Gouverneur des an der Grenze zu Kolumbien gelegenen Bundesstaates Zulia, Pablo Pérez, sprach hingegen von einem »Eigentor« der venezolanischen Regierung, weil die Verhaftung auf venezolanischem Staatsgebiet stattgefunden habe, »im Bezirk Rojas, nur 15 Minuten vom Geburtsort des Präsidenten Chávez und 45 Minuten vom Regierungssitz seines Bruders Adán Chávez entfernt.« Dabei streite die Regierung in Caracas doch immer ab, daß illegale kolumbianische Kräfte auf venezolanischem Staatsgebiet operierten. Pablo Pérez hatte eigentlich bei den Präsidentschaftswahlen am 7. Oktober gegen Hugo Chávez antreten wollen, war bei den Vorwahlen der Opposition allerdings mit nur 30,3 Prozent klar gegen Henrique Capriles Radonski unterlegen.

Tatsächlich hat die Regierung immer wieder auf die Präsenz bewaffneter Gruppen in dem Gebiet aufmerksam gemacht. So erklärte 2009 der damalige Landwirtschaftsminister und heutige Vizepräsident Elías Jaua: »Wir haben keinen Zweifel, daß es einer großen Gruppe von Paramilitärs gelungen ist, sich im Staat Zulia festzusetzen.«

Der Vorwurf einer Zusammenarbeit der venezolanischen Regierung mit kolumbianischen Untergrundorganisationen, besonders mit der FARC-Guerilla, wird von den Regierungsgegnern seit dem Amtsantritt von Präsident Hugo Chávez 1999 erhoben. Dieser betont dagegen immer wieder, daß das Eindringen illegaler Gruppen aus Kolumbien in Venezuela nicht toleriert werde. Völlig verhindern kann das angesichts der schwer überschaubaren grünen Grenze zwischen den beiden Ländern jedoch niemand.

Tatsächlich tummeln sich ganz andere Gruppen als die hier zuletzt geschwächten Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens in der Grenzregion. Darauf hat eine im Mai erschienene Untersuchung der Stiftung Arco Iris (Regenbogen) in Bogotá hingewiesen. Die Organisation gilt als eine der wichtigsten unabhängigen Instanzen bei der Beobachtung des Bürgerkriegs in Kolumbien. Der in Buchform bei Random House Mondadori erschienenen Studie zufolge sind nicht die FARC die dominante Gruppierung in dem Gebiet, sondern gerade »Los Rastrojos«, deren Chef jetzt von den venezolanischen Behörden gefaßt wurde. »Sie kontrollieren auf kolumbianischer Seite Alto Guajira und (in Venezuela) fast den gesamten Staat Zulia, einschließlich dessen Hauptstadt Maracaibo. Ebenso dominieren sie einen Großteil von Táchira, obwohl sie sich in dieser Zone mit den ›Urabeños‹ um die Vorherrschaft streiten«, heißt es in dem Rapport. Zudem hätten sich dort jüngst auch Drogenkartelle wie die mexikanischen »Zeta« festgesetzt. Wie Zulia wird auch Táchira von einem Gouverneur regiert, der in scharfer Opposition zur Zentralregierung in Caracas steht. Für Arco Iris ist in dieser Region ein »virtueller Mafia­staat« entstanden, in dem sich »die Aktionen des organisierten Verbrechens nicht von denen unterscheiden, die die Institutionen vorantreiben«. In den vergangenen zehn Jahren seien in dem Gebiet mehr als 30000 Morde registriert worden, mit Benzinschmuggel über die Grenze nach Kolumbien werde jährlich eine halbe Milliarde US-Dollar verdient.

Für den kolumbianischen Journalisten Jorge Enrique Botero ist »sehr wahrscheinlich«, daß an diesen Geschäften auch führende Persönlichkeiten der venezolanischen Opposition beteiligt sind. Dafür sprächen auch die jüngsten Treffen von deren Vertretern mit dem früheren kolumbianischen Präsidenten Álvaro Uribe, sagte er am Sonntag im Gespräch mit dem staatlichen Fernsehen VTV. Dessen Verbindungen mit Paramilitärs und Drogenbanden sei erwiesen. So habe Uribe selbst in Antioquia an der Gründung einer paramilitärischen Gruppe mitgewirkt, die von seinem Bruder Santiago geführt wurde. »Außerdem gibt es umfangreiche Belege und Beweise für die engen Bande der Familie Uribe mit dem Drogenhandel und Paramilitarismus.«

Trotzdem sieht sich die regierende Vereinte Sozialistische Partei Venezuelas (PSUV) im Kampf gegen die Drogenkriminalität auf einem guten Weg. Insbesondere seit Caracas 2007 die Zusammenarbeit mit der US-Antidrogenbehörde DEA aufgekündigt habe, seien schwere Schläge gegen die organisierte Kriminalität gelungen. Venezuela hatte die Nordamerikaner des Landes verwiesen, nachdem deutlich geworden war, daß sich diese selbst am Drogenschmuggel beteiligt hatten, um dadurch – so die eigene Darstellung – auf die Spur der Hintermänner zu kommen. Dies habe aber weder zur Zerschlagung von kriminellen Banden noch zur Verhaftung von Verdächtigen geführt, kritisierte damals die venezolanische Botschaft bei der EU in Brüssel in einer Erklärung: »Die umfangreichen Untersuchungen durch die venezolanischen Behörden haben ergeben, daß sich die DEA zu einem neuen Kartell entwickelt hat, das die Verschickung der Drogen ins Ausland monopolisiert hat.«

* Aus: junge Welt, Mittwoch 6. Juni 2012


Auf der Todesliste

Kolumbiens Paramilitärs wollen linken Journalisten ermorden lassen

Von Modaira Rubio, Caracas **


In Kolumbien wird der Chefredakteur der kommunistischen Wochenzeitung Voz, Carlos Lozano, wieder akut von paramilitärischen Gruppen mit dem Tod bedroht. Wie der Journalist am Montag (Ortszeit) in einer Pressemitteilung informiert, habe das rechtsextreme Drogenkartell »Los Urabeños« – benannt nach dem Golf von Urabá an der Grenze zu Panama – eine Gruppe von Auftragskillern in Bogotá mit seiner Ermordung beauftragt und dieser dafür bereits 200000 US-Dollar bezahlt. Diese Information habe er aus einer »unbedingt zuverlässigen Quelle« erhalten, so Lozano.

Er gehe davon aus, so Lozano weiter, daß der drohende Anschlag Teil der gegenwärtigen Kampagne von Drohungen und Einschüchterungen gegen Aktivisten der im April gegründeten Organisation »Marcha Patriótica« sei. Staatschef Juan Manuel Santos hatte der neuen Gruppierung vorgeworfen, als legaler Arm der FARC-Guerilla zu dienen. Damit stelle er sich in den Dienst der extremen Rechten und der Feinde des Friedens, so Lozano. »Ratsamer wäre, die Demokratie zu stärken und den Oppositionellen und Regimekritikern, die jedes Recht haben, sich um fortschrittliche Veränderungen zu bemühen, Garantien zu gewähren«, richtete Lozano einen Aufruf an die Regierung. Er selbst werde sich der Gefahr nicht beugen: »Mir bleibt nur, die Verbrecher, die meine Ermordung angeordnet haben, zu warnen: Sie werden mich nicht einschüchtern und zum Schweigen bringen können. Wir bleiben fest an der Seite der Kolumbianerinnen und Kolumbianer und setzen uns weiter für ein besseres Morgen in unserem Heimatland ein.«

** Aus: junge Welt, Mittwoch 6. Juni 2012


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