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Tote bei Unruhen in Kirgistan

Kämpfe zwischen rivalisierenden Bevölkerungsgruppen

Bei Kämpfen zwischen rivalisierenden Bevölkerungsgruppen im zentralasiatischen Kirgistan sind mindestens 37 Menschen getötet und mehr als 300 weitere verletzt worden.

Die Unruhen begannen nach offiziellen Angaben in der Nacht zum Freitag in Osch im Süden, der früheren Hochburg von Expräsident Kurmanbek Bakijew. Die Regierung rief den Ausnahmezustand in den Unruhegebieten aus und verhängte eine nächtliche Ausgangssperre. Campact - Energiewende

Hauptschauplatz der Ausschreitungen zwischen Kirgisen und Usbeken war die Stadt Osch. Laut Zeugenberichten versammelten sich am Donnerstagabend Hunderte mit Stöcken und Steinen bewaffnete Jugendliche im Zentrum der Stadt, warfen die Scheiben von Geschäften und Wohnhäusern ein und steckten Autos in Brand. Auch in den benachbarten Bezirken Karasu, Arawan und Usgen gab es demnach Kämpfe. Die Ausschreitungen seien ethnisch motiviert, sagte ein Regierungssprecher. Es seien gepanzerte Fahrzeuge nach Osch geschickt worden, um wieder Ruhe herzustellen.

Offenbar herrschte jedoch weiter Chaos. Zeugen berichteten am Telefon, in Osch werde geschossen. Kampfhubschrauber kreisten über der Innenstadt. Eine Mitarbeiterin der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch sagte der Nachrichtenagentur AFP, sie komme nicht aus Osch heraus. »Es gibt keine Flüge, keine Autos, keinen öffentlichen Nahverkehr. Es wird immer noch geschossen.« Die Ausgangssperre von 20 bis 6 Uhr solle bis zum 20. Juni gelten, erklärte die Interims-Regierungschefin Rosa Otunbajewa am Freitag. Sie räumte ein, die Lage sei weiterhin gespannt.

Bakijew war Anfang April gestürzt worden, im Zuge der Unruhen kamen 87 Menschen ums Leben. Der Expräsident floh ins Exil nach Belarus, die Übergangsregierung vermutet ihn inzwischen in der Türkei. Otunbajewa will nun neue Präsidentin des Landes werden, die für den Herbst geplanten Wahlen wurden jedoch nach gewaltsamen Demonstrationen im Mai wieder abgesagt. In etwa zwei Wochen soll zudem ein Referendum über die Verfassung abgehalten werden. Otunbajewa hat es allerdings nicht geschafft, Ruhe in das verarmte Land zu bringen.

Russlands Präsident Dmitri Medwedjew äußerte in Taschkent (Usbekistan) die Hoffnung, dass die Phase der Unruhe so schnell wie möglich befriedet werde.

* Aus: Neues Deutschland, 12. Juni 2010


Moskau sieht von Eingriff in Kirgistan ab - Kreml-Sprecherin Timakowa **

Russland sieht im Moment laut Kreml keine Voraussetzungen für einen Eingriff zur Normalisierung der Lage in Kirgistan.

"Die ethnischen Unruhen in der zentralasiatischen Republik Kirgistan sind ein innerer Konflikt. Daher sieht Russland von einer Einmischung ab", sagte Natalia Timakowa, Sprecherin von Präsident Dmitri Medwedew, am Samstag (12. Juni) in Moskau.

Russland werde Kirgistan humanitäre Hilfe erweisen und Verletzte zur Behandlung nach Moskau transportieren. "Präsident Medwedew ist gut unterrichtet … In einem Telefongespräch wies er Sozialministerin Tatjana Golikowa und Zivilschutzminister Sergej Schoigu an, die mit der Erweisung humanitärer Hilfe zusammenhängenden Fragen zu lösen. Demnächst fliegt eine Maschine des Zivilschutzministeriums nach Kirgistan ab", sagte Timakowa.

Zuvor habe Medwedew bereits mit Kasachstans Präsident Nursultan Nasarbajew und dem Generalsekretär der Organisation des Vertrages über die kollektive Sicherheit (OVKS/CSTO), Nikolai Bordjuscha, über die Lage in Kirgistan gesprochen.

Zur Möglichkeit der Entsendung der CSTO-Truppen nach Kirgistan sagte Timakowa, dass eine solche Entscheidung laut CSTO-Satzung nach Konsultationen mit allen Teilnehmern des Verteidigungsbündnisses getroffen werden könnte. "Für Montag berief Präsident Medwedew als Kovorsitzender des Rates der Kräfte der kollektiven Sicherheit Konsultationen der Sekretäre der Sicherheitsräte aller Vertragsteilnehmerländer ein", sagte sie.

Nach Angaben der Sprecherin des Zivilschutzministeriums, Irina Andrianowa, ist ein Il-76-Flugzeug mit medizinischen Ausrüstungen bereits nach Bischkek unterwegs. An Bord seien zehn Ärzte des Zivilschutzministeriums und des medizinischen Unfallzentrums "Saschtschita" (Schutz). Die Maschine werde Schwerverletzte nach Moskau bringen. Es handele voraussichtlich um etwa elf Menschen, sagte Andrianowa.

** Aus: Russische Nachrichtenagentur, 12. Juni 2010; http://de.rian.ru


Neue Gewaltwelle in Kirgistan: Ausnahmezustand in ganz Südwesten ***

Kirgistans Regierung hat am Sonntag (13. Juni) über das ganze Gebiet Dschalalabad (Südwesten) einen Ausnahmezustand verhängt, nachdem blutige Unruhen in der gleichnamigen Hauptstadt der Region eskaliert waren.

In der Region, in der rund eine Million Menschen lebt, gilt von 18.00 bis 06.00 Uhr das Ausgehverbot. „Der Ausnahmezustand wird bis 22. Juni gelten", heißt es in einem Dekret der kirgisischen Übergangsregierung. Davor war der Ausnahmezustand bereits über Osch und vier umliegenden Rayons sowie über die Stadt Dschalalabad verhängt worden.

Laut Augenzeugenberichten haben am Sonntag in Dschalalabad schwere Pogrome begonnen. Eine riesige zum Teil bewaffnete Menschenmenge zieht durch die Stadt. Junge Männer kirgisischer Nationalität plündern Wohnhäuser aus und stecken sie in Brand.

Die usbekische Bevölkerung der Stadt hat sich in ihrem Viertel verbarrikadiert und bereitet einen Gegenschlag vor. Viele Frauen und Kinder flüchteten ins benachbarte Usbekistan. Die Einwohner von Dschalalabad befürchten eine Wiederholung der Ereignisse von Osch, wo während zweitägigen Unruhen ganze Wohnviertel verbrannt und ausgeplündert sind und hunderttausende Menschen ohne Trinkwasser, Lebensmittel und Strom bleiben.

In Süd-Kirgistan dauern seit Tagen blutige Unruhen an. Bei Kämpfen zwischen Kirgisen und Usbeken wurden nach den jüngsten Angaben 82 Menschen getötet, mehr als 1070 weitere wurden verletzt. In der Stadt Osch, der ehemaligen Hochburg des im April gestürzten Präsidenten Kurmanbek Bakijew, wurden ganze Wohnviertel verbrannt und geplündert. Über Osch und Dschalalabad wurde der Ausnahmezustand verhängt.

Wegen schwerer Unruhen ordnete die kirgisische Regierung eine teilweise Mobilmachung an und erlaubte den Einsatz tödlicher Waffen ohne Vorwarnung. Die Übergangsregierungschefin Rosa Otunbajewa, die im April durch einen blutigen Putsch an die Macht gekommen war, bat Russland, Truppen in die Region zu entsenden. Moskau hat dies bisher abgelehnt.

Stattdessen schickte Russland am Samstag 5,4 Tonnen Medikamente und medizinische Ausrüstung in die zentralasiatische Republik. Auf dem Rückflug brachte das Flugzeug des russischen Katastrophenschutzes schwer Verletzte zur Behandlung nach Moskau.

** Aus: Russische Nachrichtenagentur, 13. Juni 2010; http://de.rian.ru


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