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Kirgistan: Vor einem Jahr wurde der langjährige Präsident Askar Akajew gestürzt

Sind die Weichen wirklich auf Demokratie gestellt? - Akajew: Weitere "bunte Revolutionen" in Zentralasien sind "ausgeschlossen"



Kirgisstan ein Jahr danach

Außenminister sieht sein Land auf Demokratie-Kurs

Von Cyrus Salimi-Asl*

Vor einem Jahr, im März 2005, wurde nach umstrittenen Parlamentswahlen, anhaltenden Protesten und einem Sturm auf den Regierungssitz der langjährige kirgisische Präsident Askar Akajew gestürzt. Seine Nachfolge trat der im Juli zum Präsidenten gewählte Kurmanbek Bakijew an. »Staatspräsident Bakijew hat den Kurs Richtung Demokratie eingeschlagen«, stellte Kirgisstans Außenminister Alikbek Dshekschenkulow kürzlich voller Überzeugung bei einer Diskussionsveranstaltung der Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin fest. Mit Kirgisstan – nach Tadshikistan das kleinste und ärmste Land Zentralasiens – soll es nun endlich vorangehen. Dshekschenkulow setzte auch auf Deutschland als »strategischen Partner«, der bereits 22,3 Millionen Euro Wirtschaftshilfe versprochen habe.

Ein Blick zurück: Nach Parlamentswahlen am 27. Februar und 13. März vergangenen Jahres, bei denen die Opposition lediglich sechs Sitze gewann, war es zu Unruhen und Ausschreitungen im Süden und Westen des Landes gekommen. Am 18. März stürmten Demonstranten in Dshalal-Abad und Osch verschiedene Regierungsgebäude, Beamte wurden von der wütenden Menge festgenommen. Als die Unruhen auch auf die im Norden gelegene Hauptstadt Bischkek übergriffen, waren die Tage Akajews und seiner Regierung gezählt. Den Demonstranten gelang es, mehrere Städte unter ihre Kontrolle zu bringen. Akajew versuchte die Flucht nach vorn, kündigte eine Überprüfung der Wahlergebnisse an und entließ am 23. März Innenminister und Generalstaatsanwalt. Zu spät: Am 24. März plünderten aufgebrachte Bürger die Regierungsgebäude in Bischkek. Akajew floh nach Kasachstan, später nach Moskau, und erklärte am 4. April seinen Rücktritt.

Auf dem Präsidentensessel ließ sich zunächst für den Übergang Kurmanbek Bakijew nieder. Unruhen und Plünderungen im Lande beendete der neue Sicherheitschef Felix Kulow, der von den Demonstranten aus dem Gefängnis befreit worden war.

Bei den Präsidentschaftswahlen am 10. Juli 2005 traten Bakijew, der Mann aus dem Süden, und Kulow, der Mann aus der Hauptstadt, als Tandem an. Bakijew gewann mit 88,9 (!) Prozent der Stimmen, Kulow wurde Regierungschef.

Beide Politiker waren einst Vertraute Akajew, nicht etwa langjährige Gegner. So war Kulow, bevor er 2001 zu einer Gefängnisstrafe verurteilt wurde, nacheinander Vizepräsident, Provinzgouverneur, Sicherheitsminister und Bürgermeister von Bischkek. Bakijew amtierte von 2000 bis 2002 gar als Ministerpräsident. Zwar hatten sie mehrfach Kritik an den Zuständen geübt und ihre Ämter niedergelegt, doch endgültig überworfen hatten sie sich erst spät mit Akajews Regime. Umso skeptischer werden die Chancen auf demokratische Veränderungen bewertet.

Problematisch bleibt die Spaltung des Landes in einen nördlichen, stärker russisch beeinflussten Teil, der traditionell die Regierungselite stellt, und einen verarmten, stärker islamisierten Süden, in dem viele Usbeken leben. Selbst die Verkehrsverbindungen zwischen Nord und Süd zementieren aufgrund des Reliefs und der Grenzziehungen in Zentralasien diese Spaltung. Nur einem Nord-Süd- Gespann wie Kulow und Bakijew könnte es wohl langfristig gelingen, einen Ausgleich herbeizuführen. Aber wie lange wird die Doppelspitze funktionieren? »Das persönliche Verhältnis zwischen beiden gilt als eher schlecht«, urteilt Beate Eschment, Kirgisstankennerin von der Universität Halle.

Dabei steht die neue Führung vor der riesigen Aufgabe, die soziale Lage der Bevölkerung entscheidend zu verbessern. Letztlich hatte deren Misere die Unzufriedenheit mit der Akajew- Herrschaft ausgelöst. Die »Schweiz Zentralasiens«, wie Kirgisstan oft genannt wurde, hat außer den hohen Bergen nicht viel mit der Eidgenossenschaft gemein. In der Korruptions-Rangliste von Transparency International liegt das Land auf Platz 122 (von 145). Laut Bakijew flossen zwei Drittel der Steuereinnahmen direkt in die Portemonnaies des Akajew-Clans. Das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf betrug im vorigen Jahr nur 380 Dollar.

Außenpolitisch übt Kirgisstan den Spagat zwischen Russland, den USA und China, die alle Interessen in der Region reklamieren. Noch beherbergt das Land einen russischen (Kant) und einen US-amerikanischen Militärstützpunkt (Manas). Derzeit arbeite man an einem neuen außenpolitischen Konzept, verriet Außenminister Dshekschenkulow in Berlin. Beim Formulieren soll die Friedrich-Ebert-Stiftung helfen. Jedenfalls will man weiter eine ausgewogene Außenpolitik pflegen. Soll heißen: gute Beziehungen sowohl zu den USA als auch zu China und Russland, das Dshekschenkulow besonders hervorhob. Und Europa? Die EU arbeite an einer Zentralasien- Strategie, sagte die SPD-Bundestagsabgeordnete Hedi Wegener; die Region werde ein »Schwerpunkt der deutschen EU-Ratspräsidentschaft«.

* Aus: Neues Deutschland, 23. März 2006


Kirgisiens Ex-Präsident schließt weitere "bunte Revolutionen" in Zentralasien aus

MOSKAU, 23. März (RIA Novosti). Der Einsatz von Waffengewalt gegen die rebellierende kirgisische Opposition im März 2005 hätte unweigerlich zu einem Bürgerkrieg und zum Zerfall des Landes geführt.

Der frühere Präsident Kirgisiens, Askar Akajew, hat in einem Gespräch mit Journalisten bei RIA Novosti ausdrücklich betont, dass er seinen Verzicht auf Gewalt beim damaligen Sturm des Regierungsgebäudes in Bischkek nicht bedauere. Während seiner gesamten Amtszeit habe er sich von gewissen Prinzipien leiten lassen. "Bewusst, konsequent und zielstrebig habe ich die demokratischen Institute in der Republik vorangebracht. Ich war immer der Meinung, dass die Probleme des Landes ausschließlich mit politischen Methoden gelöst werden müssen", resümierte Akajew seine Amtsauffassung. Der persönlichen Macht wegen dürfe kein Blut vergossen werden.

Den Hauptgrund der "bunten Revolutionen" im postsowjetischen Raum sieht Akajew in der Zielstellung des Westens, die demokratischen Prozesse in den GUS-Staaten zu beschleunigen und einen Generationswechsel der politischen Eliten herbeizuführen. "Was Zentralasien betrifft, war Kirgisien das erste, aber auch das letzte erfolgreiche Beispiel", stellte er fest.

"Bunte Revolutionen" verlangen, so der Ex-Präsident, bestimmte Voraussetzungen. Dazu gehören eine entwickelte Zivilgesellschaft sowie Meinungs- und politische Freiheiten, die das Gedeihen einer starken Opposition ermöglichen würden. "Das alles war in Kirgisien vorhanden, und darum war es kein Zufall, dass Kirgisien als Schauplatz der bunten Revolution ausersehen worden war." In anderen zentralasiatischen Ländern sei eine Neuauflage des Experiments nicht möglich, weil die genannten Voraussetzungen dort fehlen.

Ziel derartiger Revolutionen sei es auch gewesen, die Integrationsprozesse im postsowjetischen Raum zurückzuwerfen, um die Positionen Russlands mit seinen historischen und natürlichen Interessen dort zu schwächen.

Die heutigen Machthaber in Kirgisien sind seiner Überzeugung nach außerstande, im Lande Situation zu schaffen, die Erwartungen der Amerikaner von einer "bunten Revolution" entsprechen würde, nämlich mehr Demokratie. "Auftragsmorde wurden zum Alltag, die Verbrecherwelt schaltet und waltet ungehemmt, Parlament und Regierung sind zu Marionetten verkommen", beklagte er.

Akajew schloss eine Rückkehr in die Heimat nicht aus, sollte er die nötigen Sicherheitsgarantien für seine Familie bekommen. In der Zwischenzeit genieße er seine Tätigkeit als Professor an der Moskauer Lomonossow-Universität, zumal ihn viel mit Russland verbinde. "Ich bin Zögling der russischen Wissenschaften. Hier habe ich den Weg vom Studenten bis zum Professor zurückgelegt", sagte er, auf die 17 Jahre seines Lebens in Leningrad verweisend. "Doch meine Wurzeln und meine Gedanken sind dort in der Heimat", räumte er ein.

Russische Nachrichtenagentur Ria Nowosti, 23. März 2006; Internet: http://de.rian.ru



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