Bakijew will die Macht nicht hergeben
Droht in Kirgistan ein Bürgerkrieg?
Von Irina Wolkowa, Moskau *
Der Machtkampf in der zentralasiatischen Republik Kirgistan geht in eine
neue Runde, die im schlimmsten Fall mit einem Bürgerkrieg enden könnte.
Am Montag drohte der nach den Unruhen aus der Hauptstadt Bischkek
geflohene Präsident Kurmanbek Bakijew aus seiner Zufluchtstätte bei
Dschalal-Abad im Süden des Landes mit »Blutvergießen«, sollte die
Übergangsregierung versuchen, ihn festzunehmen. »Ich bin der Präsident
und niemand hat das Recht oder die Macht, mich von meinem Posten zu
stoßen«, sagte er in seinem Heimatdorf Tejit. Gleichzeitig kündigte er
bewaffneten Widerstand seiner Anhänger an. Zugegen waren etwa tausend
Menschen, vor allem Verwandte Bakijews, darunter auch sein Bruder, der
die Leibgarde des Präsidenten befehligte.
Die provisorische Regierung in Bischkek hatte in der Nacht zu Sonnabend
ein Dekret verabschiedet, das die Verfassung außer Kraft setzt und die
Immunität aufhebt, die Bakijew als Präsident genoss. Das Dekret soll bis
zu Neuwahlen in sechs Monaten gelten, die wiederum den Übergang zu einer
parlamentarischen Republik ermöglichen sollen. Bis dahin will die
Übergangsregierung auch eine neue Verfassung vorlegen. Damit, erläuterte
die kommissarische Regierungschefin Rosa Otunbajewa, müsse ein für alle
Mal verhindert werden, dass die Macht in den Händen eines Einzelnen liegt.
Bakijew hatte entgegen seinen Wahlversprechungen nach der sogenannten
Tulpenrevolution Ende März 2005 nicht nur die Vollmachten der
Legislative beschnitten, die Opposition verfolgt und kritische Medien
verboten. Mit Verfassungsänderungen wollte er auch eine dynastische
Erbfolge durchsetzen und seinen Sohn Maxim zum Nachfolger küren lassen.
Gegen beide läuft inzwischen ein Ermittlungsverfahren. Auch wurden
Verwandte Bakijews, die Botschafterposten innehatten - darunter in
Deutschland Bakijews Bruder Marat - abberufen.
Hochrangige Vertreter der provisorischen Regierung werden in Kürze
Moskau besuchen. Premier Wladimir Putin hatte Ende letzter Woche bereits
mit Otunbajewa telefoniert und ihr umfassende Hilfe Russlands angeboten.
Damit will er offenbar einen außenpolitischen Kurswechsel Kirgistans
verhindern. Otunbajewa, die lange Botschafterin in Washington war,
machte aus ihren Sympathien für Washington und ein US-amerikanisches
Demokratiemodell nie einen Hehl. In Kirgistan raunt man, auf sie hätte
die Bush-Regierung schon während der Tulpenrevolution gesetzt, damals
seien die Entwicklungen den Bush-Kriegern jedoch aus dem Ruder gelaufen
und hätten den angeblich prorussischen Bakijew an die Macht gespült.
Dieser erwies sich jedoch zunehmend als unlenksam und versuchte,
Russland, die USA und China gegeneinander auszuspielen. So suchte er in
Peking Hilfe, als Moskau im Sommer seinen Kredit stoppte, Der Grund:
Kirgistan, das auf russischen Druck Washington die Luftwaffenbasis Manas
gekündigt hatte - sie spielt eine Schlüsselrolle beim Nachschub für den
Krieg in Afghanistan - hatte sich im letzen Moment mit den USA auf einen
Kompromiss geeinigt, der erheblich höhere Pachtzahlungen an Bischkek
einschloss.
China ist schon jetzt größter Investor in Zentralasien und bereit,
weitere Projekte zur Modernisierung der Infrastruktur zu finanzieren.
Peking verlangt als Gegenleistung jedoch das Vorkaufsrecht beim Zugriff
auf die Energieressourcen und andere Schätze der Region. Damit aber ist
Peking beim Kampf um Einfluss in der Region für Russland inzwischen ein
gefährlicherer Nebenbuhler als die USA.
* Aus: Neues Deutschland, 13. April 2010
Kirgistan begräbt Opfer des Umsturzes
USA bieten humanitäre Hilfe an **
Nach dem blutigen Umsturz in der zentralasiatischen Republik Kirgistan
in der vergangenen Woche hat die neue Regierung die Opfer mit einem
Staatsbegräbnis geehrt. In der Hauptstadt Bischkek und weiteren Orten
nahmen Tausende an Gedenkveranstaltungen teil. Das meldete die
kirgisische Agentur Akipress am Samstag (10. April). Die Zahl der Toten
stieg unterdessen auf 79. Die Lage in Bischkek beruhigte sich nach
Behördenangaben weiter. Die Organisation für Sicherheit und
Zusammenarbeit in Europa (OSZE) forderte beide Konfliktparteien zu
Gesprächen auf. In Bischkek wurden am Stadtrand Kontrollpunkte
errichtet, an denen Reisende nach Waffen und Sprengstoff
durchsucht werden. Damit sollen neue Plünderungen und Gewalttaten
verhindert werden. Insgesamt wurden etwa 1500 Menschen verletzt.
Nach dem Umsturz werden die USA ihre dortige Luftwaffenbasis Manas
vorläufig nicht nutzen. Die Flüge zum Transport von Truppen und
Ausrüstung nach Afghanistan würden über einen anderen Stützpunkt im
Ausland abgewickelt. Unterdessen hat USA-Außenministerin Hillary Clinton
der neuen kirgisischen Regierungschefin Rosa Otunbajewa humanitäre Hilfe
angeboten. Otunbajewa versicherte, dass sich ihre Regierung an die
bisherigen Abmachungen halten und den USA weiter die Benutzung des
Flughafens Manas erlauben würde.
** Aus: Neues Deutschland, 12. April 2010
Kirgisische Kontinuität
Von Olaf Standke ***
Dort, wo sonst Soldaten und Kriegsgerät aus den USA Richtung Hindukusch
starten, sind am Wochenende medizinisches Gerät und Hilfsgüter
eingetroffen. Schauplatz ist der Luftwaffenstützpunkt Manas in
Kirgistan, eine außerordentlich wichtige Nachschubbasis für die
US-amerikanischen Truppen in Afghanistan. Deshalb auch war die Sorge in
Washington so groß, als in der Vorwoche Präsident Kurmanbek Bakijew
gewaltsam gestürzt wurde.
Eigentlich wollte die Obama-Regierung just in diesen Tagen den Vertrag
zur Nutzung des Stützpunktes verlängern. Jeden Monat passieren rund 35
000 US-amerikanische Soldaten auf ihrem Weg in den Krieg oder zurück in
die Heimat diese Basis. Im Vorjahr hatte Bischek vorübergehend ihre
Schließung angeordnet, dies aber später wieder zurückgenommen. Dafür war
man dem - wie man inzwischen auch weiß - autoritär herrschenden Bakijew
»sehr dankbar«, so Präsident Obamas Sondergesandter für Afghanistan und
Pakistan, Richard Holbrooke. Und man zahlte dem verarmten Land 60
Millionen Dollar im Jahr.
Der aktuelle Schwenk zum humanitären Hilfsgut auf der Militärbasis ist
allerdings kein Paradigmenwechsel. Im Gegenteil, er soll auch sichern,
dass sich die neue kirgisische Regierungschefin Rosa Otunbajewa
zumindest in diesem Punkt an der Politik ihres so verhassten Vorgängers
orientiert. Was sie auch schon versprochen hat.
*** Aus: Neues Deutschland, 12. April 2010 (Kommentar)
Zurück zur Kirgistan-Seite
Zurück zur Homepage