In Kirgistan wächst die Wut
Fünf Jahre nach der "Tulpenrevolution"
Von Irina Wolkowa, Moskau *
Es waren westliche Medien, die den Aufruhr der mit halbkriminellen Elementen verbündeten Clans aus dem Süden Kirgistans im März 2005 zur »Revolution der Tulpen« hochjubelten. Deren 5. Jahrestag würdigten sie mit keiner Zeile. Denn selten lagen die »Experten« so komplett daneben mit ihren Prognosen wie in der zentralasiatischen Republik an der Grenze zu China.
Zwar hatte auch der am 24. März 2005 gestürzte und ins russische Exil gezwungene Präsident Askar Akajew einen Hang zu autoritärem Regierungsstil erkennen lassen. Zumal er wegen Korruption und Vetternwirtschaft zunehmend unter Druck geriet. Vor Behinderungen von Medien, Zivilgesellschaft und politischer Opposition schreckte der ehemalige Wissenschaftler dennoch zurück.
Akajew behauptet, eben diese vergleichsweise liberale Atmosphäre hätte die USA inspiriert, mit Hilfe nichtstaatlicher Organisationen, die der damaligen Bush-Regierung nahe standen, einen Machtwechsel vorzubereiten. Washington habe sich davon Vorbildwirkung und prowestliche Regierungen in der gesamten Region versprochen, um diese als Aufmarschbasis für den Krieg in Afghanistan nutzen und gegen Russland in Stellung bringen zu können.
Heraus kam das Gegenteil. Westliche Demokratie, erklärte der von der »Revolution« an die Macht gespülte kirgisische Präsident Kurmanbek Bakijew am Vorabend des fünften Jahrestages, sei ineffizient und passe nicht für alle. Kirgistan müsse auf eigene Traditionen zurückgreifen. Auf eine Demokratie, an der das Volk lediglich mit beratender Stimme beteiligt ist.
Eigens um der Republik das neue Schema der Gewaltenteilung aufzupfropfen hatte Bakijew dazu in der Hauptstadt Bischkek ein Kurultai – eine Versammlung der Stämme – einberufen. Die Opposition war zwar geladen, verweigerte jedoch die Beteiligung ebenso wie eine Zustimmung. Mehr noch: Führende Regimekritiker hatten schon zu Wochenbeginn eine Gegenversammlung und ein Protestmeeting veranstaltet, bei dem die Polizei über 50 Teilnehmer verhaftete. Dennoch sind für die nächsten Tage weitere Proteste gegen den Rückbau der Demokratie und gegen Massenelend geplant. Denn die Wut wächst.
Angetreten als Reformer, der durch Verfassungsänderungen wesentliche Kompetenzen des Präsidenten an das Parlament abgeben wollte, hat Bakijew ein autoritäres Regime errichtet, das sich kaum noch von dem im benachbarten Usbekistan unterscheidet. Oppositionelle Zeitungen werden geschlossen, der Druck auf Journalisten und Bürgerrechtler wächst, dazu kommen schlechte Wirtschaftsdaten und gravierende soziale Probleme. Und statt der Familie Akajews, der Tochter Bermet als Nachfolgerin installieren wollte, kontrolliert jetzt der Bakijew-Clan alle einträglichen Unternehmen. Vor allem durch Maxim, den ältesten Sohn des Staatschefs, der seinen vater offenbar auch politisch beerben soll.
Gleichzeitig wachsen die Spannungen zu den Nachbarn. Der Grund ist der Streit um Zugriff auf die ungleich verteilten Wasser- und Energieressourcen Zentralasiens. Heimlicher Gewinner sind die Fundamentalisten. Nach Meinung von Experten schreitet die Islamisierung in keiner anderen ehemaligen Sowjetrepublik derartig rasant voran wie in Kirgistan, wo die Mehrheit der Bevölkerung mit Religion bisher wenig am Hut hatte. Inzwischen favorisieren sogar Studenten einen islamischen Staat. Die Mehrheit sieht, wie Umfragen ergaben, zwar die Türkei oder Malaysia als Vorbild, immerhin 14 Prozent aber Iran. Weil die weltliche Opposition an den Rand gedrängt ist, werden auch Forderungen nach einem politischen Islam und nach Parteien auf religiöser Grundlage immer lauter.
* Aus: Neues Deutschland, 26. März 2010
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