Kirgistan vor der Spaltung?
Der Machtkampf dauert an
Von Irina Wolkowa, Moskau *
Der Machtkampf in Kirgistan geht in eine neue Runde, Horrorszenarien von Experten, die vor
Bürgerkrieg und Spaltung der zentralasiatischen Republik warnen, könnten Wirklichkeit werden.
Anhänger Kurmanbek Bakijews, den gewaltsame Zusammenstöße Anfang April zum Rücktritt vom
Amt des Staatspräsidenten zwangen, besetzten in dessen Hochburg im Süden Kirgistans am
Donnerstagabend gleich in drei Regionen die Gebäude der Regionalregierungen. In Osch brachten
sie zudem den Flughafen unter ihre Kontrolle. Dort, sowie in Dschalalabad und in Batken kam es am
Freitag zu neuen Auseinandersetzungen zwischen Anhängern Bakijews und denen der
Übergangsregierung. Bei den Schießereien wurden über 30 Menschen verletzt.
Auch der mit Sondervollmachten ausgestattete Verteidigungsminister der Übergangsregierung, der
seit Donnerstag in Osch weilt, konnte bisher nicht für Ruhe und Ordnung sorgen. Mehr noch: Brüder
Bakijews drohten, 25 000 Anhänger in die Hauptstadt Bischkek zu schicken, um die
Übergangregierung durch Dauermeetings zum Rücktritt zu zwingen. Dort war es bereits am
Mittwoch zu kleineren Auseinandersetzungen zwischen beiden Lagern gekommen.
Selbst Beobachter im Zentrum der Geschehnisse bezeichneten die Lage als sehr gespannt und
unklar. Umso mehr, als die Ordnungskräfte den Entwicklungen tatenlos zusehen. Zwar hatten die
Generäle des Innenministeriums sich schon während der Unruhen im April auf die Seite der
Übergangsregierung geschlagen, die Einheiten im Süden sich auf Kundgebungen jedoch mehrfach
für strikte Neutralität ausgesprochen. Niemand, sagte ein lokaler Polizeisprecher, sei bereit,
Gesundheit oder gar Leben für den Machtkampf der Eliten zu opfern.
Offiziell wurde dies mit der schlechten Bezahlung der ordnungshüter begründet. Experten dagegen
sehen in den nach wie vor ungeklärten Machtverhältnissen den eigentlichen Grund der
Zurückhaltung. Die meisten Polizisten im Süden sind Gefolgsleute Bakijews und profitierten davon,
dass dessen Clan nahezu alle profitablen Unternehmen kontrollierte. Schon allein deshalb und weil
die Übergangsregierung großen Eifer bei der Aufdeckung und Untersuchung von
Wirtschaftsvergehen des Bakijew-Clans an den Tag legt, hoffen dessen Kostgänger auf Rückkehr
ihres Paten an die Macht.
Dazu kommt, dass der Machtwechsel bisher nicht durch Wahlen legitimiert wurde. Diese sind für
Anfang Oktober geplant, nach der Annahme einer neuen Verfassung, mit der die Macht an das
Parlament übergehen soll. Der Ausgang ist ungewiss. Denn das Ansehen der Übergangsregierung
ist selbst im Norden des Landes, den sie mehr oder minder kontrolliert, begrenzt. Obwohl sie die
Anhebung der Wohnnebenkosten – sie waren der Auslöser für die Unruhen im April – sofort nach
der Amtsübernahme rückgängig machte.
Bakijew, heißt es zudem in einer Erklärung des Gipfels der UdSSR-Nachfolgegemeinschaft GUS,
der Ende letzter Woche in Moskau tagte, sei nach wie vor der legitime Präsident. Eingebracht hatte
das Dokument Alexander Lukaschenko, der Präsident von belarus, wohin Bakijew nach der
Absetzung flüchtete. Unterzeichnet hat es auch Russlands Präsident Dmitri Medwedjew. Obwohl
Premier Wladimir Putin bereits mit der Übergangsregierung verhandelte und deren Chefin Rosa
Otunbajewa in Kürze ebenfalls in Moskau erwartet wird.
Das Dokument sei juristisch unverbindlich und verpflichte Russland zu nichts, beschwichtigten
staatsnahe Beobachter aufkommende Irritationen. Medwedjew, schätzen auch kritische Beobachter,
habe verhindern wollen, dass die GUS weiter zerbröckelt, und sich mit seiner Unterschrift vor allem
die Loyalität der anderen Herrscher Zentralasiens gesichert, die ähnliche Entwicklungen wie in
Kirgistan fürchten.
* Aus: Neues Deutschland, 15. Mai 2010
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