Lage in Kirgistan "leicht instabil"
Neue Regierung bemüht sich um Normalisierung / Zweitägige Staatstrauer für Umsturzopfer
Nach dem blutigen Umsturz in Kirgistan hat sich die Lage in der zentralasiatischen Republik etwas entspannt. Die Übergangsregierung lehnte ein Gesprächsangebot des geflohenen Präsidenten Kurmanbek Bakijew ab.
Militär und Polizei sowie Bürgerwehren hätten die Situation in der Hauptstadt Bischkek unter Kontrolle gebracht, teilte die Übergangsregierung nach Angaben der kirgisischen Agentur Akipress am Freitag mit. Die neue Regierungschefin Rosa Otunbajewa warnte aber vor »gewaltsamen Provokationen« durch die Anhänger des entmachteten Präsidenten Bakijew. Russland sicherte der neuen Führung Hilfe zu. Die Europäische Union entsandte den Franzosen Pierre Morel als Sonderbeauftragten nach Bischkek.
Bakijew hielt sich nach eigenen Angaben im Süden des Landes auf, wo seine Heimat und Hochburg ist, und lehnte einen Rücktritt erneut ab. Er bot der neuen Führung im Norden Verhandlungen an. Dazu sagte Otunbajewa nach Angaben der Agentur Interfax, für solche Gespräche gebe es »keinen Grund«. Der neue Chef des Geheimdienstes erklärte, man kenne Bakijews Aufenthaltsort. Bakijew sei »kein Staatschef mehr«, sondern »nur noch ein gestürzter Präsident«. Er schloss eine Kommandoaktion des Geheimdienstes gegen Bakijew nicht aus.
Der zuletzt für die nationale Sicherheit im Land verantwortliche Bruder des Präsidenten, Schanysch Bakijew, wird per Haftbefehl wegen Mordes gesucht. Die Staatsanwaltschaft, die am Freitag auch Haftbefehle gegen zwei Söhne des Präsidenten erließ, macht den Bruder für das Blutbad während des Aufstands verantwortlich. Dabei waren seit Dienstag mindestens 76 Menschen getötet und mehr als 1500 verletzt worden.
Der Geheimdienstchef warf Bakijews Clan vor, in den vergangenen Tagen gewalttätige Jugendliche und Plünderer aufgestachelt zu haben, um die Lage zu destabilisieren. Das Innenministerium hatte sie mit Tränengas und Warnschüssen gestoppt. Weil das Land zwischen dem eher prorussischen Norden und dem Süden mit starken islamisch-konservativen Traditionen gespalten ist, drohen weiter Machtkämpfe. Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz bezeichnete die Lage trotz Entspannung als »leicht instabil«.
Oppositionsführer Omurbek Tekebajew räumte ein, dass es in der neuen Führung »geteilte Meinungen« über den US-amerikanischen Luftwaffenstützpunkt Manas in Kirgistan gebe. Die USA versorgen von der Basis bei Bischkek aus ihre Anti-Terror-Truppen in Afghanistan, jedoch stört sich Russland an der US-Militärpräsenz in der Region. »Es wird Korrekturen in der Außenpolitik geben, aber bei Manas gibt es noch keine einheitliche Position«, sagte Tekebajew.
Eine Delegation der neuen kirgisischen Führung traf am Freitag in Moskau ein. Bei den Gesprächen unter Leitung des früheren Präsidentenkandidaten Almasbek Atambajew sollte es auch um humanitäre Hilfe für das verarmte Hochgebirgsland gehen. Am Vortag hatte Regierungschef Wladimir Putin »dem Bruderland« Unterstützung zugesichert. Der russische Präsident Dmitri Medwedjew entsandte 150 Soldaten nach Kirgistan, wo Russland eigene Streitkräfte stationiert hat.
In der ehemaligen Sowjetrepublik begann am Freitag eine zweitägige Staatstrauer zur Erinnerung an die Opfer des Aufstandes. Regierungschefin Otunbajewa sicherte den Hinterbliebenen finanzielle Unterstützung zu. Auch die Kosten für die Beisetzungen übernehme der Staat. Im Gedenken an die Toten und Verletzten versammelten sich Tausende Menschen vor Regierungssitz und Präsidialamt in der Hauptstadt Bischkek.
* Aus: Neues Deutschland, 10. April 2010
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