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Quadratur des Kreises

Weitere Destabilisierung in Zentralasien verhindert: Kasachstan rühmt sich, USA, Rußland und China zu Kooperation in Kirgistan-Krise bewegt zu haben

Von Rainer Rupp *

Der gewaltsame Machtwechsel in Krigistan im vergangenen Monat und die anhaltende Instabilität des Landes hat Bedeutung für ganz Zentralasien. In der rohstoffreichen Region treffen die geostrategischen Interessen der USA, Chinas und Rußlands aufeinander. Es ist daher interessant zu sehen, wie die Nachbarländer Kirgistans auf den Sturz des früheren Anführers der »Tulpenrevolution«, Kurmanbek Bakijew, reagiert haben. Dieser Präsident hatte während seiner Amtszeit aus Kirgistan eine von extremer Vetternwirtschaft geprägte Kleptokratie gemacht. Bakijew und seine Familie hatten auf Kosten der Entwicklung des Landes und der Bevölkerung mit eiserner Faust geherrscht. Bei einer Massendemonstration gegen sein Regime am 7. April hatten ihm ergebene Palastwachen in die Menge gefeuert und 85 Menschen getötet. Dieses Blutbad war der Auslöser füe den Sturz Bakijews. Er floh zunächst in den Süden des Landes, aus dem er stammte. Rußlands Präsident Dmitri Medwedew warnte damals vor einen Bürgerkrieg zwischen dem Norden und Süden des Landes. Kirgistan könne zu einem »neuen Afghanistan« werden, so der Kreml-Chef.

Auslieferungsersuchen

Die kirgisische Übergangsregierung ließ Bakijew wegen mehrfachen Mordes anklagen und verlangt von Belarus, wo er sich mittlerweile aufhält, seine Auslieferung. Dem früheren Präsidenten werde überdies Machtmißbrauch vorgeworfen, erklärte Vizeregierungschef Asimbek Beknasarow in der vergangenen Woche. Mit der Anklage gebe es »eine Grundlage für seine Auslieferung«, Minsk sei dazu »verpflichtet«. Ende Juni soll in Kirgistan eine Volksabstimmung über eine neue Verfassung stattfinden, für Oktober setzte die Übergangsregierung Parlamentswahlen an.

Aus Angst davor, daß die Unruhen über die Grenzen schwappen könnten, hat sich die Führung im Anrainerstaat Usbekistan wie das Kaninchen vor der Schlange verhalten. Über die Ereignisse in Bischkek gab es in den Medien des von Präsident Islom Karimow rücksichtslos regierten Landes eine fast vollkommene Nachrichtensperre. Die Regierung in Tadschikistan bemühte sich um Distanz. Laut offiziellen Verlautbarungen des Außenministeriums in Duschanbe handelte es sich bei den Auseinandersetzungen in Kirgistan um eine »rein innere Angelegenheit«. Gleichwohl äußerten viele tadschikische Bürger ihren Unmut, weil ihre Regierung das Blutvergießen im Nachbarland nicht verurteilte.

Die Gefahr eines Bürgerkrieges und dessen mögliche Ausweitung wurde schließlich durch den kasachischen Präsidenten Nursultan Nasarbajew gebannt. In einer Kommandoaktion ließ er den gestürzten Bakijew in die kasachische Hauptstadt ausfliegen, aber erst, nachdem dieser schriftlich auf sein Amt verzicht hatte. Der Intervention waren umfangreiche Konsultationen sowohl mit Moskau als auch mit Washington vorausgegangen. Rußland, das aus seiner Ablehnung des US-Schützlings Bakijew keinen Hehl gemacht und Sympathie für die Opposition gezeigt hatte, legte großen Wert darauf, im Hintergrund zu bleiben, während es die Initiative Kasachstans begrüßte.

Nachschublinie

Nach Gesprächen Nasarbajews mit US-Präsident Barack Obama am Rande des sogenannten Gipfels zur nuklearen Sicherheit Mitte April in Washington stimmten auch die Vereinigten Staaten diesem Vorhaben zu. Schließlich transportieren die USA inzwischen 35 Prozent ihres Nachschubs für Afghanistan über das sogenannte Northern Distribution Network (NDN) durch Rußland und Kasachstan. Washington war mithin in einer schlechten Position, Widerspruch einzulegen. Die US-Führung konnte nicht an einer weiteren Destabilisierung der Region interessiert sein, zu einem Zeitpunkt, da die Lage in Afghanistan immer prekärer wird.

Auch China, das nichts mehr schätzt als Stabilität, begrüßte die Initiative des kasachischen Präsidenten Nasarbajew. Der hat sich seither als erfolgreicher Vermittler und Friedensstifter in der Region in Szene gesetzt und rühmt sich inzwischen der Quadratur des Kreises, nämlich »die konstruktive Zusammenarbeit zwischen den USA, Rußland und China in Zentralasien ermöglicht« zu haben.

* Aus: junge Welt, 4. Mai 2010


Korruption: Pentagon-Deal mit Bakijew-Klan

Die kirgisische Übergangsregierung hat für Hinweise zum Aufenthalt der früheren Führungsriege des Landes eine Belohnung ausgesetzt. Sie sei bereit, für »konkrete Hilfe, diese Kriminellen zu orten und festzunehmen«, zwischen 20000 und 100000 Dollar zu zahlen. Das teilte ein Ausschuß der Übergangsregierung am Montag in der Hauptstadt Bischkek mit. Auf der Liste der gesuchten Mitglieder der früheren Regierung stehen der im vergangenen Monat gestürzte Präsident Kurmanbek Bakijew und zahlreiche seiner engsten Familienmitglieder, darunter seine Brüder Schanysch Bakijew, ehemaliger Befehlshaber der gefürchteten Präsidentengarde, Kanybek Bakijew, Chef der Verwaltung, und Akhmat Bakijew (Unternehmer) sowie sein Sohn Maxim. Als Chef der staatlichen Agentur für Investitionen und wirtschaftliche Entwicklung hatte der sich hauptsächlich darum gekümmert, daß sich die Kontenstände des Klans auf Schweizer Banken rasant noch oben entwickelten.

Die Interimsregierung macht Expräsident Bakijew unter anderem für den Tod von 85 Demonstranten verantwortlich, die während des Umsturzes Anfang April erschossen worden waren. Sein Bruder Schanysch soll den Schießbefehl auf die Menge erteilt haben. Gegen Bakijews Sohn laufen Ermittlungen wegen Korruptionsverdachts bei Treibstoffverkäufen an den US-Stützpunkt in dem zentralasiatischen Land. Bakijew hält sich zur Zeit in Belarus auf.

Lange schon war es ein offenes Geheimnis, daß die wichtigste finanzielle Quelle zur Bereicherung des Bakijew-Klans und seiner Paladine in Armee, Justiz und Verwaltung das US-Verteidigungsministerium war. Nur bewiesen werden konnte es bisher nicht. Ungewollt hat nun der Kongreß in Washington Hilfestellung bei der Aufklärung geleistet. Der Ausschuß für Kontrolle und Regierungsreform ist nämlich bei der Prüfung des Pentagon auf zwei Lieferverträge von Treibstoff für die US-Luftwaffenbasis Manas von zwei »mysteriösen« kirgisischen Firmen gestoßen: »Red Star Enterprises« und »Mina Corporation«. Die Verträge waren unter Umgehung der sonst üblichen Ausschreibung an die beiden Firmen vergeben worden, zuletzt im Wert von insgesamt 1,4Milliarden Dollar pro Jahr. Inzwischen haben Untersuchungen den Verdacht erhärtet, daß die Bakijews hinter den Unternehmen stecken. Der Klan soll acht Millionen Dollar im Monat mit Hilfe der Treibstofflieferungen abgeschöpft haben. Laut dem neuen Chef des kirgisischen Generalstabs haben die »Red Star« und »Mina« »dem Pentagon dazu gedient, auf indirekte Weise die regierenden Familien Kirgistans zu bestechen«. Besonders pikant ist, daß Washington sonst immer sehr schnell dabei ist, andere Länder wegen Korruption zu verurteilen.

(rwr)

* Aus: junge Welt, 4. Mai 2010


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