Neue Unruhen in Kirgisstan
20 Tote bei mehreren Gefängnisrevolten
Von Irina Wolkowa, Moskau*
Mindestens 20 Menschen starben gestern früh [1. November 2005] bei der Niederschlagung einer Meuterei in Strafkolonien der ehemaligen Sowjetrepublik Kirgisstan. So jedenfalls die Berichte russischer
Medien. In Bischkek dagegen ist lediglich von zwei Toten die Rede. Auch lehnte die dortige Regierung bisher jeden Kommentar zu den Vorgängen ab. Aus verständlichen Gründen: Der Aufstand ist mehr als eine bloße Revolte von Gefangenen, die angeblich gegen unzumutbare
Haftbedingungen protestieren. Die Unruhen sind vielmehr neuer Höhepunkt innenpolitischer Auseinandersetzungen in der Republik, die nach dem Umsturz Ende März nicht zur Ruhe kommt.
Der Grund: Kriminelle Elemente, die Wirtschaft und Finanzen des Landes kontrollieren und
maßgeblich am Sturz von Präsident Askar Akajew beteiligt waren, fordern als Gegenleistung für
ihren Anteil an der so genannten Revolution der Tulpen Beteiligung an der politischen Macht. Vor
allem durch das Parlament. Dort stellt diese Gruppierung inzwischen die mit Abstand stärkste
Fraktion und trägt Differenzen zunehmend mit der Waffe aus. Immerhin starben bei
Auseinandersetzungen rivalisierender Gangs seit März bereits drei Parlamentarier.
Die Spannungen eskalierten bereits am 20. Oktober, als vier Abgesandte der Regierung bei
Verhandlungen mit meuternden Häftlingen in einer Vollzugsanstalt bei Bischkek gekidnappt und
umgebracht wurden. Darunter auch der Abgeordnete Tynytschbek Akmatbajew. Er ist der Bruder
eines landesweit bekannten Mafia-Bosses, gegen den mehrere Verfahren anhängig sind. Der Clan
der Brüder macht für den Anschlag Premier Felix Kulow verantwortlich. Dieser drängt seit
Amtsübernahme im August Präsident Kurmanbek Bakijew zu einer härteren Gangart gegenüber
dem organisierten Verbrechen. Nun wird im Parlament Kulows Entlassung gefordert. Mehrere
Hundert Protestierende kampieren in Zelten, in denen es sogar Strom und Biotoiletten gibt, im
Zentrum von Bischkek und wollen dort bis zum Abschluss der Untersuchungen ausharren, die
Bakijew Ende Oktober gegen Kulow anordnete. Auch im Süden, wo die »Revolution« im März
begann, rotten sich die Massen erneut zusammen.
* Aus: Neues Deutschland, 2. November 2005
Letzte Meldung:
Am 7. November meldete AFP: "Die Häftlingsrevolten in Kirgisien sind nach einer Woche offenbar beendet. Zahlreiche Gefangene seien einem Aufruf der Vollzugsbehörden gefolgt, ihre Waffen freiwillig herauszugeben, teilte ein Sprecher am Montag in der Hauptstadt Bischkek mit. Die Regierung hatte die Häftlinge ultimativ aufgefordert, die Anfang November begonnenen Revolten und Hungerstreiks bis zum Sonntag abzubrechen. Die Lage normalisiere sich, sagte der Sprecher der Vollzugsbehörden. Herausgegeben wurden demnach Messer, jedoch keine Schusswaffen. Die Behörden wollten außerdem die Herausgabe von Drogen und Mobiltelefonen erreichen."
Zurück zur Kirgistan-Seite
Zurück zur Homepage