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Kirgistan kommt nicht zur Ruhe

Wieder Straßenschlachten in Bischkek

Von Vougar Aslanov *

Tränengas und Blendgranaten gegen Steine und Flaschen: Am Donnerstag (19. April) schlugen aus tagelangem friedlichen Protest der kirgisischen Opposition gegen Präsident Kurmanbek Bakijew plötzlich Flammen der Gewalt. Wer das Feuer entzündete, darüber streiten sich die Seiten – wie stets.

Seit dem 11. April protestierten Anhänger der Vereinigten Front für eine würdige Zukunft Kirgistans und der Bewegung »Für Reformen« in unmittelbarer Nähe des »Weißen Hauses« in Bischkek, des Sitzes von Präsident Kurmanbek Bakijew. Die Opposition fordert Bakijews Rücktritt, neue Präsidentschaftswahlen, vor allem aber die Einschränkung der präsidialen Vollmachten durch eine Verfassungsänderung. Dies sei erforderlich, um Kirgistan in eine parlamentarisch kontrollierte Republik zu verwandeln.

Ähnliche Forderungen, teils von den gleichen Akteuren, aber auch von Bakijew selbst vertreten, hatten im März 2005 zur »Tulpenrevolution« geführt. Damals war der erste Präsident des unabhängigen Kirgistans, Askar Akajew, gestürzt worden. Bakijew, Akajews gewählter Nachfolger, habe nicht gehalten, was er damals versprach, werfen ihm seine heutigen Widersacher vor. Die Demokratisierung und die Verbesserung der Lebensverhältnisse kämen nicht voran, nach wie vor herrschten Willkür und Korruption, der Präsident strebe nach absoluter Macht, an der auch sein Familienklan beteiligt sei.

Durch geschickte Winkelzüge hat Bakijew die Aktionen seiner Opponenten bisher jedoch ein ums andere Mal unterlaufen. Im vergangenen Herbst ließ er sich auf Verfassungsänderungen ein, um die Gefahr seines Sturzes zu bannen. Wenig später aber, da der Widerstand nachgelassen hatte, nutzte er die Gunst der Stunde, um sich die Kompetenzen, die er gerade eingebüßt hatte, vom Parlament wieder zuschreiben zu lassen.

Zur Opposition zählen inzwischen auch frühere Mitstreiter des Präsidenten, darunter der ehemalige Ministerpräsident Felix Kulow, der bei den Präsidentschaftswahlen 2005 auf eine eigene Kandidatur zu Gunsten Bakijews verzichtet hatte. Kulow verlor seinen Posten Anfang des Jahres und stellte sich umgehend an die Spitze der Oppositionsfront »für eine würdige Zukunft Kirgistans«. Als vormaliger Innenminister und Chef des Nationalen Sicherheitsdienstes verfügt er immer noch über großen Einfluss auf die Sicherheitskräfte. Vor allem aber vertritt er die Klans des kirgisischen Nordens, der industriell geprägt ist, während Bakijew seine Bastionen im landwirtschaftlich dominierten Süden der Republik hat.

Als Nachfolger Kulows im Amt des Regierungschefs hatte Bakijew zunächst seinen früheren Berater Asim Issabekow nominiert. Den ließ er jedoch nach wenigen Wochen wieder fallen und ernannte stattdessen – um seine Gegnerschaft zu spalten – den Oppositionspolitiker Almas Atambajew zum Ministerpräsidenten. Wenig später stimmte er der Bildung einer Kommission zu, die Verfassungsänderungen ausarbeiten sollte, und legte diesem Gremium einen eigenen Vorschlag vor, kurz bevor die Opposition für den 11. April weitere Massenproteste angekündigt hatte. Auch Kulow erklärte sich zu Verhandlungslösungen bereit, wollte die Gespräche aber durch unbefristete Aktionen, darunter ein »Zeltlager« in der Hauptstadt Bischkek, begleitet wissen.

Am Donnerstag (19. April) beendeten Sicherheitskräfte eben diese Aktionen. Demonstranten hätten den Präsidentenpalast und den Regierungssitz aus einer Menge von etwa 3000 meist jungen Menschen heraus mit Steinen und Flaschen beworfen, berichteten Augenzeugen. Daraufhin hätten die Ordnungshüter die Kundgebung mit Tränengas und Blendgranaten auseinandergetrieben. Es kam zu Straßenschlachten und zur Plünderung von Geschäften wie im März vor zwei Jahren, 100 Demonstranten wurden festgenommen. Kulow beschuldigte »Provokateure, die sich im Regierungssitz aufhielten«, die Gewaltlawine ausgelöst zu haben. Der Oppositionsführer selbst wurde noch am Abend zu einer Befragung durch den Geheimdienst einbestellt.

Tags darauf erklärte sich die Regierung wieder einmal zu Zugeständnissen bereit. Es gebe »keine grundlegenden Differenzen« bezüglich der Möglichkeit von Verfassungsänderungen. Präsident Bakijew behauptet indessen, er wisse den größten Teil der Bevölkerung hinter sich. Wenn etwas die Sicherheit des Landes bedrohe, werde er dagegen allerdings härteste Maßnahmen ergreifen. Die Opposition setzte ihre Aktionen nach den Geschehnissen am Donnerstag erst einmal aus.

* Aus: Neues Deutschland, 23. April 2007


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