Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Bakijew will die Macht nicht hergeben

Droht in Kirgistan ein Bürgerkrieg?

Von Irina Wolkowa, Moskau *

Der Machtkampf in der zentralasiatischen Republik Kirgistan geht in eine neue Runde, die im schlimmsten Fall mit einem Bürgerkrieg enden könnte.

Am Montag drohte der nach den Unruhen aus der Hauptstadt Bischkek geflohene Präsident Kurmanbek Bakijew aus seiner Zufluchtstätte bei Dschalal-Abad im Süden des Landes mit »Blutvergießen«, sollte die Übergangsregierung versuchen, ihn festzunehmen. »Ich bin der Präsident und niemand hat das Recht oder die Macht, mich von meinem Posten zu stoßen«, sagte er in seinem Heimatdorf Tejit. Gleichzeitig kündigte er bewaffneten Widerstand seiner Anhänger an. Zugegen waren etwa tausend Menschen, vor allem Verwandte Bakijews, darunter auch sein Bruder, der die Leibgarde des Präsidenten befehligte.

Die provisorische Regierung in Bischkek hatte in der Nacht zu Sonnabend ein Dekret verabschiedet, das die Verfassung außer Kraft setzt und die Immunität aufhebt, die Bakijew als Präsident genoss. Das Dekret soll bis zu Neuwahlen in sechs Monaten gelten, die wiederum den Übergang zu einer parlamentarischen Republik ermöglichen sollen. Bis dahin will die Übergangsregierung auch eine neue Verfassung vorlegen. Damit, erläuterte die kommissarische Regierungschefin Rosa Otunbajewa, müsse ein für alle Mal verhindert werden, dass die Macht in den Händen eines Einzelnen liegt.

Bakijew hatte entgegen seinen Wahlversprechungen nach der sogenannten Tulpenrevolution Ende März 2005 nicht nur die Vollmachten der Legislative beschnitten, die Opposition verfolgt und kritische Medien verboten. Mit Verfassungsänderungen wollte er auch eine dynastische Erbfolge durchsetzen und seinen Sohn Maxim zum Nachfolger küren lassen. Gegen beide läuft inzwischen ein Ermittlungsverfahren. Auch wurden Verwandte Bakijews, die Botschafterposten innehatten - darunter in Deutschland Bakijews Bruder Marat - abberufen.

Hochrangige Vertreter der provisorischen Regierung werden in Kürze Moskau besuchen. Premier Wladimir Putin hatte Ende letzter Woche bereits mit Otunbajewa telefoniert und ihr umfassende Hilfe Russlands angeboten. Damit will er offenbar einen außenpolitischen Kurswechsel Kirgistans verhindern. Otunbajewa, die lange Botschafterin in Washington war, machte aus ihren Sympathien für Washington und ein US-amerikanisches Demokratiemodell nie einen Hehl. In Kirgistan raunt man, auf sie hätte die Bush-Regierung schon während der Tulpenrevolution gesetzt, damals seien die Entwicklungen den Bush-Kriegern jedoch aus dem Ruder gelaufen und hätten den angeblich prorussischen Bakijew an die Macht gespült.

Dieser erwies sich jedoch zunehmend als unlenksam und versuchte, Russland, die USA und China gegeneinander auszuspielen. So suchte er in Peking Hilfe, als Moskau im Sommer seinen Kredit stoppte, Der Grund: Kirgistan, das auf russischen Druck Washington die Luftwaffenbasis Manas gekündigt hatte - sie spielt eine Schlüsselrolle beim Nachschub für den Krieg in Afghanistan - hatte sich im letzen Moment mit den USA auf einen Kompromiss geeinigt, der erheblich höhere Pachtzahlungen an Bischkek einschloss.

China ist schon jetzt größter Investor in Zentralasien und bereit, weitere Projekte zur Modernisierung der Infrastruktur zu finanzieren. Peking verlangt als Gegenleistung jedoch das Vorkaufsrecht beim Zugriff auf die Energieressourcen und andere Schätze der Region. Damit aber ist Peking beim Kampf um Einfluss in der Region für Russland inzwischen ein gefährlicherer Nebenbuhler als die USA.

* Aus: Neues Deutschland, 13. April 2010


Kirgistan begräbt Opfer des Umsturzes

USA bieten humanitäre Hilfe an **

Nach dem blutigen Umsturz in der zentralasiatischen Republik Kirgistan in der vergangenen Woche hat die neue Regierung die Opfer mit einem Staatsbegräbnis geehrt. In der Hauptstadt Bischkek und weiteren Orten nahmen Tausende an Gedenkveranstaltungen teil. Das meldete die kirgisische Agentur Akipress am Samstag (10. April). Die Zahl der Toten stieg unterdessen auf 79. Die Lage in Bischkek beruhigte sich nach Behördenangaben weiter. Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) forderte beide Konfliktparteien zu Gesprächen auf. In Bischkek wurden am Stadtrand Kontrollpunkte errichtet, an denen Reisende nach Waffen und Sprengstoff durchsucht werden. Damit sollen neue Plünderungen und Gewalttaten verhindert werden. Insgesamt wurden etwa 1500 Menschen verletzt.

Nach dem Umsturz werden die USA ihre dortige Luftwaffenbasis Manas vorläufig nicht nutzen. Die Flüge zum Transport von Truppen und Ausrüstung nach Afghanistan würden über einen anderen Stützpunkt im Ausland abgewickelt. Unterdessen hat USA-Außenministerin Hillary Clinton der neuen kirgisischen Regierungschefin Rosa Otunbajewa humanitäre Hilfe angeboten. Otunbajewa versicherte, dass sich ihre Regierung an die bisherigen Abmachungen halten und den USA weiter die Benutzung des Flughafens Manas erlauben würde.

** Aus: Neues Deutschland, 12. April 2010


Kirgisische Kontinuität

Von Olaf Standke ***

Dort, wo sonst Soldaten und Kriegsgerät aus den USA Richtung Hindukusch starten, sind am Wochenende medizinisches Gerät und Hilfsgüter eingetroffen. Schauplatz ist der Luftwaffenstützpunkt Manas in Kirgistan, eine außerordentlich wichtige Nachschubbasis für die US-amerikanischen Truppen in Afghanistan. Deshalb auch war die Sorge in Washington so groß, als in der Vorwoche Präsident Kurmanbek Bakijew gewaltsam gestürzt wurde.

Eigentlich wollte die Obama-Regierung just in diesen Tagen den Vertrag zur Nutzung des Stützpunktes verlängern. Jeden Monat passieren rund 35 000 US-amerikanische Soldaten auf ihrem Weg in den Krieg oder zurück in die Heimat diese Basis. Im Vorjahr hatte Bischek vorübergehend ihre Schließung angeordnet, dies aber später wieder zurückgenommen. Dafür war man dem - wie man inzwischen auch weiß - autoritär herrschenden Bakijew »sehr dankbar«, so Präsident Obamas Sondergesandter für Afghanistan und Pakistan, Richard Holbrooke. Und man zahlte dem verarmten Land 60 Millionen Dollar im Jahr.

Der aktuelle Schwenk zum humanitären Hilfsgut auf der Militärbasis ist allerdings kein Paradigmenwechsel. Im Gegenteil, er soll auch sichern, dass sich die neue kirgisische Regierungschefin Rosa Otunbajewa zumindest in diesem Punkt an der Politik ihres so verhassten Vorgängers orientiert. Was sie auch schon versprochen hat.

*** Aus: Neues Deutschland, 12. April 2010 (Kommentar)


Zurück zur Kirgistan-Seite

Zurück zur Homepage