Bakijew ist des Sieges gewiss
Am Tienschan hat sich seit der "Tulpenrevolution" wenig verändert
Von Irina Wolkowa, Moskau *
Sechs Kandidaten gehen heute (23. Juli) bei den Präsidentenwahlen in Kirgistan ins Rennen. Ernstliche Hoffnungen, Amtsinhaber Kurmanbek Bakijew zu beerben, kann sich keiner der Herausforderer machen.
Der Shogorku Kenesh - das Parlament Kirgistans - begründete die Vorverlegung der ursprünglich erst im Jahre 2010 fälligen Präsidentschaftswahlen mit Verfassungsänderungen und einem entsprechenden Urteil des Obersten Gerichts. Kenner der Region sagen indes, kein anderer als Bakijew selbst habe auf die Vorverlegung der Wahlen Wert gelegt. Zum einen, weil die internationale Wirtschafts- und Finanzkrise, von der die arme Republik an der Grenze zu China schon jetzt hart betroffen ist, ab Herbst weiter an Tempo gewinnen dürfte. Vor allem aber habe Bakijew mit der Vorverlegung des Wahltermins die Spaltung der Regierungspartei Ak Dschol (Lichter Weg) verhindern wollen. Die kontrolliert 71 der insgesamt 90 Sitze im Parlament und kann damit alle Vorlagen des Präsidenten und der Regierung problemlos durchwinken. Diese Mehrheit war jedoch durch den Frontenwechsel Medet Sadyrkulows gefährdet. Der Chef der Präsidialverwaltung - graue Eminenz der kirgisischen Politik - war im Januar von allen Ämtern zurückgetreten und hatte der Opposition Unterstützung bei der Entmachtung Bakijews zugesagt. Ihm schlossen sich weitere Ak-Dschol-Vertreter an.
Sadyrkulow kam am 13. März bei einem Autounfall nahe Bischkek ums Leben. Die Opposition wähnte einen politischen Mord. Dadurch verschärften sich die Spannungen in dem Land, das seit März 2005 kaum zur Ruhe gekommen ist. Eine vom Westen zur »Tulpenrevolution« hochgejubelte Revolte von Clans aus der südlichen Landeshälfte hatte den damaligen Präsidenten Askar Akajew in die Flucht geschlagen und Bakijew an die Macht gespült. Mit Versprechen, den Konflikt zwischen den Regionen zu beenden und durch Verfassungsänderungen die Macht des Präsidenten zugunsten des Parlaments zu beschneiden, fuhr er im Juli 2005 bei Präsidentenwahlen fast 89 Prozent aller Stimmen ein. Bakijew hielt sich jedoch nicht an seine Versprechen. Zunächst entließ er Premier Felix Kulow, den Vertreter der nördlichen Clans, obwohl er ohne die Stimmen der Gefolgsleute Kulows nie gewählt worden wäre. Dann überwarf er sich mit Teilen seiner Anhängerschaft, weil er vereinbarte Termine für die Vorlage eines neuen Verfassungsentwurfs nicht einhielt und die schließlich vorgelegte Fassung anders ausfiel als abgemacht. Die Mehrheit der »Tulpenrevolutionäre« bildete daraufhin eine neue Opposition. Deren Protestmeetings führten zuweilen bis an den Rand eines Bürgerkriegs. Zusätzlich brachte die Opposition in Rage, dass Kirgistan dem Club der weltweit ärmsten Staaten aus Prestigegründen nicht beigetreten war. Dieser Club hatte sich 2006 gegründet, um einen Teilschuldenerlass seiner Gläubiger zu erwirken.
Bakijew sitzt dennoch fest im Sattel und setzte im Wahlkampf eher auf Angriff, denn auf Verteidigung. Die Opposition ist zerstritten, die Parteien und ihre Führer haben keine schlüssigen Programme. Die meisten sind ohnehin lediglich Interessenvertreter regional organisierter Clans. Eine »Vereinigte Nationale Bewegung« hat sich zwar auf die Kandidatur Almasbek Atambajews verständigt, und der gibt sich überzeugt von seinem Sieg, doch als ehemaliger Ministerpräsident unter Bakijew gehört auch er zur alten Politikergarde.
Bakijew weiß den Unternehmerverband, die Kommunisten und sogar die Partei Felix Kulows - Ar Namys - hinter sich. Und er genießt die Unterstützung Russlands, auch im Konflikt um den Verlauf der Grenze zu Usbekistan im übervölkerten Fergana-Tal und im Streit um Wasser, der Anfang Juni zu örtlichen bewaffneten Auseinandersetzungen mit Toten und Verletzten eskalierte. Im übrigen fand die Regierung trotz Krise die Mittel, um auf Anregung des amtierenden Präsidenten Bakijew die Renten pünktlich zum 1. Juli um durchschnittlich 50 Prozent anzuheben.
* Aus: Neues Deutschland, 23. Juli 2009
Daten
-
Die Kirgisische Republik zählt 5,3 Millionen Einwohner, davon 65 Prozent ethnische Kirgisen. Größere Minderheiten bilden Usbeken und Russen.
-
Das Tienschan-Gebirge mit seinen mehr als 7000 Meter hohen Gipfeln trennt den Norden vom Süden des Landes. Erst seit 2003 ist die Hauptstadt Bischkek durch eine ganzjährig nutzbare Straße mit Osch im Süden verbunden.
-
Nach Regierungsangaben vom März lag das monatliche Durchschnittseinkommen bei 5351 Som (95 Euro). 35 Prozent der Bevölkerung lebten unter der offiziellen Armutsgrenze von 963 Som (16 Euro). Nachdem Arbeitsmigranten 2008 noch mehr als 870 Millionen Dollar zur Unterstützung ihrer Familien in die Heimat überwiesen hatten, wird im Gefolge der Wirtschaftskrise ein empfindlicher Rückgang der Überweisungen erwartet.
Wahl in Kirgisien: „Es wird Krawalle geben“ (Überblick)
Die kirgisische Opposition hat den Ausgang der Präsidentenwahl am Donnerstag (23. Juli) nicht akzeptiert. Als sich ein klarer Sieg des derzeitigen Staatschefs abzeichnete, riefen Oppositionsführer zu Massenprotesten auf.
Der Chef der kirgisischen Wahlbehörde, Damir Lissowski, sagte am späten Donnerstagabend, die Wahlbeteiligung habe nach vorläufigen Angaben bei ca. 79 Prozent gelegen.
Noch bevor das offizielle Wahlergebnis bekannt gegeben wurde, meldete die kirgisische Agentur KABAR am Donnerstagabend unter Berufung auf die so genannten Exit-Polls, der derzeitige Staatschef Kurmanbek Bakijew habe 67 Prozent der Stimmen erhalten. Der oppositionelle Spitzenkandidat Almasbek Atambajew bekomme 12,7 Prozent.
Der russische Experte Alexej Wlassow, der ein analytisches Zentrum für den postsowjetischen Raum an der Moskauer Lomonossow-Universität leitet, bezeichnete den Wahlausgang als „voraussagbar“.
Die Opposition habe kaum Siegeschancen gehabt. Die regierende Elite sei heute im Gegensatz zu der „Tulpenrevolution“ von 2005 nicht gespalten. Präsident Bakijew habe außerdem mit einer spektakulären Wahlkampagne aufgetrumpft, indem sich die Opposition meistens auf Flugblätter beschränkt habe.
„Es wird zwar Krawalle geben, es gibt jedoch weder objektive noch subjektive Voraussetzungen für eine Volksrevolution“, sagte Wlassow zu RIA Novosti.
Das kirgisische Innenministerium meldete am Donnerstagnachmittag, dutzende Anhänger der oppositionellen Sozialdemokratischen Partei hätten versucht, ein Wahllokal und etwas später auch das Bürgermeisteramt der Stadt Balyktschi zu stürmen. Die Polizei habe Blendgranaten eingesetzt und einige Aktivisten, unter ihnen zwei Abgeordnete des kirgisischen Parlaments, vorübergehend festgenommen.
Die Opposition berichtete über massive Manipulationen. Tatsächlich wurden gefälschte Wahlzettel in einem Wahllokal in der Hauptstadt Bischkek entdeckt. Die Ergebnisse der Abstimmung wurden dort annulliert.
Oppositionskandidat Atambajew bezeichnete die Wahl als illegitim und rief seine Anhänger auf, sich zu einer Großkundgebung in Bischkek zu versammeln.
** Aus: Russische Nachrichtenagentur RIA Novosti, 23. Juli 2009; http://de.rian.ru
Zurück zur Kirgistan-Seite (Kirgisien)
Zurück zur Homepage